Kurier-Serie "Wohnen mit Geschichte" Wohnen mit Geschichte: Über dem Kerker

Von Andreas Gewinner

Das Haus an der Wunsiedler Straße 1 in Bischofsgrün sieht aus wie ein x-beliebiges Zweifamilienhaus aus den 50er Jahren. Doch schon kurz, nachdem Wolfgang und Christel Reitz hier einzogen, merkten sie, dass es eine besondere Bewandtnis mit dem alten Haus hat. Da war zum Beispiel der Weitwinkelspion in der Tür zu ihrem Kellerabteil, der Christel Reitz verwunderte.

 
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Seit April wohnen die beiden Senioren in der Erdgeschosswohnung des blassrosafarbenen Hauses zwischen dem ehemaligen Rathaus und dem Schreibwarengeschäft Zeh, das heute dem Bauverein Bayreuth gehört. "Von allen Seiten Sonne, zentrumsnah, kurze Wege - hier gefällt es uns", sagt Christel Reitz. Es ist bereits die dritte Wohnung in Bischofsgrün, die sie haben. Vor 14 Jahren wollten sie, aus dem hessischen Gießen kommend, in die Nähe der Familie ihrer Tochter ziehen, die gleich gegenüber im Neustädtlein wohnte. Der Tag, an dem sie sich ihre erste Wohnung in Bischofsgrün anschauten, war ein geschichtsträchtiger: der 11. September 2001.

Dass im Erdgeschoss der Wunsiedler Straße 1, in ihrer Wohnung nicht immer nur gewohnt wurde, merkte Christel Reitz, als sie im Steuerbüro Wietasch und Partner saubermachte. Und Dieter Winkler jun. zu ihr sagte: "Da wohnt ihr ja im ehemaligen Polizeihaus!"

Drei Gendarmen

Polizeihaus??? Von 1953 bis 1961 war in der Wunsiedler Straße 1 die Station Bischofsgrün der "Bayerischen Landpolizei" untergebracht. Drei Polizisten sorgten von hier aus für Ordnung und Sicherheit. Ihr Revier reichte von der Ochsenkopfspitze bis nach Wülfersreuh und dem Weißmainkarftwerk bei Röhrenhof, so der Ortshistoriker Jörg Hüttner. Er muss es wissen: Sein Großvater Christian war einer der Bischofsgüner Gendarmen. Das Dienstzimmer der Gendarmen ist das heutige Schlafzimmer der Familie Reitz.

Gleich gegenüber liegt das Neustädtlein. Christel Reitz, die seit mehr als zehn Jahren die Schlüssel der Bischofsgrüner Liegenschaften für den Bauverein verwahrt, ist der Ansprechpartner vor Ort. Deswegen kennt sie viele der alten Damen aus dem Neustädtlein, die hier teils seit mehr als 50 Jahren wohnen. Und sich noch an die Zeit erinnern, als hier die Gendarmen residierten. "Ja, da könnten wir Dir was erzählen", sagten sie zu Christel Reitz. "Erzählt doch mal", forderte die ehemalige Berlinerin auf. "Ach nein, das wollen wir nicht", war die Antwort: Bischofsgrüner Diskretion rund um das "Karzenella" (=kleiner Kerker), wie die Arrestzelle im Volksmund hieß.

Spion in der Tür

Im Kellergeschoss war einer der Räume als Arrestzelle ausgebaut. Der Boden ist blanker Zement. Die originale Holztür ist innen mit Blech verkleidet, unterbrochen nur von einem Spion, durch den der Polizist, unbemerkt vom Insassen, fast das ganze Innere der Zelle im Blick hatte. Direkt neben der Tür ist eine offene Durchreiche im Mauerwerk. Zu klein zum Durchklettern, aber groß genug für Trinken und Essen. Wie oft die Zelle in Benutzung war, ist nicht überliefert. Die meisten Kurzzeitbewohner dürften hier lediglich einen kräftigen Rausch ausgeschlafen haben. Aber es gab auch andere. Wie jenen Mann, der in der Hoyerbaude wohnte und der wegen Kindesmissbrauch festgenommen wurde. Seinen ersten Teil der Strafe erhielt er schon im Zuge seiner Überstellung nach Bayreuth: Die Bischofsgrüner Polizei hatte nur ein Motorradgespann, und er musste jämmerlich im Beiwagen frieren.

Die Arrestzelle ist heute ein schlichter Lagerraum, auch die Waschmaschine steht hier. Führungen kann das Ehepaar Reitz natürlich nicht anbieten. Aber man kann auch von außen sehen, wo die einstige Arrestzelle ist. An der Straßenseite hat das Haus drei Kellerfenster. Das mittlere ist vergittert.

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