Massive Kritik von Angehörigen und Mitarbeitern – Geschäftsführung sieht die Situation jedoch positiv Vorwürfe gegen Senivita gerechtfertigt?

Von Luisa Degenhardt

Seit Senivita von der stationären auf die ambulante Pflege umgestellt hat, häufen sich die Klagen, dass das System mehr kostet als Nutzen bringt. Die Redaktion hat mit Mitarbeitern, Angehörigen und der Chefetage gesprochen, um zu klären, was hinter den Vorwürfen steckt.

 
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Das Seniorenhaus St. Elisabeth in Pegnitz: Die Geschäftsführung wehrt sich gegen Kritik von Angehörigen und Beschäftigten.⋌ Foto: Ralf Münch Foto: red

„Da geht es eiskalt nur ums Geld“, sagt ein ehemaliger Angestellter. „Man hört ständig von der Heimleitung: ,Das ist nicht im Budget‘‘‘, sagt die Frau eines ehemaligen Bewohners und meint damit in den Leistungen, die die Bewohner für sich buchen. Sie sagt auch: „Die Leute sehen schmutzig aus.“ Es sind schwere Vorwürfe, die Angestellte und Angehörige erheben. Schuld daran sei das System Senivita 5.0.

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Senita 5.0: Geschäftsführer Horst Wiesent hat vor sieben Jahren begonnen, seine Einrichtungen umzustellen. „Meine Motivation war eine angemessene Wohnsituation zu schaffen“, sagt er. Wo die Bewohner vorher stationär gepflegt wurden, werden sie jetzt ambulant in ihren Wohnungen, die sie anmieten, versorgt. Der ambulante Dienst ist gleich mit im Haus — zwar gibt es pro forma eine Wahlmöglichkeit, doch alle Bewohner haben sich für den Dienst im Haus entschieden. Vorher war es ein fester Satz, in dem alle Leistungen inbegriffen waren. Jetzt zahlen die Senioren die Miete für ihre Wohnung. Zusätzlich können sie Leistungen buchen, wie nächtliche Rundgänge des Pflegepersonals, die Reinigung des Rollstuhls, Essen aufs Zimmer oder den Wäscheservice. Vereinfacht gesagt heißt das: Wer nicht auf Pflege angewiesen ist, zahlt weniger als diejenigen, die sich nicht mehr um sich kümmern können.

Die Kosten: Einer der Vorwürfe, die Betroffene gegenüber Senivita immer wieder erheben, ist, dass das neue System deutlich teurer ist. Doch wenn man den Zahlen vertraut, stimmt es nicht, dass die Kosten für die Bewohner gestiegen sind — die Redaktion hat anonymisierte Unterlagen vorliegen, in denen die Kosten für den einzelnen Bewohner aufgeführt sind. Rechtsanwalt Manfred Vetterl sitzt im Senivita-Aufsichtsrat. Seine Erklärung: Im Satz der stationären Pflege seien alle Leistungen inbegriffen gewesen. Jetzt müssten die Bewohner einzelne zusätzliche Leistungen bezahlen, die dann mehr im Fokus stünden. „Dann heißt es: ,Man kann doch nicht fürs Raufführen von der Tagespflege Geld verlangen. Für die Kleinigkeit.‘‘ Es seien nur die Bewohner, die das alte System noch kennen, die sich beschweren. Die anderen seien begeistert. Vetterl vergleicht das System mit gesetzlichem und privatem Versicherungssystem. „Was der Bewohner dabei spart, nimmt er nicht wahr“, sagt er. Unterm Strich zahle der Bewohner weniger. Wiesent gibt sich schockiert über die Vorwürfe. Er vermutet eine Kampagne gegen sich. „Ich bin persönlich überzeugt, das ist eine tolle Sache für den Menschen“, sagt er. „Ich werde unfair behandelt, ich mache ein tolles System.“ Bald werde das System Standard in der Pflege.

Tagespflege: Nicht nur die Angehörigen einer ehemaligen Bewohnerin – sie ist mittlerweile gestorben – , erhebt weitere Vorwürfe, zum Beispiel, was die Tagespflege angeht. „Meistens wird gar nichts unternommen. Von 8 bis 18.30 Uhr hocken die da“, sagt sie. Rita Schaffer, Pflegedienstleitung Tagespflege, meint dazu, dass in der Tagespflege durchaus eine Betreuung angeboten wird. „Wir haben auch einen Beschäftigungsplan“, sagt sie. Die Angehörige meint auch, dass die Bewohner zu wenig zum Trinken bekommen. „Ich würde nirgends arbeiten, wo es den Menschen schlecht geht“, sagt Schaffer dazu. Man sei immer bemüht, aber manche Leute würden einfach schlechter trinken als andere. Es gebe eine Mindest-Einführmenge von 1200 Millilitern. Horst Wiesent fügt hinzu: „Wir müssen das ja auch dokumentieren.“ Falls ein Bewohner einfach nicht zum Trinken zu bewegen ist, gibt es eine Infusion. Mehrfach heißt es auch, dass das Essen von billigster Qualität ist. Und dass es oft das Gleiche gibt. Auch das sei vor der Umstellung ausgewogener gewesen, als noch vor Ort gekocht wurde. Mittlerweile wird das Essen in Hummeltal vorbereitet und an alle Einrichtungen geliefert. Ein Teil des Essens, wie Salate, wird in Pegnitz zubereitet. Leiter Michael Rox: „Die Qualität hat sich grundsätzlich nicht verändert. Es sind die gleichen Lieferanten geblieben.“

Putzdienst: Seit der 5.0-Umstellung werde schlecht geputzt, meinen sowohl Angehörige als auch eine Mitarbeiterin. Tatsächlich wurde die Reinigung der Zimmer auf zweimal 15 Minuten pro Woche reduziert. „Vor der Umstellung war es teilweise so, dass schon jeden Tag gereinigt wurde“, sagt Rox. Wiesent meint, dass diese Leistung ja auch abgewählt werden könne. Und genau die Bewohner seien es, die sich beschwerten, dass das Zimmer nicht geputzt werde. „Ich werde hier langsam verrückt.“

Personal: Thema in den Gesprächen mit Betroffenen ist auch immer wieder die Personalsituation. Ein ehemaliger Mitarbeiter sagt: „Zwei Drittel des Personals sind verschwunden.“ Die Frau eines früheren Bewohners meint: „In der Tagespflege ist nur noch eine Kraft.“ Und eine Mitarbeiterin sagt: „Im ambulanten System wurde der Nachtdienst von zwei auf einen reduziert.“ Im ambulanten Bereich sei nicht vorgeschrieben, wie viele Nachtdienste man haben müsse. Laut Horst Wiesent gibt der Personalschlüssel vor, dass mindestens drei Mitarbeiter in der Tagespflege da sein müssen. Das werde auch eingehalten. „Warum heißt es dann, es ist kein Personal da? Wie kann das sein?“, fragt Wiesent. Dass im ambulanten Nachtdienst — dieser betreut die Bewohner nachts — von zwei auf eine Kraft reduziert wurde, stimmt nach Aussagen Wiesents. „Die hatten früher aber 66 Menschen, jetzt haben sie noch 40.“ Leiter Rox fügt hinzu, dass auch bei stationären Einrichtungen für 50 Personen nur eine Kraft da ist, „das regelt das Gesetz so.“

INFO: Alle Personen, mit denen wir sprachen, wollen anonym bleiben – aus Angst vor Folgen, die eine Namensnennung haben könnten.

Preisvergleich

Die Preise für die Altersplätze für Senioren sind nur bedingt vergleichbar, denn Senivita hat durch sein Modell der individuellen und bedarfsentsprechenden Zubuchungen und extra bezahlten Leistungen eine eigene Preis-Nische. Nichtsdestotrotz müssen auch betroffene Senioren und ihre Angehörigen auf ihr Konto sehen und entsprechende Vergleiche zwischen den Angeboten in Pegnitz und Auerbach ziehen können. Die Preise hängen jeweils von der Pflegestufe und dem daran anhängigen Bedarf ab — daher variieren sie und sind alle, abhängig von der jeweiligen Stufe, bezuschusst von den Pflegekassen.

Vor diesen Zuschüssen setzt sich im Heim von Senivita in Pegnitz der Insgesamt-Preis für Selbstzahler inklusive Miete aus der Apartmentmiete pro Quadratmeter plus Grundservicepauschale sowie den Extra-Leistungen zusammen (wir berichteten): In der Pflegestufe null liegt der Preis zwischen 901,69 und 1893,95 Euro. In der Pflegestufe 1 zwischen 967,08 und 1742,25 Euro. Die Kosten für einen Betreuungsplatz in Pflegestufe 2 belaufen sich zwischen 850,58 und 2156,70 Euro. In Pflegestufe 3 beginnt der Preisrahmen bei 905,60 und kann sich im Einzelfall auch auf 1364,40 Euro belaufen. Zum 1. März sind die Beiträge im Auerbacher St.-Hedwig-Heim erhöht worden: Statt 1345 Euro Zuzahlung in Pflegestufe 3 sind es künftig 1895 Euro. Die Anpassung der Preise Anfang Februar, seien nötig geworden, weil die Personal- und Sachkosten sowie die Verbesserung des Personalschlüssels angepasst werden mussten. Weil also insgesamt die Pflegesätze zum März stiegen, erhöhte sich der Eigenanteil jedes Bewohners in Auerbach.

Im Jakobushof Auerbach, der 50 Senioren ein Zuhause bietet, liegt der Preis in der Pflegestufe 0 zwischen 1737,90 und 1785,90 Euro. In der Pflegestufe 1 belaufen sich die Kosten zwischen 2285,70 und 2372,70 Euro und in Pflegestufe 2 zwischen 2616,90 und 2664,90 Euro. In Stufe 3 kostet der Heimplatz zwischen 2865,60 und 2913,60 Euro. Im evangelischen Brigittenheim in Pegnitz liegen die Preise pro Monat mit 30 Tagen ohne Zuschuss der Pflegekasse in der Pflegestufe 0 bei 2000,00 Euro, in der Pflegestufe 1 bei 2695,00 Euro, in Pflegestufe 2 liegen die Kosten bei 3115,00 Euro und in der Stufe 3 bei 3425,00 Euro. Im Brigittenheim und in St. Hedwig gelten die Preise für stationäre Pflege samt Miete. In St. Elisabeth in Pegnitz, das die Senivita GmbH betreibt, gelten die Kosten für Miete sowie Tagespflege.