Neue Wirtschaftsförderung Bundesregierung verspricht mehr Geld für abgehängte Regionen

Nicht überall in Deutschland lebt es sich gleich gut. Die Kluft zwischen Boomregionen und den Abgehängten wächst. Der Bund will sich dagegen stemmen - doch das funktioniert nur, wenn die Reicheren verzichten.

 
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Berlin - Ärzte sind rar, die Handynetze löchrig, der Bus fährt selten und für Investitionen ist kein Geld da - gegen solche Probleme in abgehängten Regionen will die Bundesregierung in Zukunft stärker angehen.

"Das Ziel ist, den Menschen die Möglichkeit zu geben, in ihrer Heimat zu leben", sagte Innenminister Horst Seehofer am Mittwoch in Berlin. "Dazu müssen wir die Strukturpolitik und die Förderpolitik in Deutschland neu justieren." Wenn unterschiedliche Lebensverhältnisse zum Nachteil für die Menschen würden, müsse sich die Politik kümmern.

Derzeit werden vor allem abgehängte Regionen im Osten Deutschlands gefördert - doch Hilfe sei auch in anderen Gebieten nötig, ist ein Ergebnis der Regierungskommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse".

"Es gibt Regionen, die drohen den Anschluss zu verpassen", sagte Agrarministerin Julia Klöckner (CDU). "Diese Lücken werden wir nicht durch Gießkannenpolitik schließen." Sie müssten gezielter als bisher unterstützt werden. "Förderung muss daher eine Frage des Bedarfs, nicht der Himmelsrichtung sein."

Um gleichwertige Lebensverhältnisse zu erreichen, müssten starke Regionen aber auch zurückstecken, mahnte Familienministerin Franziska Giffey (SPD). "Das wird nur funktionieren, wenn die, die stärker sind, bereit sind, sich um die Schwächeren zu kümmern." Nicht jeder könne gleichermaßen mehr Hilfen bekommen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder warnte sogleich vor einer Umverteilung zu Lasten der starken Regionen. "Es wird immer mehr Geld ausgegeben für Regionen, wo immer weniger Menschen sind, und immer weniger für Regionen, wo immer mehr sind", sagte der CSU-Chef der "Augsburger Allgemeinen".

Tatsächlich will die Bundesregierung beispielsweise Unternehmen mit Fördermitteln in Regionen locken, aus denen junge Menschen abwandern. Auch Bundeseinrichtungen und Forschungsinstitute sollen gezielt abseits der "überhitzten Metropolregionen" angesiedelt werden - ohne jemanden gegen seinen Willen zu versetzen, wie Seehofer versprach.

Der Bund werde zudem mit Ländern und Kommunen sprechen, wie hohe Altschulden schneller abgebaut werden könnten - damit die Kommunen wieder mehr Spielraum für Investitionen haben. "Gegen die erdrückenden Altschulden vieler Kommunen müssen wir gemeinsam etwas tun", betonte auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Der Bund sei bereit, bei der Lösung des Problems mit anzupacken.

Die CSU forderte allerdings zugleich, es dürfe keinen Freifahrtschein für klamme Kommunen geben. Auch Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) hält das für das falsche Signal. "Baden-Württemberg hat ganz, ganz starke Kommunen", sagte er, das hätten sie aber durch Sparen erreicht. Wenn jetzt Kommunen entlastet würden, die nicht solide gewirtschaftet hätten, setze das falsche Anreize.

Konkret verständigte sich die Kommission auf zwölf Handlungsfelder. Unter anderem soll es Fördermittel für die Sanierung von Ortskernen geben, damit wieder mehr Menschen in den Zentren leben, statt am Ortsrand neu zu bauen.

Wo sich die Installation von schnellem Internet aus rein wirtschaftlichen Gründen für die Telekommunikationsfirmen nicht lohnt, solle der Staat über Steuermittel einspringen. Außerdem werde sich der Bund länger als geplant an sozialem Wohnungsbau und guter Kitabetreuung beteiligen.

Die Finanzierung dieser Fördervorhaben bleibt allerdings zunächst vage. Bewusst sei kein Milliardenbetrag für die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse veranschlagt worden, sagte Seehofer. Diese Aufgabe müsse von jedem Minister innerhalb seines eigenen Haushalts umgesetzt werden - das zwinge auch zum Setzen von Prioritäten. Über eine Dekade würden sicher zweistellige Milliardenbeträge investiert, sagte Seehofer. Die Maßnahmen sind außerdem bisher nur Schlussfolgerungen des Bundes - mit Ländern und Kommunen muss ab September noch verhandelt werden.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) forderte konkrete Finanzierungszusagen vom Bund. Die bisher für Ostdeutschland genutzten Programme auf westdeutsche Regionen zu übertragen, funktioniere nur, wenn es mehr Geld gebe, betonte der Vorsitzende der Ost-Ministerpräsidentenkonferenz.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund forderte mehr Mittel für die Kommunen: Ihre Einnahmebasis insgesamt müsse verbessert werden, beispielsweise über eine Reform der Erbschafts- und Vermögenssteuer.

Kommunale Unternehmen kritisierten, die Ideen der Bundesregierung seien längst noch nicht konkret genug. "Dabei gibt es in vielen Städten und Gemeinden bereits pragmatische Ansätze, um das Leben vor Ort spürbar besser zu machen", erklärte die Hauptgeschäftsführerin des Branchenverbands, Katherina Reiche. Auch Chancen wie autonome Busse und Telemedizin müssten genutzt werden. Die Caritas forderte, gegen Vereinsamung der Menschen müsse ebenfalls etwas getan werden. Die primär wirtschaftliche Perspektive greife zu kurz.

"Den Handlungsempfehlungen müssen jetzt dringend Taten folgen", forderte der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied. Vor allem die flächendeckende Internetversorgung dürfe nicht auf die lange Bank geschoben werden.

Die AfD-Fraktion kritisierte, der Bericht der Kommission bringe keine neuen Erkenntnisse - der Bund lasse ländliche Regionen weiter ausbluten. Genau wie die FDP-Fraktion forderte sie Sonderwirtschaftsgebiete mit weniger Bürokratie für Unternehmen. "Wir brauchen weniger Regulierung in der Verwaltung damit Gründer ihre innovativen Ideen einfacher verwirklichen können", betonte FDP-Fraktionsvize Christian Dürr. "Das ist besser als neue Subventionskanäle."

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