Hof glänzt mit "La Traviata"

Von Frank Piontek
Bannender ist es kaum denkbar: Anna Sohn packt den Zuhörer als Violetta vom ersten Augenblick an. Foto: : H. Dietz Fotografie Foto: red

Lohnender Ausflug: Unser Mitarbeiter Frank Piontek nahm den Bus-Shuttle nach Hof. Sah dort "La Traviata". Und erlebte einen Traum.

 
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Gerade war mit der Inszenierung des „Sommernachtstraums“ im Römischen Theater der Eremitage ein Großtraum zu erleben. An einem Wochenende, an dem auch das Theater Hof einen Traum inszeniert. Ein Traum, der, je nach Betrachtungsweise, einen ganzen Akt oder einen ganzen Abend dauert. Violetta, die „vom Wege Abgekommene“, stirbt da ihren bekannten und auch in dieser Aufführung ergreifenden Tod, doch wird sie nicht von den bekannten Protagonisten in die letzten Momente ihres Lebens begleitet.

Jeder stirbt für sich allein, auch die Frau, die sich ein Sterbefest imaginiert hat, das noch einmal den Liebsten und seinen Vater, die getreue Begleiterin Annina und den guten, aber angesichts der Todeskrankheit hilflosen Doktor an ihrem Sterbebett vereinigt sieht. Es ist nur ein Traum – ein Traum, der mit dem Leben enden muss. Die Aufführung von Verdis revolutionärer Oper als einen einzigen Traum zu bezeichnen wäre ebenfalls nicht falsch, steht doch eine Sängerin auf der Bühne, die erstens nuanciert und wohltönend singt und zweitens so gut agiert, dass die bekannte Geschichte von Neuem ins Herz wohl eines jeden Zuschauers greift. Anna Sohn ist eine Violetta Valéry, die den Zuhörer vom ersten bis zum letzten Augenblick packt, weil sie gerade die feinen Töne beherrscht. Ihr „misterioso“, also die Erinnerung an das Liebesgeständnis ihres Alfredo, könnte bannender nicht sein.

Meister der Nuancen

Es kommt auch deshalb so überzeugend über die Rampe, weil am Pult der Hofer Symphoniker ein Dirigent steht, der dem Orchester beigebracht hat, wie man zugleich leise und intensiv spielen kann. Dieser Verdi kracht nicht unter Arn Goerke, er singt sich aus, er ist rhythmisch federnd, er klingt stellenweise gar wie ein idealer Operntraum des Robert Schumann; die Streicher ziselieren nicht allein in den zahlreichen Valse tristes dieses Totentanzes die schönsten Linien aus dem Material, das Verdi im Grenzgebiet zwischen Kammerspiel und großer Geste angelegt hat.

Schlichte Strenge

Die Regie folgt dieser Linie, weil die Verlagerung der Handlung in die Endzwanziger den sozialen Rahmen, in dem eine solche Outsider-Geschichte noch möglich scheint, um das Motiv der Drogensucht erweitert. Lothar Krause hat, zusammen mit der Bühnenbildnerin Annette Mahlendorf, klare Bilder einer dekadenten besseren Gesellschaft in klar strukturierten, zunehmend dunkler werdenden Räumen geschaffen. Allzu starker Symbolismus ist ihm fremd, abgesehen von der abgenutzten Idee des Schneiens; nur der Auftritt eines kleinen Mädchens, das im Gespräch des bürgerlichen Vaters mit der unbürgerlichen Lebedame für die zu verheiratende Tochter des alten Germont einstehen soll, bricht – unnötigerweise? – das Konzept, das eher das Sozialdrama als das Traumspiel zu betonen scheint. Wäre da nicht der gesamte dritte Akt…

Dass er in seiner schlichten Strenge funktioniert, liegt auch am Tenor. Andre Nevans, der den Alfredo als netten Jungen gibt, besitzt eine schmiegsame lyrische Stimme, die zum expressiven wie gezügelten Sopran seiner Partnerin schon charakterlich trefflich passt. Bleibt der Bariton, James Tolksdorfs Germont, der viellicht zu salbungsvoll singt, um gänzlich zu überzeugen. Die vollkommene Schönheit seines Organs passt andererseits trefflich zu seinen vielen Bezeugungen der bürgerlichen Anständigkeit, der Gottestreue und des Lobpreises des „Engels“ Violetta, der eben auf dem Altar der bürgerlichen Reinheit geopfert werden muss?

Starker Beifall für eine handwerklich geglückte wie stimmlich und instrumental erstklassige Aufführung, die das Wort von der „Provinz“ unaufgeregt widerlegt.