Johnson hatte bereits angeboten, dass Nordirland sich auch nach dem Brexit an EU-Produktstandards hält, was Warenkontrollen an der inner-irischen Grenze unnötig machen würde. Nun steht nach britischen Medienberichten eine spezielle Zollpartnerschaft für Nordirland zur Debatte. Die nordirische Volksvertretung könnte, wie von London gewünscht, ein Mitspracherecht bekommen, ob die Lösung dauerhaft angewandt wird. Doch sollen nicht einzelne Parteien ein Vetorecht ausüben dürfen.
Die EU will eine feste Grenze mit Kontrollposten auf der irischen Insel vermeiden, weil neue Unruhe in dem ehemaligen Bürgerkriegsgebiet befürchtet wird. Gleichzeitig will die EU verhindern, dass unkontrolliert und unverzollt Waren über die neue EU-Außengrenze in den Binnenmarkt strömen. Mit Johnsons Vorgängerin Theresa May hatte die EU eine Klausel gefunden, den sogenannten Backstop. Doch Johnson lehnt diesen kategorisch ab. Deshalb wird nun in allerletzter Minute noch einmal nach einer Lösung gesucht.
EU-Diplomaten ließen trotz der Annäherung auch Skepsis durchblicken. Die Vorschläge seien nicht so konkret wie gedacht, ein Verhandlungstext liege nicht vor, hieß es. EU-Ratspräsident Tusk erklärte, es fehlten immer noch umsetzbare und realistische Vorschläge aus Großbritannien, betonte aber: "Selbst die kleinste Chance muss genutzt werden." Die Alternative zur neuen Verhandlungsrunde wäre nach Tusks Worten gewesen, jetzt aufzugeben.
Eigentlich müsste ein Deal beim EU-Gipfel am 17. und 18. Oktober unter Dach und Fach gebracht werden - binnen einer Woche. Denn das britische Parlament hat Johnson eine Frist gesetzt: Gibt es bis 19. Oktober keinen Deal, muss er von Gesetzes wegen bei der EU eine längere Austrittsfrist beantragen. Der Premier schließt das bisher aus, sagt aber auch nebulös, das Gesetz werde er natürlich einhalten.
Das britische Unterhaus könnte am 19. Oktober zu einer Sondersitzung zusammenkommen. Ob Johnson einen etwaigen Brexit-Deal durchbekäme, ist unklar. Denn er hat im Parlament keine eigene Mehrheit mehr und ist nicht nur auf Stimmen der nordirischen DUP, sondern auch auf erhebliche Hilfe der Labour-Opposition angewiesen. Ob die Johnson zum Erfolg verhilft, ist offen - in Großbritannien läuft schon die Kampagne vor einer erwarteten Neuwahl an.