Impfpflicht Sorge vor einem Pflegenotstand

Birgit Süß und die Mitarbeiter ihres privaten Pflegedienstes können nicht alle Anfragen annehmen. Foto: red/red

Birgit Süß, Chefin des gleichnamigen Pegnitzer privaten Pflegedienstes sieht mit großer Sorge einer Impfpflicht für Pflegekräfte ab Mitte März entgegen.

 
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Pegnitz - Birgit Süß macht einen erschöpften Eindruck beim Gespräch. Die 59-jährige Chefin des gleichnamigen Pegnitzer mobilen Pflegedienstes hat einen anstrengenden Arbeitstag hinter sich. Am Vorabend ist eine ihrer Palliativpatientinnen gestorben. Das hat sie ziemlich mitgenommen, sie hat die Frau bis zuletzt begleitet.

Flache Hierarchien

Anfangs hat Birgit Süß als medizinisch-technische Assistentin in der Radiologie eines Krankenhauses gearbeitet, dann eine Umschulung zur Pflegefachkraft gemacht und hat sich 2007 mit dem mobilen Pflegedienst selbstständig gemacht. „Ich wollte es anders, besser machen“, sagt sie, „vor allem was den Umgang mit den Mitarbeitern angeht.“ Flache Hierarchien, mehr Miteinander, jeder soll etwas sagen können. „Pflege so, wie du selbst gepflegt werden willst“, sei das Credo, ergänzt ihre Bürokraft Franziska Rasch.

Viele Anfragen ablehnen

Rund 130 Patienten betreut sie mit ihren 27 Mitarbeitern, davon 20 in der Pflege. Die Patienten wohnen in Pegnitz, Pottenstein, Plech, Creußen, Obertrubach und Trockau, einem Umkreis von etwa 20 Kilometern. „Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt“, sagt Süß. Sie können nicht alle Anfragen annehmen, sagt Rasch, müssen viele ablehnen, auch solche, die nicht von anderen Hilfsdiensten wegen Personalmangels betreut werden können. Sie hat ältere Demenzpatienten, aber auch jüngere Krebs- und Insulinpatienten als Kunden.

Kontakte grundsätzlich meiden

Und die Situation ist in der Corona-Zeit noch schlechter geworden. Viele Patienten haben ihren Vertrag aus Angst vor Ansteckung niedergelegt. Nicht Angst, sich bei ihr und ihren Mitarbeitern anzustecken, sondern grundsätzlich. Viele ziehen sich einfach zurück, igeln sich ein, meiden grundsätzlich Kontakte. Das habe schon vergangenes Jahr begonnen, als das mit der Impfung noch nicht so präsent war, sagt sie. Es herrsche eine allgemeine Unsicherheit, hat sie beobachtet. „Wir wollen nicht an Corona sterben“, würden vor allem ältere Patienten sagen. Sie hätten Angst vor dem Virus.

Jeder muss selbst entscheiden

Sind sie und ihre Mitarbeiter alle geimpft? Bis auf zwei alle und die beiden würden sich aus Überzeugung nicht impfen lassen. „Ich will sie nicht dazu zwingen, das muss jeder selbst entscheiden, ob er sich impfen lässt“, sagt Süß. Sie seien skeptisch wegen der ständig neuen geforderten Impfungen, zweifeln an, ob die Impfung sicher ist. Und hat sie infizierte Patienten? „Ja, da sind welche dabei.“ Zwei ihrer Patienten sind im Krankenhaus an der Infektion gestorben, aber es sind auch welche daheim, die von ihrem Pflegedienst betreut werden. Hat sie selber Angst sich dort anzustecken? „Nein“, sagt Birgit Süß, „ich blende eine mögliche Ansteckung aus.“ Wenn sie zu Corona-Patienten gehen, dann tragen sie die erforderliche Schutzkleidung, Maske sowieso. Bei der Station des Pflegedienstes in der Schlossstraße gibt es getrennte Eingänge für die Pflegekräfte und vorne zum Bürobereich. Die Übergaben erfolgen telefonisch, um eine Ansteckung unter den Kollegen möglichst zu verhindern. „Die Pflege ist anstrengender geworden mit der Maske und dann mit der Schutzkleidung natürlich erst recht.“ Es brauche etwa die doppelte Zeit, um einen Patienten zu versorgen. Abgerechnet werde aber nur der übliche Satz. Ausgaben habe sie dann extra wegen der Schutzkleidung und der zusätzlichen Desinfektionsmittel.

Für beide Seiten schlimm

Große Sorge hat Birgit Süß, wenn im März tatsächlich die Impfpflicht kommt. Dann entscheide das Gesundheitsamt, wie mit den ungeimpften Mitarbeitern weiter verfahren werde. „Das gibt einen Pflegenotstand“, ist sie sich sicher, „das wird für beide Seiten – Patienten und Mitarbeiter – schlimm.“ Wenn sie keine ungeimpften Mitarbeiter mehr beschäftigen darf, müsse sie Patienten den Vertrag kündigen. „Die Pflegedienste kommen langsam an ihr Limit“.

Wie oft müssen sie sich für die Arbeit testen? „Wir machen das dreimal die Woche und auf Wunsch auch extra, haben einen separaten Raum dafür“, sagt Süß. Die beiden ungeimpften Kollegen müssen sich alle 24 Stunden testen lassen.

Patienten haben Zukunftsängste

Geändert seit Corona hat sich auch, dass die Patienten jetzt nach Gesprächspartnern suchen, ihre persönlichen, sozialen Schicksale jemandem mitteilen wollen. Oft hätten die Patienten zum Beispiel Zukunftsängste bei anstehenden Operationen. Aber auch bei ihren Mitarbeitern habe die psychische Belastung zugenommen, der Krankenstand sei höher, es müssten öfter Krankheitsfälle aufgefangen werden. Oft setzt sie sich mit ihren Mitarbeitern zusammen, spricht mit ihnen, damit sie sich „entladen“ können. Der Job sei schon ohne Corona anstrengend. Um 6 Uhr ist der erste Patient dran, rund 30 bis 45 Minuten sind bei der Grundpflege mit waschen, anziehen, Medikamentengabe und hauswirtschaftlichen Leistungen eingeplant. Etwa zehn Patienten betreut jeder auf seiner Tour. Besonders wichtig ist Birgit Süß die Palliativpflege. „Das kann nicht jeder“, sagt sie. Aber ihr liegt diese Tätigkeit besonders am Herzen, der würdige Abschied von den Betreffenden dann. „Das ist keine Routine“, sagt sie, „und das muss man sich manchmal von der Seele reden.“

Privatleben stark eingeschränkt

Birgit Süß ist 24/7 erreichbar, wird oft auch nachts rausgeklingelt, wenn zum Beispiel ein Demenzpatient etwas nicht findet. „Die haben oft das Gefühl für die Tageszeit verloren.“ Und auch wenn ihr Privatleben stark eingeschränkt ist, kann sie sich keine andere Tätigkeit vorstellen, macht es immer wieder gerne. Aber oft wünscht sie mehr Anerkennung, sowohl von den Menschen, vor allem aber von der Politik. „Und die angedachte Impfpflicht ist eine Geringschätzung der Pflege.“

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