Henning Schmitz: Mehr Mensch als Maschine

Von Udo Meixner
Henning Schmitz berichtete in der Aula des Graf-Münster-Gymnasiums über seinen beruflichen Werdegang als Tontechniker und seine Karriere bei Kraftwerk. Seit 1991 tourt der 63-Jährige mit der Band um die Welt. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Auf Einladung des Vereins Freunde des Graf-Münster-Gymnasiums hat Henning Schmitz am Freitagabend über seinen Weg in eine der wichtigsten Musikgruppen der Welt berichtet. Sympathisch, offen, keineswegs abgehoben. Und gleichsam Beweis dafür, dass hinter der akribisch aufgebauten Fassade des Gesamtkunstwerks Kraftwerk doch noch Menschen arbeiten – keine Maschinen.

 
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Mythos Kraftwerk. Durch Schweigen und Verweigerung allen Marketings wurde die Band zum Kult – Interviews der Musiker sind Mangelware, Privates ist tabu. Henning Schmitz hat ein paar Bausteine aus dem Kraftwerkkosmos erläutert. Seit 1978 gehört der heute 63-Jährige als Tontechniker zum Umfeld der Gruppe. 1991 wird er von den damals noch verbliebenen Gründungsmitgliedern Ralf Hütter und Florian Schneider in die Band berufen.

Berühmter GMG-Absolvent

Henning Schmitz kommt am 26. Dezember 1953 in Wuppertal zur Welt. 1956 erhält der Vater, Maschinenbauingenieur, ein lukratives Jobangebot beim Eisenwerk Hensel und die Familie zieht um nach Bayreuth. Erst wohnt sie in der Tannenberg-, später in der Schwindstraße. Henning Schmitz besucht die Luitpoldschule, später das GMG. Eine Erweiterung seines musikalischen Horizonts erfährt Henning Schmitz als Jugendlicher im Old Baily (heute: Aktienkeller): „Dort lief die Musik der US-Soldaten vom Bindlacher Berg: James Brown, Marvin Gaye, The Temptations.“

Berufsziel: Bild- und Tontechniker

In der zwölften Klasse des Gymnasiums wird die wohl entscheidende Weiche für eine steile Karriere gestellt. Berufsberater vom Arbeitsamt hatten die schwierige Aufgabe die Hauptinteressen von Henning Schmitz, Mathe und Musik, in Einklang zu bringen. Fragebögen werden ausgefüllt, viele Kreuzchen gemacht. „Und irgendwann stand das Ergebnis fest“, erinnert sich Henning Schmitz. Und das Ergebnis lautet lapidar 357. Für die Jobberater bedeutet die Zahl 357 laut Liste „Diplomingenieur für Ton- und Bildtechnik“. „Na gut, wenn die das sagen, dann mach ich das halt“, erklärt Henning Schmitz in seinem Vortrag lachend.

Großstadt Düsseldorf - große Freiheit

Nach dem Abitur 1974 am GMG und Wehrdienst bei den Fernmeldern landet Schmitz am Konservatorium in Düsseldorf: „Das bedeutete Großstadtfeeling, große Freiheit.“ Alles war „easy“ – „so nannten wir das damals eben“ erklärt Henning Schmitz schulterzuckend. Doch der Zeitgeist in Deutschland ist auch geprägt von Ölkrise, Vietnamkrieg, Friedensbewegung. Das schlägt sich auch in der Musik deutscher Bands nieder. Verkopfte Krautrock- und Avantgardebands wie Can, Amon Düül und Tangerine Dream wollen mit alten Traditionen brechen und schwingen sich auf zu neuen Ufern.

Erstes Album heißt "Autobahn"

Auch in Düsseldorf: Wir schreiben das Jahr 1970, als die Band Kraftwerk aus der jazzinspirierten Improvisationsband Organisation hervor geht. Die ersten Plattenaufnahmen unter dem neuen Namen hat die Band eher dem Geräusch als der Musik im klassischen Sinne gewidmet. Erst mit dem Album „Autobahn“ und der gleichnamigen Single beginnt die breite Öffentlichkeit im Jahr 1974 Notiz von Kraftwerk zu nehmen. Die Band vollzieht hier die Wende von konventionellen Instrumenten hin zum Elektropop, für den Kraftwerk später berühmt werden.

Aushilfe im örtlichen Tonstudio

1978 ist Henning Schmitz gerade noch damit beschäftigt, in Düsseldorf seine zehn vorgeschriebenen Semester am Musikkonservatorium zu absolvieren. Damit der Kühlschrank auch einigermaßen gefüllt ist, arbeitet er nebenbei als Aushilfe in einem der örtlichen Tonstudios. Durch die LP „Die Mensch-Maschine“ wird auch Schmitz auf die Band Kraftwerk aufmerksam, die aus seiner neuen Wahl-Heimatstadt stammen. Eines Tages arbeitet Schmitz wieder im Archiv des Tonstudios als er im Aufnahmeraum vertraute Klänge hört: Es läuft „Das Model“ von Kraftwerk. Ralf Hütter und Florian Schneider stellen gerade die englische Version des Hits fertig. Einer der bekanntesten Kraftwerk-Songs von einem Album, das auch den Sound der Band über Jahrzehnte hinweg definiert: Einfache Melodien im Wechsel mit emotionslosem Sprechgesang, unterlegt von einem monotonen Rhythmus.

Mitarbeit im Bandstudio "Kling Klang"

„Ich war fasziniert von dieser ultimativen Huldigung des elektronischen Klangs“, erinnert sich Henning Schmitz heute. Umso begeisterter ist er, als Kraftwerk ihn zunächst zum Besuch ins bandeigene „Kling Klang“-Studio einladen. Und ihm kurz darauf gar einen Job anbieten. „Ein- bis zweimal pro Woche war ich in den kommenden Jahren im Kraftwerk-Studio“, erklärt Schmitz. Eine Festanstellung findet er jedoch in einem Kölner Tonstudio, das hauptsächlich für den WDR arbeitet. Die Pendelei zwischen Köln und Düsseldorf wird Henning Schmitz irgendwann zu viel: „Ich habe noch einige Vorarbeiten für das Album ,Techno Pop‘ erledigt und den Kraftwerk-Job dann 1985 erst einmal aufgegeben.“ Doch wird er bei der Arbeit in Köln auch nicht glücklich und schon 1986 macht sich Schmitz selbstständig. In der Folge erweitert er zum Beispiel durch die Produktion von Hörspielen seine beruflichen Fähigkeiten.

Der Ritterschlag zum elektronischen Musiker

Die wichtigste Frage des Vortrags stellt sich Henning Schmitz dann selbst: Wie kommt es zur Aufnahme in die Band? Kraftwerk machen nach der „Computer World“-Tournee 1981 eine langjährige Konzertpause. In diese Zeit fallen auch einige Besetzungswechsel: Wolfgang Flür und Karl Bartos verlassen die Band – Fritz Hilpert, ein Freund von Henning Schmitz, und Fernando Abrantes steigen ein. In dieser Besetzung spielen Kraftwerk 1991 auch einige Shows in England, doch offenbar stimmt die Chemie mit Abrantes nicht. „Fritz Hilpert rief mich an und fragte, ob ich nicht mit Ralf, Florian und ihm auf Tournee gehen will“, erinnert sich Henning Schmitz. Und weiter: „Diese Einladung habe ich natürlich angenommen. Das war der Ritterschlag zum elektronischen Musiker.“

Feuertaufe in Helsinki

Seine Feuertaufe besteht Henning Schmitz am 18. Oktober 1991 beim Auftritt in Helsinki. Die folgende Tour führt die Band durch 15 Länder. „Dieser Spagat zwischen dem Thrill auf der Bühne und der Verpflichtung zur absoluten Zuverlässigkeit war neu für mich“, erzählt Henning Schmitz. Der für sich selbst dann auch gleich eine neue Berufsbezeichnung erfunden hat: „Performance-Engineer“.

Arbeit mit Klang-Bausteinen

Gleichzeitig räumt der GMG-Absolvent mit dem – nicht ganz ernst gemeinten – Vorurteil auf, die Kraftwerker würden bei den Liveauftritten auf den Laptops nur ihre Mails checken. „Auf der Bühne arbeiten wir hauptsächlich mit Klang-Bausteinen. Es ist viel Handarbeit und Modulation erforderlich, um den Kraftwerk-Klang lebendig wirken zu lassen.“ Bandboss Ralf Hütter ist dabei hauptsächlich für die Keyboards und den Gesang zuständig, Henning Schmitz macht sehr viele Sequenzen und Bass, Fritz Hilpert perkussive Sounds und Falk Grieffenhagen arrangiert die Videos synchron zur Musik.

Wann kommt das nächste Album?

Mit „Tour de France Soundtracks“ erscheint 2003 das bislang letzte Kraftwerk-Studioalbum. Nur logisch also, dass zum Ende des äußerst kurzweiligen Vortrags aus dem Zuschauerraum die Frage nach neuen Songs kommt. „Wir haben bereits nicht veröffentlichte Musik live gespielt“, gibt sich Henning Schmitz diplomatisch. Und weiter: „Wer weiß schon, was die Zukunft bringt?“

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