Herzogmühle: Bleiben war nicht geplant

Von
Nur noch Bauschutt ist übrig von der einstigen Obdachlosensiedlung Herzogmühle. Dieser Tage wurde das letzte von elf Gebäuden abgerissen.⋌Foto: Andreas Harbach Foto: red

Christian Wickles kennt die Herzogmühle und ihre ehemaligen Bewohner besser als viele andere: Über 30 Jahre lang arbeitete der heute 67-Jährige als Sozialarbeiter im Dienste der Stadt Bayreuth. Eine seiner Hauptaufgaben: Die Betreuung der in der Obdachlosensiedlung lebenden Menschen. Wickles ist froh, dass die Siedlung nicht mehr existiert. Noch besser wäre es gewesen, sagt er, es hätte die Herzogmühlenie gegeben.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Es ist gut, wie es gekommen ist“, sagt Christian Wickles ohne Wehmut. 30 Jahre lang, fast sein gesamtes Arbeitsleben, hat der 67-Jährige als Sozialarbeiter der Stadt Bayreuth Bewohner der Notunterkünfte in der Siedlung Herzogmühle betreut. Dass die „Schlichtbauten“, wie er sie nennt, endlich abgerissen sind, begrüßt er ausdrücklich. Doch eigentlich, sagt er nach kurzem Nachdenken, hätte man gar nicht so lange warten sollen. Man hätte schon viel früher niemanden mehr in die Obdachlosenwohnungen einweisen dürfen und vielen Menschen damit das Stigma der Herzogmühle erspart.

Was war denn die Herzogmühle eigentlich? Eine Siedlung für Ausgegrenzte, für Kriminelle, für Gescheiterte oder für Aussteiger? Es gibt nicht die eine Antwort, zu unterschiedlich hat sich die Siedlung im Laufe der Jahrzehnte entwickelt, weiß Wickles. Am Anfang, Ende der Fünfziger Jahre, stand die Überlegung, jene Menschen in menschenwürdige Unterkünfte umzusiedeln, die in den vielen Baracken lebten, die noch immer über die Stadt verstreut waren. Die Häuser waren absichtlich in einer Weise geplant und gebaut, die ein längerfristiges Wohnen verleiden sollten: Keine Duschen oder Bäder in den Wohneinheiten; Toiletten auf dem Gang; Waschhäuser zum Waschen und Duschen. Die Zimmer waren klein, die Nachbarn fremd. Größere Einheiten wurden ausschließlich an Familien vermietet. Wer hier einzog, tat das nicht freiwillig. Er hatte schlicht und einfach kein Dach mehr über dem Kopf, sagt Wickles.

Querschnitt der Bevölkerung

Als der junge Sozialpädagoge Wickles 1980 in die Dienste der Stadt Bayreuth eintrat, lautete einer der Schwerpunkte seiner Aufgaben, sich um die Herzogmühle zu kümmern. „In erster Linie ging es darum, dass ich den Personenkreis Herzogmühle betreuen und bei der Wohnungssuche unterstützen sollte“, sagt er. Kein einfaches Unterfangen. Wer schon längere Zeit in den Notunterkünften lebte, hatte meist jede Hoffnung und jeden Antrieb verloren, jemals eine andere Wohnung zu finden. „Schon damals, in den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens, hatte die Herzogmühe diesen Ruf des sozialen Brennpunktes“, sagt Wickles. Ein Stadtteil, wo eigene Regeln, vor allem aber Kriminalität herrschen würden. „Alles Quatsch“, sagt Wickles. Er sei 30 Jahre dort tätig gewesen, sei immer mit seinem Auto hingefahren „und mir wurde nie auch nur ein Rad gestohlen“. Die Bewohner der Herzogmühle hätten einen Querschnitt der Bevölkerung dargestellt: Junge Familien, gebildete Menschen, die gescheitert waren, Alleinstehende, Rentner und Kranke, die laut Wickles dort absolut am falschen Ort gelandet waren. Eine Tatsache, die Wickles heute noch ärgert. Immer wieder hätten Krankenhäuser Patienten entlassen, die ihren vorherigen Wohnsitz verloren hatten. Darunter auch Patienten, die aus Orten der Region stammten. Wenn sie sich dort gemeldet hätten, habe man ihnen beteuert, dass man keine Unterkunft bieten könne. Ob man ihnen empfohlen habe, sich an die Stadt Bayreuth zu wenden, weiß Wickles nicht. Man könnte es jedoch vermuten, weil viele von ihnen in der Herzogmühle gelandet seien. „Die hätten dort gar nicht aufschlagen dürfen“, betont Wickles, weil ihr vorheriger Wohnort zuständig gewesen sei.

Dass es unter Bewohnern der Herzogmühle – „dort haben auch Hallodris gewohnt“ – zu Gewalttaten kam, will Wickles nicht verhehlen. Er sei sich jedoch sicher, dass die Kriminalitätsquote nicht höher gewesen sei als in anderen Stadtvierteln. Mit einem Unterschied: „Was auch immer passierte: Weil es in der Herzogmühle passierte, wurde es viel mehr aufgebauscht“, sagt Wickles. Weshalb die Herzogmühle auch recht schnell als „Klein-Chicago“ verschrien gewesen sei.

Den Vorwurf, die Stadt habe die Herzogmühle genutzt, aber nicht beachtet, lässt Wickles nicht gelten. Im Rathaus habe sich sogar eine Kommission, bestehend aus Vertretern einzelner Referate, ausschließlich mit der Herzogmühle und den dort herrschenden Verhältnissen beschäftigt. Doch mit der Frage, wie der Zustand der immer maroder werdenden elf Gebäuden mit ihren in Hochzeiten 250 Bewohnern verbessert werden könnte, begab sich die Kommission in einen Zwiespalt. Einerseits wollte man die Gebäude im Interesse der Bewohner sanieren, andererseits sollten die Bewohner sich dort nur begrenzte Zeit aufhalten.

Richtige Entscheidung

Dass die Taktik geändert wurde, die Bewohner mit Hilfe des Projektes Chance umgesiedelt wurden, sei die richtige Entscheidung gewesen, sagt Wickles. Für ihn bedeutete diese „unerklärliche Wendung“ von den geplanten Neubauten hin zur Räumung der Häuser am Ende seiner Karriere als Sozialarbeiter, Bewohnern beim Umzug zu helfen. „Ich habe zahlreiche Waschmaschinen im Kofferraum meines Autos in neue Wohnungen transportiert“, erinnert er sich.

Dass die Herzogmühle Geschichte ist, dass das Stigma der Bewohner langsam ausstirbt – Wickles freut es. „Es ist gut, wie es gekommen ist“, sagt er. Und fügt nach kurzem Nachdenken an: „Am besten wäre es gewesen, sie wäre nie errichtet worden.“

Autor

Bilder