„Ich habe keinen Ausweis. Ich kann mich nicht ausweisen.“ Gustl Mollaths Abgang aus der Psychiatrie war ein Medienspektakel

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Den Moment zögerte er hinaus. Dramaturgisch geschickt inszeniert, wie alle seine wenigen Auftritte in der Öffentlichkeit. Eigentlich hätte Gustl Mollath schon um 12.15 Uhr die Klinik verlassen können – aber er ließ die Journalisten warten auf seine Freilassung aus der Unterbringung. Währenddessen halfen ihm zwei seiner Unterstützer, die vielen Akten und Zeitungsausschnitte, die er über sieben Jahre und fünf Monate gesammelt hatte, aus dem Keller des Bezirkskrankenhauses in Bayreuth in einen weißen Lieferwagen zu packen.

 
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Er hätte die Pakete auch abholen lassen können und schneller die Klinik verlassen können. Bis 17 Uhr hatte die Klinik gebeten, fertig zu sein. Aber es gehe „zögerlich“ voran, hieß es. Und duschen musste er auch noch. „Es hängt an ihm, die Klinik zu verlassen“, sagte Karsten Schieseck, der Anwalt der Klinik, der die Ankunft Mollaths immer wieder verschieben musste.

Aber dann kommt um 17.54 Uhr der Mann, der bis 12.15 Uhr noch als allgemeingefährlich galt. Er kommt für die Kameras eine abschüssige Wiese heruntergelaufen. Beifall, sogar von Journalisten. Händeschütteln. Die Kameras umringen ihn. In der Hand hält er Topfpflanzen. Eine kleine Dattelpalme und ein Orangenbäumchen, die er während seiner Unterbringung gepflanzt hatte. Er nennt sie seine „Mitgefangene“, die ihn über viele Jahre begleiteten. Wie er sich den ersten Tag in Freiheit vorstellt? „Schön“, sagt er.

„Ich habe keinen Ausweis. Ich kann mich nicht ausweisen.“

Aber die reine Freude lässt er nicht zu, als ob sie nicht passen würde zum Auftritt des endlich freien Gustl Mollath, den er und seine Unterstützer zu einem Opfer der Justiz stilisiert haben. „Ich weiß, was noch alles zu schaffen ist“, sagt er. Er müsse sich konzentrieren auf wichtige Dinge. Das Allerwichtigste: „Ich habe keinen Ausweis. Ich kann mich nicht ausweisen.“ Woher jetzt einen Ausweis kriegen? Hier in Bayreuth? Das Problem eines freien Menschen. Die Klinik habe ihm hier nicht geholfen. Sagt er.

Die Klinik sagt, man habe ihm – wie jedem Entlassenen – Hilfe angeboten. Sie bietet Hilfe bei der Wohnungssuche oder für Anträge bei Ämtern, etwa wenn es um Ausweispapiere geht. Offenbar hat Mollath die Hilfe abgelehnt und sie sich lieber bei seinen Unterstützern geholt. Nur eines war anders beim Entlassenen Mollath. Geld bekam er keines, denn das bekommen nur „mittellose Patienten“, hieß es.

Wie er sich fühle, hatten Journalisten Mollath gefragt, was er an seinem ersten freien Tag mache: Schwimmen gehen oder Eis essen? Mollath teilte wie gewohnt gegen die Klinik aus. „Nach bald acht Jahren in einem wunderschönen Krankenhaus mit top ausgebildetem Personal“, in einem „rechtsfreien Raum“, in dem einem die „Grundrechte versagt“ würden, in dem er „viele“ Mitgefangene erlebt habe, die sich die „ultimative Hilfe“ durch Suizid geholt hätten. Mollaths langjähriger Mitpatient Andreas G. (33) beschreibt diesen „rechtsfreien Raum“, in dem er bis gestern mit ihm gelebt hat, so: „Vor dem haben die alle Respekt gehabt.“ Der sei immer gleich mit seinen Anwälten gekommen.

Und was Mollath machen will an seinem ersten Tag in Freiheit, jenem Ziel, „das in unendlicher Ferne lag, es zu erreichen“ – er wusste es nicht.

Schlafplatz ungeklärt

Und wo er schlafe in seiner ersten Nacht draußen? Auch das, sagte er, wisse er noch nicht. Das müsse noch geklärt werden.

Dann ließ er sich die letzten Meter bis zum Parkplatz des Klinikums von Reportern begleiten, stieg in den weißen Lieferwagen ein und fuhr weg. Ein anderes weißes Auto folgte ihm dicht. Beide Wagen bogen in die Tiefgarage am Rotmaincenter ein und fuhren auf der anderen Seite Richtung Fränkische Schweiz wieder heraus. Auch hier stimmt die Dramaturgie von Gustl Mollaths Abgang. Dann hat er Bayreuth hinter sich.

Würde er doch wieder untergebracht werden, dann nicht wieder im Bezirkskrankenhaus der Stadt, das hilfsweise eingesprungen war, weil damals in Erlangen kein Platz frei war.

Bei wem er unterkommen wird, wovon er leben wird, das ist noch nicht klar. Er hat Unterstützer und auch schon davon gesprochen, bei „entfernten“ Verwandten unterkommen zu können. Es gebe Angebote. Was sicher sein dürfte: Mollath wird nach Kurier-Informationen ein Buch über den Fall Mollath schreiben. Das räumte er auch ein: Es gebe Angebote. „Man müsste ein Buch schreiben“, sagt er.

„Dann wird es für Herrn Mollath gar nicht so lustig werden“

Zunächst aber soll es darum gehen, alle Vorwürfe, die gegen ihn erhoben werden, zu widerlegen. Zu zeigen, dass das, „was mir vorgeworfen wurde, nicht stimmt“. In Justizkreisen erwartet man deshalb mit Spannung, ob seine Ex-Frau Petra M. in seinem neuen Prozess aussagen wird. Denn sie hat ihm in fast allen Punkten widersprochen. „Dann wird es für Herrn Mollath gar nicht so lustig werden“, sagt ein Beteiligter. Aber das ist dann eine andere Dramaturgie.

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