Interview mit dem Sohn von Altkanzler Helmut Kohl Walter Kohl als Versöhner

Von Elmar Schatz
Walter Kohl, Sohn von Altkanzler Helmut Kohl, fotografiert in Königstein (Hessen) am 27.05.2013. Foto: Frank Rumpenhorst/lhe (zu dpa-KORR.: "Walter Kohl ist vom Kanzlersohn zum Versöhner geworden" vom 30.05.2013) +++(c) dpa - Bildfunk+++ Foto: red

Walter Kohl (50), der ältere der beiden Söhne von Altkanzler Helmut Kohl, hat in Bayreuth bei den 58. SchmidtCollegTagen zum Thema „Kraftquellen für Unternehmer“ gesprochen. Dem Kurier erklärt er in diesem Interview, wie er in seiner persönlichen Krise aus dem Tod seiner Mutter, der CDU-Parteispendenaffäre und dem Zerbrechen seiner ersten Ehe einen neuen Lebensweg gefunden hat.

 
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Herr Kohl, Sie sagen: Ich hatte meinen Selbstmord schon komplett geplant. Wie sind Sie aus diesem Tief herausgekommen?

Walter Kohl: Dieses Tief war das Ergebnis aus drei Schicksalsschlägen, die innerhalb weniger Monate mein altes Leben aus den Angeln hoben. Ich stand vor der Wahl, mich von dieser Welt zu verabschieden oder aber einen völlig neuen Lebensansatz zu finden. Glücklicherweise fand ich eine Reihe von Inspiratoren, die mir halfen. Anselm Grün war und ist eine große Quelle der Kraft für mich, auch Viktor Frankl mit seiner Logo-Therapie, also der sinnzentrierten Lebensführung, hat mir viel gegeben. Die Stoiker, insbesondere Seneca und Mark Aurel, bleiben weiterhin Quellen der Kraft für mich. Daraus hat sich für mich ein inneres Dreieck entwickelt: Frankl, Seneca – und ganz wichtig, die Neuentdeckung meines Glaubens, Gott. In diesem Dreieck wohnen weitere Inspiratoren, so Nicolaus von der Flüe oder Hildegard von Bingen. Dank ihrer konnte ich neue Antworten finden.

Das war die Zäsur 2002?

Kohl: Es war nicht eine Zäsur im engeren Sinne des Wortes, sondern eine komplette persönliche Neuorientierung und Neuausrichtung. Für mich war es wichtig anzuerkennen, dass das, was war, in einer neuen, nicht schmerzenden Weise in mein Leben integriert werden kann, dass aus alten Kraftfressern neue Kraftquellen werden können.

Ihr Umgang mit dem Thema Suizid habe dazu geführt, dass Menschen Ihnen gesagt haben: „Sie haben mir geholfen, ich mache keinen Selbstmord.“ Sie gehen dann ans Grab Ihrer Mutter und sagen: Das haben wir gemeinsam geschafft ...

Kohl: Ich sage am Grab meiner Mutter nicht, dass wir es gemeinsam geschafft haben, sondern dass wir gemeinsam einen Beitrag geleistet haben. Das ist ein wichtiger Unterschied. Denn letztlich entscheidet jeder Mensch für sich selbst, man kann nur durch Inspirationen helfen.

Sie sind Unternehmer geworden, leiten eine Firma für Umformtechnik im Bereich Automobilzulieferindustrie. Wie kamen Sie dazu, als Politiker-Sohn?

Kohl: Wäre mein Vater Bäcker oder Metzger gewesen, hätte ich auch nicht unbedingt Bäcker oder Metzger werden müssen – oder? Ich bin meinen eigenen Weg gegangen. Ich war lange in den USA, wo ich studiert habe und im Investment Banking arbeitete. Schließlich bin ich wieder nach Deutschland zurückgekehrt und habe im Management von großen Unternehmen gearbeitet. 2004 habe ich zusammen mit meiner koreanischen Frau ein deutsch-koreanisches Unternehmen in der Automobilindustrie gegründet.

Was bedeutet Unternehmer sein für Sie?

Kohl: Ich glaube, man ist stets in zweifacher Weise Unternehmer: Unternehmer nach außen, mit dem, was wir mit unserer Firma tun, und Unternehmer nach innen, mit dem, was wir mit unserem Leben tun. Wie ich im Vortrag sagte, bedeutet dies, dass es zwei parallele Entwicklungen geben sollte: die Weiterentwicklung unserer Firma und die persönliche Entwicklung, insbesondere auch im Bereich Emotionen und Umgang mit uns selbst.

Sie haben in Bayreuth vor Unternehmern die Frage gestellt: Pflegen Sie Ihre Seele? Wie kann der Unternehmer seine Seele pflegen im brutalen Tagesgeschäft?

Kohl: Davor sagte ich, dass der Mensch eine Einheit aus Körper, Geist und Seele ist. Daher meine Frage: Wie viel Zeit verbringen Sie mit der Körperpflege, der Pflege Ihres Intellekts, Ihres Geistes – und schließlich der Pflege Ihrer Seele? Mein Anstoß war: wenn Körper, Geist und Seele gleichberechtigte Bausteine unseres Lebens sind, dann sollten wir ihnen auch jeweils die gleiche Aufmerksamkeit schenken. Für mich heißt Seelenpflege bewusste Einkehr, Besinnung und Rückkehr zu uns selbst. Ich glaube weiterhin, dass je härter der Markt, und die Automobilindustrie ist ja nicht gerade ein softer Markt, desto wichtiger ist die eigene seelische Klarheit, weil sie zu einer zentralen Kraftquelle in uns wird. Ich würde sogar noch pointierter formulieren: Kann es sich ein Unternehmer überhaupt leisten, nicht seine Seele zu pflegen?

Wir haben in Oberfranken sehr viele Automobilzulieferer. Wie kann ein Zulieferbetrieb überleben – bei dem ungeheuren Sog aus Asien?

Kohl: Ich glaube, da gilt das berühmte Wort von Willy Brandt: Jede Zeit hat ihre eigenen Antworten. Ein deutscher Mittelständler muss sich heute sehr genau überlegen, welche Komponenten seiner Wertschöpfung er wo und wie herstellt. Was macht er selbst, was kauft er hinzu? Es ist letztlich eine Herausforderung an das eigene Geschäftsmodell. Wir haben in den 60er und 70er Jahren ein sehr 
tiefes, produktionsorientiertes Geschäftsmodell in Deutschland entwickelt. Spätestens nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und der Öffnung der Grenzen, auch in Richtung China, hat sich die Wettbewerbssituation fundamental verschoben.

Was wird aus dem Industriestandort Deutschland?

Kohl: Viele in Deutschland leben heute in einem Widerspruch. Auf der einen Seite freuen sie sich, wenn sie günstige Waren oder Autos aus Asien kaufen können, und auf der anderen Seite klagen sie über verloren gegangene Arbeitsplätze. Ich denke, der Standort Deutschland hat viele Vorteile im Bereich Know-how und Entwicklung. Wir haben große Stärken im Vorausdenken der nächsten Produktgenerationen. Es gibt genügend erfolgreiche Beispiele dafür, wir müssen nur am Ball bleiben.

In Oberfranken haben wir viele kleinere Firmen, die Produkte entwickelt haben, die weltweit erfolgreich sind.

Kohl: Genau. Die entscheidende Frage bei der Entwicklung ist die Halbwertszeit. Es gibt Industrien, da ist die Halbwertszeit sehr kurz. Im Telekommunikationsbereich sind sechs oder zwölf Monate schon eine kleine Ewigkeit. In der Automobilindustrie ist es etwas anders. Daher gibt es keine pauschalen Antworten. Wir müssen uns dem Wettbewerb stellen und können uns nicht auf der Insel der Seligen in Deutschland ausruhen. Wir müssen sehr kritisch hinterfragen, wie viel Staat und wie viel Steuern können wir uns leisten, bis unser Ansatz zum eklatanten Wettbewerbsnachteil wird. Darin sehe ich das eigentliche Problem.

Sie haben vier Kinder, drei stehen vor dem Abitur. Wie gelingt es
Ihnen, die eigenen Kinder für die Zukunft fit zu machen?

Kohl: Eltern sollten fordern, fördern und lieben, durch das Teilen von Erfahrungen und im positiven Sinn durch das Provozieren von eigenem Denken. Junge Erwachsene und Schüler in der Oberstufe sind keine Kinder mehr, wollen ihr Leben gestalten. Es ist nicht so, dass sie eine negative oder konträre Lebenseinstellung haben. Ich glaube, es ist vor allem die Aufgabe von Eltern oder Älteren, ihr Wissen zur Verfügung zu stellen und in einen kritischen, sachlichen Dialog einzutreten. Wenn dies wertschätzend geschieht – nicht nach der Art: Ich weiß alles besser!, sondern nach der Art: Was denkst du, wie siehst du das? –, dann erreichen Sie im Regelfall einen sehr guten Dialog. Das ist es, was Sie als Eltern tun können. Alles andere liegt in der Hand der Kinder. Es ist ihr Leben, das gestaltet werden will, und damit auch ihre Verantwortung.

Wie stehen Sie zu Ihrem Vater; er hatte ja gerade seinen
84. Geburtstag?

Kohl: Er feierte am 3. April seinen 84. Geburtstag. Ich habe ein völlig entspanntes und befriedetes Verhältnis zu meinem Vater. Das habe ich schon 2011 in meinem Buch „Leben oder gelebt werden“ geschrieben. Dieser Friede ist noch viel älter und daran hat sich für mich überhaupt nichts geändert.

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