Nitsch: Ich würde schon sagen. Ich habe mich seit frühester Jugend mit seinem Werk beschäftigt und habe ein eigenes Werk aufgebaut. Ich habe auf der ganzen Welt mein Theater vorgeführt. Aber es war eigentlich mein Wunsch, in der Gegend, wo ich wohne und die ich sehr liebe, mein Theater zu realisieren. Im Weinviertel.
Als Aktionskünstler werden Sie für die Bayreuther „Walküre“ vermutlich keine fertigen Bühnenbilder liefern. Werden sie selbst auf der Bühne aktiv sein?
Nitsch: Ich bin eingeladen worden und man hatte bestimmte Vorstellungen. Man wollte gerne, dass ich während der drei Akte eine Malaktion durchführe. Das werde ich tun. Es ist nicht so, dass ich eine Inszenierung aufbaue, die der „Walküre“ entspricht, sondern eine Malaktion durchführe, die wohl indirekt mit der farbenprächtigen, breit ausladenden Musik von Richard Wagner zu tun hat.
Wird die Farbe Rot eine wichtige Rolle spielen?
Nitsch: Ich habe viel mit Rot gemalt. Aber gerade bei der „Walküre“ möchte ich das ganze Farbspektrum einsetzen, alle Regenbogenfarben.
Und der Zuschauer kann den Entstehungsprozess beobachten.
Nitsch: Vollkommen richtig! Es gibt ein Vorbild. Ich habe bei mir im Weinviertel in Mistelbach ein großes Museum. Da habe ich mal eine Malaktion mit allen Farben durchgeführt. An diese Aktion denke ich bezüglich Bayreuth.
Wird auch Blut zum Einsatz kommen?
Nitsch: Nein. Aber es sind noch Monate bis zur Aufführung. Ich kann mich auch vor mir selber noch nicht festlegen.
Tierkadaver und Eingeweide?
Nitsch: Ich habe an eine Malaktion gedacht.
Im Sommer 2019 gab es in der Albertina in Wien eine Ausstellung zu ihrem Werk mit großformatigen Bildern. Muss man sich das so vorstellen?
Nitsch: Ich würde sagen: Ja. Aber trotzdem möchte ich darüber nicht reden. Bis zu einem gewissen Grad weiß ich es selbst noch nicht. Per Zufall hat sich ergeben, dass ich zur gleichen Zeit in Prinzendorf mein Hauptwerk aufführe, das sechs-Tage-Spiel.
Warum sechs Tage? Wollen Sie die vier Tage von Wagners „Ring“ übertreffen?
Nitsch: Nein, in der Kunst gibt es nichts zu übertreffen. Dieser ganze Ranking-Blödsinn – Wagner ist so etwas Großartiges. Es ist vermessen, das übertreffen zu wollen. Wir Künstler laufen alle parallel. Wagner ist eine herausragende Erscheinung. Wie Michelangelo. Oder Beethoven.
Sie haben Bilder gemalt, deren Motiv an den leidenden Jesus am Kreuz oder Amfortas erinnern. Gibt es in Ihrem Werk Wagner-Bezüge?
Nitsch: Durchaus. Ich habe mich mein ganzes Leben lang mit Tiefenpsychologie, mit Freud und vor allem mit C.G. Jung beschäftigt. Daher ist für mich die Passion immer ein Darstellungsbereich gewesen. Die christliche Liturgie, die Vision des Grals, die nicht nur durch Richard Wagner definiert ist, sondern in der Bewusstseinsentwicklung unserer Lebendigkeit voll da ist, haben mich immer fasziniert. Ioan Holender hatte mich ursprünglich eingeladen, an der Wiener Staatsoper den „Parsifal“ zu inszenieren. Wir waren kurz vor der Vertragsunterzeichnung. Dann waren da politische Umwälzungen und das hat sich zerschlagen. Die Symbolbereiche zu Wagner und zu meinem Werk sind sich in Teilen sehr ähnlich. Aber nicht, weil ich ein epigonales Verhältnis zu Wagner habe, sondern weil wir beide zu unserer Kollektivpsyche, wo die Mythen verankert sind, eine starke Beziehung haben.
Würde es Sie reizen, noch einen „Parsifal“ auf die Bühne zu bringen?
Nitsch: Ich bin 82 Jahre alt. Ich habe mein eigenes Theater und wollte überhaupt nichts mehr inszenieren. Aber das war ein zufälliger, freundlicher und herzlicher Überfall, dem ich nicht ausweichen konnte und wollte.
Woraus schöpfen Sie Kraft, um Kunst zu machen?
Nitsch: Ich habe immer Kunst gemacht, nicht um viel Geld zu verdienen, sondern weil es mir große Freude gemacht hat. Und das ist bis heute geblieben.
Zu Beginn ihrer Laufbahn sind Sie ja auch mal im Gefängnis gelandet…
Nitsch: Aber nicht, weil ich etwas Schuldhaftes getan habe, sondern weil die Gesetze in Österreich sehr konservativ waren. In Österreich gab es damals noch keinen Paragrafen für die Freiheit der Kunst, den es damals in Deutschland schon gab.