Im Zweifel für Sicherheit

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Polizeipräsident Alfons Schieder zum neuen Polizeiaufgabengesetz. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Er muss es ausführen und will es nicht kommentieren. Und doch stört Alfons Schieder etwas. Der oberfränkische Polizeipräsident hört bei der Diskussion um das neue Polizeiaufgabengesetz (PAG) vieles, bei dem er sich wundert. „Unsachlich“, nennt er das.

 
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Dass über das neue PAG so viel öffentlich  diskutiert wurde, hatte er nicht erwartet.  Auch  nicht,  dass sich in der  Diskussion  einige „unwahre und unsachliche“ Behauptungen einschleichen. Schieder: „Die Diskussion zeigt,  dass die Bürger nicht politikmüde sind“, aber auch, „dass die Durchdringung  des Themas nicht einfach ist“.

Das neue PAG ist im Vergleich zum alten erheblich angewachsen. „Die mehr als 100 Seiten Gesetzentwurf und -begründung sind schon für einen Fachmann schwer zu lesen“, sagt Schieder. In den sozialen Medien allerdings werde „mit Viertel- und Halbwissen um sich geworfen“, das dann „für bare Münze genommen“ werde. Das Schrägste sei die Handgranate gewesen: Polizisten dürften jetzt nicht nur Handgranaten einsetzen, sondern sie auch mit sich führen. Schieder versteht die „emotionale“, beklagt aber die „unsachliche Diskussion“.

Er stellt die Frage: „Welches Maß an Sicherheit möchten die Bayern haben – und welches Maß an Unsicherheit sind sie bereit zu ertragen?“ Sicher seien die Bürger von Großstädten wie Berlin oder Hamburg „belastbarer als die bayerische Landbevölkerung“. Er ist „im Zweifelsfall für die Sicherheit“.

Neu im Gesetz sind unter anderem folgende Punkte:

Erweiterte DNA-Spuren-Untersuchung: Wenn sich ein verdächtiger Mann bei einem Kinderspielplatz herumtreibt. Die Polizei wird gerufen, findet aber nur noch ein Taschentuch mit eventuellen Spermaspuren. Diese darf sie jetzt beschränkt (zum Zwecke der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters, des Geschlechts, der Augen-, Haar- und Hautfarbe) auswerten und mit ihrer Datenbank abgleichen. Es besteht die Chance, einen Pädophilen zu finden. „Die Alternative wäre, auf die Maßnahme zu verzichten und das Restrisiko in Kauf zu nehmen“, sagt Schieder. „Das wäre ebenso legitim und rechtsstaatlich.“ Aber der Gesetzgeber habe sich anders entschieden, sich also dafür entschieden, dieses Restrisiko zu minimieren.

Die Polizei darf nicht nur Telefone abhören, sondern schon seit Jahren auch Messenger-Dienste wie Whatsapp und Computer durchleuchten – nunmehr allerdings auch schon bei einer sogenannten drohenden Gefahr. Schieder verweist zudem auf die „Sicherstellung“ von Datenmaterial in einer Cloud, einem virtuellen Speicherplatz. Offiziell heißt das „Zugriff auf informationstechnische Systeme“. Bisher durften Beamte beispielsweise kinderpornografisches Bildmaterial auf dem Smartphone sichern. Das neue Gesetz ermöglicht die Erweiterung auf „nicht körperliche Speichermedien“. Solche Maßnahmen aber müssen vorher von einem Richter genehmigt werden. Schieder weist darauf hin, dass die bayerische Justiz bis zu zwölf neue Richterstellen allein aufgrund des mit dem neuen Polizeiaufgabengesetz einhergehenden Mehraufwandes schaffen wolle. Dass der Freistaat zu einem Polizeistaat mutiere, „das glaube ich, ist ganz ausdrücklich nicht der Fall“, sagt Schieder.

Präventiv-Haft: Bereits seit der letzten PAG-Novelle im vergangenen Jahr kann ein Richter auf polizeilichen Antrag einen verlängerten Gewahrsam aussprechen, der spätestens alle drei Monate zu prüfen ist. Es ist einer der am heftigsten umstrittenen Punkte der aktuellen Diskussion. Kritiker sagen, es sei theoretisch möglich, den Gefährder beliebig lange in Haft zu nehmen. Doch Schieder warnt: Dies sei „das schärfste Schwert“. Und die Polizei dürfe „nicht aufgrund von Vermutungen einschreiten, auch der Gewahrsam setzt konkrete Anhaltspunkte voraus“. Die Ermittler müssten beispielsweise wissen, dass ein möglicher Terrorist in einem Terror-Camp gewesen sei. Die reine Vermutung reiche nicht aus. Außerdem sei die Präventiv-Haft nur dann möglich, wenn es sich um ein wichtiges Rechtsgut handle, es also insbesondere um Leib oder Leben gehe.

Neu ist auch die Body-Cam, eine kleine Kamera an der Uniform, die Beamte beim Einsatz laufen lassen. Sie darf aber nicht in der Wohnung eingesetzt werden und die Aufnahmen werden erst gespeichert, wenn nach der Aufnahme ein Knopf gedrückt wird. Dann allerdings werden im Rahmen des sogenannten Prerecording auch die Sekunden vorher von der Speicherung mitumfasst.

Auch Drohnen dürfen jetzt zu polizeilichen Zwecken eingesetzt werden. Diese dürfen aber nicht über Versammlungen oder Demonstrationen fliegen.

Auch Sprengmittel dürfen – wie bisher – als letztes Mittel eingesetzt werden. Neu ist, dass die Entscheidung darüber der Landespolizeipräsident fällt, nicht wie bisher der Innenminister. Allerdings dürfen „normale“ Polizisten diese nicht dabeihaben und anwenden, sondern nur die dafür besonders ausgebildeten Spezialeinheiten, die Spezialeinsatzkommandos in Nürnberg und München.

Ein weiterer Kritikpunkt der Gegner ist, dass das neue Gesetz zwar hauptsächlich für den Kampf gegen Terroristen verschärft wurde, aber jetzt über Terrorlagen hinaus zur Anwendung komme. Schieder kontert: „Kommt es auf die Phänomenologie des möglichen Täters an oder rede ich vom zu schützendem Rechtsgut?“ Man schütze Leib oder Leben doch nicht nur, wenn der Täter ein Terrorist ist, sondern auch, wenn es sich beispielsweise um einen potenziellen Amokläufer handle.

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