Jubiläum Die schnelle Hilde

Haben einen weiten Weg hinter sich: Karin Neilson (von links) und ihre Tochter Andrea Neilson reisen aus Aus­tralien nach Bayreuth, um den 100. Geburtstag von Oma Hildegard Rothemund zu feiern. Auch Oberbürgermeister Thomas Ebersberger kommt zum Gratulieren Foto: Nicole Wrodarczyk

Für die kleine Feier reisen auch Tochter und Enkelin aus Australien an. 16 000 Kilometer legen sie zurück.

 
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100 Jahre. Was kann ein Mensch in dieser Zeit alles machen? Bayreutherin Hildegard Rothemund weiß es: laufen wie ein Flitzebogen, Blumen gießen, Obst anbauen. Und eine Familie großziehen. Ihren 100. Geburtstag feiern alle in der Wagnerstadt – auch die Tochter und die Enkelin aus Australien.

Ihr Zuhause, das war in der Straße 99 Gärten. Dort lebte Rothemund in einem schönen Haus mit einem schönen Garten, den sie hegte und pflegte. Heute lebt sie im Seniorenstift am Glasenweiher. Dort wird sie gehegt und gepflegt. Sie leidet an Demenz.

Früher verbrachte sie fast jeden Tag im Garten. Für ihre Enkelin Andrea Neilson (53) baute sie mal Himbeeren an. Selbst anpacken, um anderen etwas Gutes zu tun, das war ihr immer wichtig, bestätigt Neilson. In der Nachbarschaft wurde das angebaute Gemüse getauscht, „damit immer genügend auf den Tisch kommt“, sagt die Enkelin. Im Garten sprossen die Tomaten und Stachelbeeren. Kein Blatt lag verwelkt auf dem Gehweg.

Zu Hause, das war ihr Mann Manfred. Mitten im Krieg haben sie geheiratet, 1943. Manfred war an der Front, kam nach ein paar Monaten verletzt von der Krim zurück, hat danach Schreibarbeiten für die Wehrmacht verrichtet. Nach dem Krieg blieb er dem Schreibtisch treu, als Beamter beim Landesversicherungsamt. Während er an Papieren saß, trainierte seine Frau bei der Bayreuther Turnerschaft. Ihre Disziplin: 100-Meter-Lauf. „Die schnelle Hilde“ nannten sie sie dort, weil sie immer als Erste ans Ziel kam.

1959 baute Manfred seiner Hilde ein Haus in 99 Gärten. Ein kleines Stückchen Freiheit, Hildes kleines Paradies. Drei Stockwerke. Jedes hatte eine eigene Wohnung. Im Dachgeschoss übernachtete Tochter Karin Neilson (77), wenn sie auf Heimatbesuch war. Denn Karin zog es ans andere Ende der Welt. Dorthin ging sie mit John. Den Geologen aus dem sonnigen Melbourne lernte sie in Bayreuth kennen. Dort war er wegen Richard Wagner. „Beethoven und Bach konnte er überall hören“, sagt Karin. „Aber Wagner nur hier.“

Während der Festspiele 1963 suchte John eine Bleibe – und landete im Gästezimmer der Familie Rothemund. „Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagt Karin. Drei Jahre später folgte sie John nach Australien. Ließ alles zurück, auch Mama Hilde. „Ohne Wagner wäre ich nie nach Australien gekommen.“

Vier Mal reiste auch Jubilarin Hilde nach Australien, ließ sich von der Sonne dort bräunen. Sie liebt die Strände in Melbourne, genießt die Freiheit. Ihr Mann Manfred kam nie mit. „Er hatte Platzangst im Flieger. Seit er aus dem Krieg zurückkam“, sagt Tochter Karin.

„Wir fühlten uns Bayreuth immer verbunden“, sagt Enkelin Andrea. Sie wurde in Australien geboren, heiratete 1995 trotzdem in Bayreuth. Der Oma zuliebe. „Sonst hätte sie nicht dabei sein können.“

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