Es findet sich darin auch ein lesenswerter Aufsatz von Werner Bergmann, der die Ausgrenzungs- und Vernichtungsvorstellungen schon der Klassik, der Romantik und des Vormärz dokumentiert. Schon bei Hartmut von Hundt-Radowsky (1780 bis 1835) taucht die Endlösung am Horizont auf, er diskutierte 1819 Vertreibung und Mord, um „das Land vom Ungeziefer zu befreien“. Zuvor schon hatte Johann Gottlieb Fichte (1762 bis 1814) mit seiner Vorstellung vom Judentum als feindseligem „Staat im Staate“ großen Einfluss gewonnen. Bergmanns Ausführungen sind wichtig; sie belegen, dass sich Wagner mit seiner Judenschelte auf einem Terrain bewegte, das auch andere schon viele eifrig beschritten hatten.
Kunst als Geschäftsmöglichkeit
Jens Malte-Fischer fasst seinen Text über Richard Wagners berüchtigtes Pamphlet „Über das Judenthum in der Musik“ zusammen und macht den Widerhall von Wagners Schrift in Hitlers Reden hörbar. „Jedenfalls hat das Judentum an sich überhaupt keinen Kunstwillen, sondern das Judentum sieht in der Kunst genau das, was es in allem sieht, nämlich eine Geschäftsmöglichkeit.“ Sagte Hitler 1929 im Hofbräuhaus in München, mit Richard Wagner als Stichwortgeber.
Der konnte Hitler auch in anderer Hinsicht beliefern. „Ob der Verfall unserer Cultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elements aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen“, schrieb Wagner in der verschärften zweiten Ausgabe seines Pamphlets, „denn hierzu Kräfte gehören müssten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist.“ Man muss gar nicht weit über diesen Satz hinausgehen, um zur „Endlösung“ zu gelangen.
Cosima Wagner als Mittelpunkt
Hannes Heer wiederholt seine These von Cosima Wagner als Mittelpunkt des Bayreuther Kreises und seines Antisemitismus. „Sie war nicht Wagners Sekretärin, sie war auf Augenhöhe.“ Sie sei die Erbin seines politisch-ideologischen Erbes gewesen. Stefan Mösch wiederum zeigt auf, wie der jüdische Dirigent Hermann Levi unter Bayreuth litt. Auch weil Cosima die quasireligiöse Verehrung Levis für Wagner schickanös ausnützte. Wobei "Jude" oft auch eine reine Zuweisung war. Auch am nichtjüdischen Felix Mottl meinte Cosima Wagner irgendwann die glatte Oberflächlichkeit der verhassten "Rasse" auszumachen.
Wagners Vorstellungen von der Reinigung und Wiedergeburt des deutschen Menschen durch die Kunst wurde zur Quasi-Religion mit Bayreuth als kultischem Zentrum. Dorthin zog es auch den kommenden Bestseller-Autor Houston Stewart Chamberlain (1855 bis 1927), dessen Wirken Anja Lobenstein-Reichmann und Sven Fritz analysieren.
Erster Weltkrieg als Höhepunkt
1882 hatte Chamberlain in Bayreuth die Uraufführung des „Parsifal“ bestaunte, ohne allerdings die Bekanntschaft Richard Wagners zu suchen. 1888 lernte er in Dresden Cosima Wagner kennen, 1908 heiratete er sogar eine Tochter des Meisters. „In Bayreuth war es mir Heimatlosen von der Vorsehung beschieden, eine Heimat zu finden“, schrieb er.
Den Ersten Weltkrieg sah er als Höhepunkt eines seit Jahrtausenden währenden Krieges der Rassen, den Deutschland aufgrund seiner überlegenen Tugenden gewinnen werde. In seinen Aufsätzen steigerte er sich in Vernichtungsphantasien hinein, auch gegen England, das sein Germanentum verraten und sich dem Materialismus ergeben habe.
Wagners Apostel hatte eine schlimme Saat ausgebracht. Insofern war es nur folgerichtig, dass die im Grabenkrieg schon geschlagenen Deutschen 1917 hinter ihrer „Siegfriedlinie“ einen letzten trügerischen Erfolg feierten. Zuvor aber hatten sie im Unternehmen „Alberich“ die von ihnen besetzten Gebiete Frankreichs so hasserfüllt wie planmäßig verwüstet und vermint. Noch in diesem Vorgriff auf den totalen Krieg meint man Chamberlains Handschrift entdecken zu können.
INFO: Hannes Heer/Sven Fritz (Hrsg.), Weltanschauung en marche. Die Bayreuther Festspiele und die „Juden“ 1876 bis 1945“. Königshausen & Neumann, 29,80 Euro.