Tendenziell sei man auch nicht mehr so schnell, auch mental. Man sei tendenziell von Komplexität schneller überfordert, so Rief. Auf der anderen Seite gebe es aber auch positive Effekte: "Es gibt Erfahrung. Das ist die sogenannte Altersweisheit, die eine Offenheit und einen positiven Umgang mit anderen Ideen bedeuten kann."
Psychologisch müsse man auch schauen, wie sich jemand über die Jahre entwickelt habe. "Bin ich flexibel geblieben oder sehr determiniert geworden?" - das sei die Frage. "In den USA sehen wir gerade beim Präsidenten etwas sehr Determiniertes: wenig Toleranz und wenig Akzeptanz für einen anderen Weg. Da würde man sagen, dass das keine guten Voraussetzungen für eine Leitungsfunktion sind."
Wie es sich bei Merz verhält - das wird man erst im Amt erfahren.
Was bedeutet es politisch?
Eines dürfte feststehen: Friedrich Merz wird angesichts seines schon relativ fortgeschrittenen Alters kein Langzeitkanzler à la Konrad Adenauer (14 Jahre), Helmut Kohl oder Angela Merkel (beide 16 Jahre) werden. "Aber diese langen Amtsperioden sind aufgrund der Veränderungen unseres Parteiensystems sowieso kaum noch zu erwarten", analysiert der Politikwissenschaftler Jürgen Falter, selbst 81 Jahre alt. Das System ist nach seiner Auffassung deutlich instabiler geworden, weil es zum einen mehr Parteien im Bundestag gibt und diese Parteien zudem in ihren Positionen viel weiter auseinanderliegen als das etwa noch vor 15 Jahren der Fall war.
Stefan Marschall, Politologie-Professor in Düsseldorf, sieht es ähnlich. Für den Wähler zähle die nächste Legislaturperiode. Und innerhalb der Partei sei es sogar eher von Vorteil, wenn man wisse, dass die Spitzenposition nicht auf unabsehbare Zeit besetzt sei. Sollten bei einem Kanzler Merz allerdings etwa infolge einer Pannenserie Zweifel an seiner Amtseignung aufkommen, dann würde dies sicher schnell mit seinem Alter in Verbindung gebracht werden.
"Aber davon abgesehen sehe ich sein Alter nicht als Problem", so Marschall - zumal 40 Prozent der Wahlberechtigten heute selbst über 60 seien. "Wir haben insgesamt eine älter werdende Gesellschaft, und dazu passt dann unter Umständen auch ein älterer Kanzler." Dass Merz von Vielen auch in Auftreten und Habitus als Mann der 90er Jahre wahrgenommen werde ("Rambo-Zambo"), müsse kein Nachteil sein. "Die deutsche politische Kultur schätzt allgemein keine schillernden Figuren, sondern eher Glaubwürdigkeit und Authentizität. Gut möglich auch, dass man gerade in Krisenzeiten auch auf Lebenserfahrung setzt - da läge man mit Merz dann nicht falsch."