Holocaust-Gedenktag Ein langes Leben im Land der Täter

Hanneliese Wandersmann bei einem ihrer wenigen öffentlichen Auftritte. Am 27. November 2016 legt sie anlässlich des 75. Jahrestages der Deportation jüdischer Mitbürger zusammen mit Oberbürgermeister Brigitte Merk-Erbe einen Kranz im Rathaus nieder. Foto: Andreas Harbach

In zwei Deportationen wurden 1941 und 1942 Bayreuther Juden in die Vernichtung transportiert. Hanneliese Wandersmann und ihre Mutter Friedel haben überlebt. Ihr Bruder Max und Vater Leopold starben. Trotzdem kamen sie wieder zurück nach Bayreuth, ihre Heimat.

 
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Bayreuth - Wenn ihr Vater nach Ladenschluss nach Hause kam, setzte er sich in den Clubsessel und hörte klassische Musik mit seinem Grammophon. Er war ein begeisterter Wagnerianer. Und weil sie oft dabeisitzen durfte, konnte sie schon mit sechs oder sieben Jahren die Gralserzählung auswendig. Das erzählte Hanneliese Wandersmann dem Historiker Norbert Aas in einem ihrer Treffen in den Jahren 2010 und 2011. Die 1928 geborene Hanneliese Reinauer ist die letzte noch Lebende jener Bayreuther Juden, die die Vernichtungslager der Nazis überlebt haben. „Nur eine Handvoll ist zurückgekommen“, sagt Aas, der die Erzählungen der heute 92-Jährigen in seinem Buch „... und trotzdem wieder Bayreuth“ festgehalten hat.

Gegen das Vergessen

Am 27. Januar 1945 befreiten russische Soldaten das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Seit 2006 findet an diesem Datum der internationale Holocaust-Gedenktag statt. Damit die Gräuel der Nazis, die Ermordung von Millionen von Juden, politischen Gegnern, Sinti und Roma, Homosexuellen und vielen mehr nicht in Vergessenheit gerät, hat der World Jewish Congress (WJC) in diesem Jahr die weltweite Kampagne #WeRemember gestartet.

Auch in Bayreuth wird den Opfern gedacht. An den zentralen Gedenkstätten werden am Mittwoch Kränze niedergelegt – bei den Gedenksteinen für die jüdischen Opfer der NS-Diktatur sowie an den Gedenktafeln für die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Neuen Rathaus, am Gedenkstein für das KZ-Außenlager Bayreuth in der Spinnereistraße/Nordring, an der Gedenktafel für die Opfer der Sinti und Roma in der Markgrafenallee, an der Gedenktafel für die jüdischen Toten auf dem Israelitischen Friedhof an der Nürnberger Straße und an der Gedenktafel für die KZ-Opfer aus dem Konzentrationslager Ravensbrück auf dem Stadtfriedhof, teilt Pressesprecher Joachim Oppold mit. Eine Gedenkfeier werde es wegen der Corona-Pandemie nicht geben.

Glückliche Zufälle

Historiker Norbert Aas möchte an diesem besonderen Gedenktag auch an jene Menschen erinnern, die das unbeschreibliche Gräuel erleben und unerträgliches Leid erfahren mussten in den Konzentrations- und deren Außenlagern und nur dank glücklicher Zufälle überlebt haben. Die letzte Zeitzeugin der Deportation Bayreuther Juden ist Hanneliese Wandersmann, die 1928 als Tochter von Friedel und Leopold Reinauer geboren wird. Die Familie, zu der auch der fünf Jahre ältere Bruder Max gehört, wird mit anderen Bayreuther Juden am 27. November 1941 in ein Barackenlager nach Nürnberg gebracht. Von dort bringt sie ein Zug in einem mehrtägigen Transport nach Riga in das Konzentrationslager Jungfernhof. Das Schicksal von Leopold Reinauer lässt sich nicht mehr hundertprozentig klären, sagt Aas. Er sollte wohl nach Auschwitz deportiert werden und ist auf dem Transport gestorben. Sohn Max stirbt bei einem Bombenangriff. Friedel und Hanneliese überleben mehrere Lager und kehren im Spätjahr 1945 zurück.

Sehnsucht nach einer Familie

„Einen unbändigen Lebenswillen“ muss Hanneliese Reinauer besessen haben. Wie sonst, sagt Aas, kann man nach dem Grauen nur diesen einen Wunsch verspüren: eine Familie zu gründen. Sie habe damals, habe Hanneliese Wandersmann erzählt, den unbedingten Wunsch verspürt, ein Kind zu bekommen. Im Alter von 17 Jahren heiratet sie Felix Wandersmann, einen Überlebenden aus Polen. Ein Jahr später kommt ihre erste Tochter zu Welt. Der Wunsch nach Geborgenheit muss überwältigend groß gewesen sein, sagt Aas. Und nach Anschluss. Hanneliese habe wieder ihre beste Schulfreundin getroffen, auch wenn deren Mann ein hoher SS-Offizier gewesen sei. Auf Bildern sehe man sie tanzen, unter anderem mit einem besonders engagierten Führer der Hitlerjugend. „Sie hat nie, in keinem unserer Gespräche, über die schrecklichen Erlebnisse und Erfahrungen gesprochen“, erinnert sich Aas. „Es war, als hätte sie ein aktives Vergessen betrieben, all die schrecklichen Dinge ausgeblendet. Nie hat sie konkret von den Tätern gesprochen, sie gar benannt oder beschrieben. Sie war nicht von Hass getrieben oder von Vergeltung“, so Aas weiter. „Diese Fähigkeit nach all dem Leid bewundere ich zutiefst.“

Wieder zurück nach Bayreuth

1974 zieht die Familie mit der jüngsten der drei Töchter nach Israel. „Dort hat sie Ihresgleichen gefunden“, weiß Aas. Menschen, die wie sie die Hölle durchmachen mussten und die sich auch gegenseitig davon erzählten. 30 Jahre lebt Hanneliese Wandersmann in Israel, besucht regelmäßig ihre Töchter. Als ihr Mann 1997 starb, sei der Wunsch, nach Bayreuth zurückzukehren, zu ihren Töchtern und Enkeln, übermächtig geworden. Und sie wollte erneut anknüpfen an das Leben vor ihrer Ausreise. „Sie spielte unglaublich gerne Karten, besonders Bridge“, sagt Aas. Und sie wurde wieder heimisch in Bayreuth. Zum dritten Mal.

Hanneliese Wandersmann lebt heute in einem Seniorenheim in Bayreuth. Liebevoll umsorgt von ihren Töchtern und Enkeln und regelmäßig am Sonntag besucht von Norbert Aas.

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