Kölner Schülerin: Habe keine Ahnung vom wirklichen Leben Nach Twitter-Kritik an Schulbildung: Wenig Verständnis für Naina in Bayern

Von Elmar Schatz

Die 17-jährige Kölnerin Naina hatte via Twitter erklärt: „Ich habe keine Ahnung vom wirklichen Leben, weil mir die Schule die entsprechenden Fähigkeiten nicht vermittelt hat.“ Aus Oberfranken kommt Widerspruch. Viele Lehrer engagierten sich extra, um ihre Schüler alltagsfit machen, sagt Peter Liewald (50), bei der Handwerkskammer in Bayreuth für Nachwuchsförderung. Und die Gymnasien wehren sich. Zustimmung kommt lediglich vom Landesschülerrat.

Gewusst wie: Das Internet dient der Informationsbeschaffung über das in der Schule unmittelbar Gelernte hinaus, sagt der erfahrene Pädagoge. Foto: dpa Foto: red

Die Aussage von Naina sei auch für Nordrhein-Westfalen nicht repräsentativ, betont Liewald. Zudem sei die Ausbildung am Gymnasium ganz anders ausgerichtet. Zu zeigen, wie eine Steuererklärung ausgefüllt wird, sei nicht Thema der Schule. Vielmehr sollten die Eltern ihre Töchter und Söhne zur Selbstständigkeit erziehen.

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"Ich habe zwei Söhne im Alter von 17 und 25 Jahren - dem älteren helfe ich bei der Steuererklärung", sagt Liewald. Leider verlagerten viele Eltern ihren Erziehungsauftrag an die Lehrer. Er selber habe erst bei seiner Ausbildung zum Kraftfahrzeugmechaniker-Meister das betriebswirtschaftliche Rechnen und das Ausfüllen der Steuererklärung gelernt.

Naina, die mit ihrem Tweet eine Riesen-Resonanz in sozialen Netzwerken erzeugt hat, schrieb unter @nainablabla: „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichtsanalyse schreiben. In 4 Sprachen.“

Sie traf damit einen Nerv. Ihre Kurznachricht verbreitete sich in Windeseile zigtausendfach im Netz. Sogar die Bundesbildungsministerin reagierte; Johanna Wanka (CDU) erklärte - so ihr Sprecher in Berlin. „Ich bin dafür, in der Schule stärker Alltagsfähigkeiten zu vermitteln. Es bleibt aber wichtig, Gedichte zu lernen und zu interpretieren.“

Liewald sagt, das Handwerk wolle Abiturienten als Auszubildende gewinnen; schließlich fehlten in den kommenden Jahren Tausende von Betriebsleitern, weil ältere Handwerksmeister das Ruhestandsalter erreichen und keine Nachfolger haben. Es sei klar, dass die wenigsten Gymnasiallehrer und Schulleiter Basiserfahrungen an der Werkbank hätten. "Das kann man ihnen nicht übelnehmen."

Aber längst seien Handwerkskammer-Fachleute in engem Kontakt mit den Schulen. In der Stadt Bayreuth und im Landkreis Bayreuth würden insgesamt 14 Schulen im Jahr mindestens zweimal besucht; in ganz Oberfranken 115 Schulen.

"Wir stellen Berufe vor und beantworten die Fragen der Schüler." Zudem werde gerade ein Konzept erarbeitet, Jugendliche und deren Eltern zu Schulabenden einzuladen, um berufsorientiert über Themen zu informieren, die nicht im Lehrplan stehen.

Sehr gut komme eine kostenlose App an, die von der Kammer angeboten werde - wie finde ich einen Praktikumsplatz oder eine Lehrstelle? GPS-gesteuert werde der Bewerber zur Adresse des Ausbildungsbetriebs geführt, gleich ob der in Bayreuth oder Köln liegt.

Liewald bedauert, dass Mittelschul-Absolventen wichtiges Wissen wie der Satz des Pythagoras, einer der fundamentalen Sätze der Geometrie, nicht vermittelt werde, so dass sie an der Berufsschule Defizite hätten.

Liewald stellt aber andererseits überhöhte Erwartungen an junge Leute in Ausbildungsbetrieben fest. So herrsche die Vorstellung, den Lehrling schon nach dem ersten Jahr als Fachkraft einsetzen zu können. Da müsse man den Meister ein Stück weit herunterholen und ihm klarmachen: "Der ist hier, um zu lernen."

Berufsorientierung und Lebensbezug seien in der jetzigen Gymnasialform von ganz besonderer Bedeutung, erklärt Edmund Neubauer, der Ministerialbeauftragte für die Gymnasien in Oberfranken und Hofer Schulleiter. So hätten die sogenannten P-Seminare in der Oberstufe zum Ziel, Schülerinnen und Schüler möglichst früh mit der außerschulischen Lebenswelt in Kontakt zu bringen.

"Das moderne Gymnasium vermittelt auch Kompetenzen, die den jungen Menschen helfen, sich in unserer Welt in vielfältiger Weise zu orientieren." Neubauer ergänzt: "Ich denke zum Beispiel an den regen Gebrauch des Internets, den schon viele unserer Unterstufenschüler in hervorragender Weise beherrschen, und der bei sinnvoller Nutzung gut der Informationsbeschaffung dienen kann - und zwar über das in der Schule unmittelbar Gelernte hinaus."

Das Fach Wirtschaft und Recht, das es in Bayern gebe, behandele schon früh rechtliche und wirtschaftliche Themen - zum Beispiel Alltagskompetenzen wie Ernährungs- und Gesundheitsbildung, Verbraucher- und Konsumbildung. Und zwar mit dem Ziel, zu einer sinnvollen, individuellen Lebensführung beizutragen, betont der Gymnasiallehrer.

"Gerade das Gymnasium ist heute in der Gesellschaft in vielfältiger Weise vernetzt. Das Leben im Elfenbeinturm - ich zweifle, dass es für die Gymnasien je gegolten hat - ist für heutige Gymnasien jedenfalls unvorstellbar", so Neubauer.