Kriegsgefangener wird umgebettet

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„Wir betten ihn hier zur Ruhe, bis wir uns irgendwann mal wiedersehen“ – nicht nur die Worte von Robert Fischer, Geschäftsführer des oberfränkischen Bezirksverbandes Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Bayreuth, sind ergreifend. Gerührt steht die Gruppe am offenen Grab auf dem Kriegerdenkmal des Creußener Friedhofs. Der russische Kriegsgefangene Kamolitdin Scharafutinow – geboren 1890, gestorben 1919 – wurde hierhin umgebettet.

 
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Die „verstreute Einzelgrabanlage“ im oberen Bereich des Friedhofs hatte der ehemalige Friedhofswärter Hermann Gebhard beim Rasenmähen entdeckt, ein kleiner quadratischer Grabstein mit Namensgravur und dem Sterbedatum. Er wandte sich an Jörg Weigel, Vorsitzender der Creußener Soldatenkameradschaft. Auf seiner Liste, wie viele Gefallene am Kriegerdenkmal liegen, stehen 34 Namen von Kriegsgefangenen, Einheimischen und Unbekannten. Alle aus dem Zweiten Weltkrieg.

Einziger aus dem Ersten Weltkrieg

Das evangelische Pfarramt hat in seinen Unterlagen nachgeschaut und festgestellt, dass für das Einzelgrab der russische Kriegsgefangene vermerkt ist, der Einzige aus dem Ersten Weltkrieg. Weigel wollte, dass alle Kriegsopfer auf einer Grabstätte liegen und so fand nun die Umbettung im Zuge der Neugestaltung des Kriegerdenkmals statt.

Gespannt stehen Mitglieder der Soldatenkameradschaft, zweiter Bürgermeister Erwin Morba, Robert Fischer sowie Jürgen Hädinger, Kreisvorsitzender der Kriegsgräberfürsorge, um das Grab herum und beobachten wie zwei Mitarbeiter des Bestattungsunternehmens Ordung die Erde ausbaggern. Für Fischer ist es das erste Mal, dass er bei so einem Anlass dabei ist. „Seit den 70er Jahren ist es im Landkreis Bayreuth die erste Umbettung eines Kriegsgefangenen überhaupt“, sagt er. Die Informationen, die er zu Kamolitdin Scharafutinow hat, sind spärlich. Er weiß nur, dass der junge Mann aus Südrussland stammte und vermutlich krankheitsbedingt gestorben ist. Bei der russischen Botschaft in Berlin läuft noch eine Anfrage nach möglichen Angehörigen. Bis jetzt hat man aber noch keine gefunden.

Dunkelgrüne Stofffetzen

Als das Loch etwa 1,40 Meter tief ist, entdeckt Bestatter Timmy Brehmer auf einmal Knochenreste: eine Schädeldecke, Rippen, Oberschenkelknochen und einen Hüftknochen. Vorsichtig gräbt er mit der Hand in dem Aushub und findet noch mehrere dunkelgrüne Stofffetzen. Alles relativ gut erhalten, die Knochen schon verholzt, der Stoff kaum porös. „Vermutlich wurde der Tote in den Stoff gewickelt und beigesetzt“, sagt Fischer. Er ist erleichtert, dass etwas gefunden wurde. „Sonst wäre das Ganze Geschichte geblieben“, so Fischer. So könne man an die russische Botschaft und eventuellen Angehörigen von dem Fund berichten, dass tatsächlich jemand in dem Grab liegt. „Mir fällt ein Stein vom Herzen“, sagt Fischer. Damals, als das Kriegerdenkmal angelegt wurde, habe man nicht an eine Umbettung gedacht. Dass man den jungen Russen jetzt auf der Kriegsgräberstätte beisetzt, sei die richtige Entscheidung.

Verwesung auf sandigem Boden schneller

Die Teilnehmer an der Umbettung sind alle erstaunt, dass noch relativ viel gefunden wird. Immerhin ist die Beisetzung schon 99 Jahre her. „Das kommt auf den Boden an“, erklärt Bestatter Behmer. Bei sandigem Boden verlaufe die Verwesung schneller, wenn die Erde feuchter – wie eben stellenweise am Creußener Friedhof – ist, dauert es manchmal länger.

Robert Fischer dokumentiert den ganzen Vorgang genau, macht Fotos und füllt ein Umbettungsprotokoll aus. Die Knochenreste und Stofffetzen werden in einen kleinen Pappsarg gelegt, der dann zugetackert wird. Die Kosten für die Umbettung wird die Kriegsgräberfürsorge übernehmen.

Sarg wird beigesetzt

Schweigend trägt die Gruppe den Sarg anschließend zum Kriegerdenkmal, wo er dann an einer schon geöffneten Erdstelle beigesetzt wird. Fischer spricht einige Gedenkworte und gemeinsam wird das Vaterunser gebetet.

Brigitte Freiberger, Mitglied der Soldatenkameradschaft und des Kreisverbandes, ist völlig ergriffen. Sie nimmt das Ganze sehr mit. „Mein Onkel wird noch immer in Russland vermisst“, sagt sie leise. Seit Jahren versucht die Familie schon herauszufinden, wo er liegt. Aber bislang hat man die Stelle nicht gefunden. „Das ist es, was vom Leben bleibt“, sagt sie, „wir werden geboren, um zu sterben.“ Aber es sei tröstlich zu wissen, dass jeder Mensch, egal wer er ist und woher er kommt, gleich endet.

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