Kostenloser ÖPNV: Freie Fahrt für alle!

Von Thorsten Gütling
Mittags am ZOH. Schon jetzt ist zu Stoßzeiten Schlange᠆stehen angesagt. Sollte eines Tages kommen, was die Bundesregierung im Februar vorgeschlagen hat, nämlicher kostenloser ÖPNV für alle, müssten die Stadtwerke Bayreuth reagieren. Nur wo und wie? Foto: Andreas Harbach Foto: red

Wir schreiben das Jahr 2050. Aus dem Pilotprojekt „Kostenloser ÖPNV“, das die Bundesregierung 2018 ins Leben gerufen hat, um der Luftverschmutzung Herr zu werden und einer Bestrafung durch die EU zu entgehen, ist Alltag geworden. In Bayreuth wird kostenlos Bus gefahren. Ein Szenario! Realisisch?

 
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Wo einst sanierungsbedürftige Beton-Parkhäuser standen, stehen Bänke inmitten grüner Parks. Am ZOH fahren Busse alle fünf Minuten ab. Am Hohenzollernring rollt der Autoverkehr nur noch auf zwei Spuren. Eine Fahrbahn in jede Richtung ist Bussen und Radfahrern vorbehalten. Staus gibt es keine und die wenigen verbleibenden Autos haben immer das Nachsehen: Dank Ampelschaltung sind sie immer langsamer als die Busse. Und wer jetzt noch einen Parkplatz braucht, zahlt sich dumm und dämlich. Ein realistisches Szenario? Was würde passieren, wenn das Busfahren in Bayreuth plötzlich kostenfrei würde? Ginge das überhaupt?

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36 Busse befinden sich derzeit im Besitz der Stadtwerke, 20 weitere fahren von privaten Unternehmen. Allen voran im Schulbusverkehr am Morgen und am Mittag sind alle weit und breit zur Verfügung stehenden Busse im Einsatz. Kostenloser ÖPNV wäre daher wohl nur durch den Zukauf von Bussen möglich, sagt Werner Schreiner, der Leiter des Bereichs Verkehr bei den Stadtwerken. Ein zwölf Meter langer Bus kostet etwa 250.000 Euro. Wenn er mit Erdgas fahren soll, noch etwas mehr. Normalerweise müssen die Stadtwerke etwa ein Dreivierteljahr auf neue Busse warten. Wie lange die Wartezeit beträgt, wenn plötzlich viele Städte neue Busse ordern, sei schwer zu sagen.

Suche nach Fahrern gestaltet sich schwierig

Weit schwieriger als die Beschaffung von Bussen könnte sich aber die Suche nach Busfahrern gestalten. 58 sind derzeit bei den Stadtwerken beschäftigt. Ein Traumberuf sei das schon lange nicht mehr, sagt Schreiner. Der Job sei relativ schlecht bezahlt, Schichtdienste seien an der Tagesordnung und die Ausbildungskosten von rund 10.000 Euro müssten die Fahrer selbst berappen. Nicht umsonst herrsche in der Logistikbranche schon jetzt Not am Mann. Für Busfahrer seien die Stadtwerke zwar noch attraktiv, Fahrer von umliegenden Betrieben abzuwerben, löse das Problem zu Spitzenzeiten nicht, wenn jeder Mann gebraucht werde.

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Wo, wann und wie die Passagierzahlen steigen würden, wenn das Busfahren plötzlich nichts mehr koste, ließe sich nur schwer vorhersagen. Eine Bedarfsabfrage gestalte sich schwierig, sagt Monika Gut, die Verkehrsplanerin der Stadtwerke. Bei der Anbindung des Wohngebietes Hohlmühle sei beispielsweise ein überraschend hoher Bedarf angemeldet worden, der dann aber niemals eingetreten sei. Bus fahren sei eben oft wie Sport treiben: nicht mehr als ein guter Vorsatz, sagt Gut.

Bodenseering ja, Wolfsbach nein

Spekulieren lässt sich trotzdem: Vermutlich würden die Zahlen am Bodenseering oder am Y-Haus steigen, wo so viele Menschen wohnten, wie anderswo in einem Stadtteil. Oder zwischen Meyernberg und Hoher Warte, wo sich an jedem Ende der Linie eine Schule befindet. Oder zwischen dem Roten Hügel, dem Wohnort vieler Studenten, und dem Campus. Eher weniger würde die Nachfrage dagegen in ländlich geprägten Stadtteilen steigen. Wo zwei Autos zur Grundausstattung gehörten. Wo die Kinder größtenteils raus aus den Häusern seien. In Wolfsbach zum Beispiel. „Dort bekämen wir problemlos doppelt so viele Menschen in einen Bus“, sagt Gut.

Einen Kommentar zum Thema lesen Sie hier:

Sechs Millionen Fahrgäste zählen die Stadtwerke schon jetzt jedes Jahr. Etwa jeder zehnte Bayreuther fährt regelmäßig mit, und zwar im Schnitt 2,3-mal am Tag. 2,9 Millionen Euro Defizit machte der Busverkehr damit zuletzt im Jahr. Würde das Busfahren kostenlos, fielen dazu rund 4,7 Millionen Euro weg, die die Stadtwerke jährlich durch den Verkauf von Busfahrkarten einnehmen. Aber: Gesamtgesellschaftlich könnte sich kostenloses Busfahren rechnen, sagt Werner Schreiner. Der Wert zusätzlicher Grünflächen für die Lebensqualität einer Stadt sei schwer in Zahlen zu fassen. Geschweige denn der Imagegewinn, wenn Bayreuth zum Vorreiter würde. Dazu fielen die Kosten für Gesundheitsschäden durch Unfälle und Luftverschmutzung weg. Genauso wie für die Sanierung von durch Feinstaub zerfressener Fassaden und für die Instandhaltung von durch Streusalz zerfressener Parkhäuser. Deutschlandweit, sagt Manfred Miosga, Professor für Geografie und Regionalentwicklung an der Uni Bayreuth, würde durch den Wegfall der Subventionen für den Autoverkehr, also durch Pendlerpauschale und Co, genauso viel Geld frei, wie die Ticketverkäufe für den ÖPNV einbrächten: fünf Milliarden Euro. Kostenloses Busfahren ließe sich also finanzieren.

Umbau der ganzen Stadt

Allerdings: Damit die Menschen tatsächlich auf Busse umstiegen, müsse mehr passieren: Der über Jahrzehnte vollzogene Umbau der Städte zugunsten des Automobils müsse rückgängig gemacht werden. Wer vor die Tür trete, dürfe eben nicht zuerst einen Parkplatz und eine Straße sehen, sondern Radwege und Bushaltestellen, sagt Miosga. Der Geograf rechnet mit einer Umbauzeit von 30 Jahren. Dann könnte die Zahl der „Stehzeuge“, also der Autos, die 90 Prozent der Zeit stünden, statt zu fahren, auf ein Fünftel sinken.

Würden aber nicht alle Facetten, wie die Anbindung an das Umland bedacht, sagt die Verkehrsplanerin Gut, dann drohe, was regelmäßig im Winter zu beobachten sei: Dass Menschen einmalig auf den Bus umstiegen und danach das System infrage stellten, weil nun mal auch der Bus im Schneetreiben unpünktlich sei. „Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier“, sagt Gut. Folglich werde das Busfahren erst dann wirklich interessant, wenn das Autofahren deutlich unattraktiver werde. Durch Busspuren am Ring und drastisch erhöhte Parkgebühren. Kurz: Wenn Bayreuth das, was in Großstädten üblich sei, künstlich schaffe.

Am Ende steigen nur die Fußgänger zu

Aber selbst dann sei eines nicht ausgeschlossen: Dass am Ende vor allem Radfahrer und Fußgänger auf das kostenlose Angebot umsteigen. Schon einmal hat die Stadt eine Buslinie vom Bahnhof zur Alexander-von-Humboldt-Realschule ins Leben gerufen. Eingestiegen waren erst mal die, die die zwei Kilometer zuvor zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt hatten.

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