Grüner Faden In der Kommandozentrale der Familie

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Ihre Familie ist keine Nullachtfünfzehn-Familie. Daniela Engelhardt hat drei Pflegekindern ein Zuhause gegeben und lebt damit ihren Traum von der Großfamilie. Das Haus im Neubaugebiet von Mistelbach ist auch eine Hommage an ihre Heimat im Emsland und außerdem ein großes Familienprojekt.

 
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Der große offene Raum mit dem Blick hinaus in den Garten hat aber so gar nichts von Kommando. Eher von Miteinander. Der große Tisch lädt zum gemütlichen miteinander essen ein, zum Reden, Diskutieren. Es duftet nach Kaffee, weihnachtliche Dekoration über der Hängeleuchte. Kerzen auf dem Tisch, und immer wieder Sinnsprüche: Mutmachendes. Familie trägt, Familie hält. An der Wand, in der Ecke, überall.

Hier laufen die Fäden zusammen

Hier laufen die Fäden zusammen für ein großes Familienwerk, das Daniela Engelhardt gemeinsam mit ihrem Mann Tag für Tag bewältigt. Neben dem eigenen, inzwischen erwachsenen Sohn Leon sind es drei Pflegekinder, um die sie sich kümmert. „Es war immer unser Traum, vier bis sechs Kinder zu haben.“ Und als sich nach Leon kein Geschwisterchen einstellt, entschloss sich die junge Familie, Pflegekinder aufzunehmen. Der Antrag beim Jugendamt wurde sehr schnell positiv beschieden. „Wir sind da sehr blauäugig drangegangen“, meint Daniela Engelhardt heute. „Es war und ist oft sehr kräftezehrend. Man geht emotional an seine Grenzen und erlebt die Belastbarkeit der eigenen Ehe. Und dennoch: Es war immer unser Traum ...“

Familie leben – Familienleben

Familie leben. Familienleben. Daniela Engelhardt, die aus dem Emsland stammt, hat das quasi mit der Muttermilch aufgesogen. „Ich habe 15 Onkel und Tanten und 39 Cousins und Cousinen.“ Sie muss nicht vorher nachzählen. Jeder/jede einzelne von ihnen ist ihr präsent, und zu den meisten hält sie einen engen Kontakt. Aufgewachsen ist sie in Emsbüren, einer ländlichen Gemeinde, in einer Großfamilie mit zwei Geschwistern. „Dort ist meine Idee von Familie geboren.“ Alle lebten im Umkreis von etwa zehn Kilometern und man half und unterstützte sich gegenseitig. Jedes Familienfest sei gemeinsam gefeiert worden, und auch sonst traf man sich mal schnell auf einen Schwatz. „Jeden Mittag so um halb drei gab es Kaffee und Möpken (so nennt man im Emsland kleine Süßigkeiten, wie Kekse) in der Küche der Oma. „Sie hatte immer ein offenes Herz.“

Vom Heimweh gebeutelt

Und dennoch: Die junge Frau, die ihre Ausbildung zur Groß- und Außenhandelskauffrau abgeschlossen hat, drängt es mit 19 Jahren hinaus. Sie zieht nach Nürnberg, findet einen Arbeitsplatz in Erlangen und bekommt Heimweh. So massiv, dass sie ein halbes Jahr lang Wochenende für Wochenende nach Hause fährt. Wenn sie das Gefühl der Einsamkeit besonders beutelte, dann fuhr sie auch unter der Woche zurück ins Emsland. 600 Kilometer einfach. Bis sie eines Tages mit der Großmutter telefoniert und ankündigt, sie werde nicht kommen. Die kluge alte Frau weiß sofort Bescheid. Daniela Engelhardt hat ihren künftigen Mann kennengelernt. Und so wird es zunächst nichts mit der bereits geplanten Rückkehr in die Heimat. Das junge Paar heiratet bald, man überlegt, wo man sich niederlassen will und findet in Mistelbach einen Bauplatz.

Sonderwünsche von der Familie erfüllt

Und wieder kommt die Familie ins Spiel. „Made by family“ steht auf einem der weißen Klinker im Eingangsbereich. Auch das ist wieder wörtlich zu nehmen. „Dreiviertel des Hauses hat meine Familie gebaut“, sagt Daniela Engelhardt. Und auch Sonderwünsche, mit denen sich Heimweh stillen lässt, werden erfüllt. Häuser in diesem Baugebiet müssen normalerweise verputzt werden. Rote Klinker, wie sie im Emsland üblich sind, kennt man in Franken nicht und sind daher in Mistelbach auch nicht erlaubt. Und dennoch findet Daniela Engelhardts Vater nach langer Suche eine Lösung: den „Weißen Emsländer“. Ein Klinkerstein als Hommage an die Heimat verkleidet seither den Neubau.

Die erste große Belastungsprobe

Sohn Leon wird geboren und die junge Familie erlebt schnell ihre erste große Belastungsprobe. Der kleine Junge erkrankt an Krebs. Zwei Jahre dauert die Therapie. Zwei Jahre, in denen Daniela Engelhardt – sie ist damals 24 Jahre alt – mehr als einmal denkt, ob es nicht besser für ihn wäre, wenn er stirbt. Durchwachte Nächte im Krankenhaus, abwechselnd mit Schwiegereltern und Eltern am Bett des schwer kranken Jungen. „Durch meinen Mann habe ich da erlebt, dass auch Glaube trägt“, sagt Daniela Engelhardt.

Der Traum von der Großfamilie

Gemeinsam mit ihrem Sohn entscheidet sich die Familie nach dieser schweren Zeit, Pflegekinder aufzunehmen. Der Traum von der großen Familie ist geblieben. Und es gibt keinen Unterschied zwischen Kind und Pflegekind. „Das sind alles unsere Kinder.“ Zunächst zwei Jungs, Geschwister, die als Baby und Kleinkind in die Familie kamen. Das Jugendamt hatte allerdings deren Behinderung verschwiegen, und so kämpfte Daniela Engelhardt zunächst um die Anerkennung des erhöhten Förderbedarfs. „Ich war nur damit beschäftigt, das alles zu organisieren“, erinnert sie sich an die Anfänge. „Mein Alltag bestand daraus, Therapieanträge zu stellen, Widerspruchsbescheide zu bearbeiten, und die Kinder trotzdem unbedarft groß werden zu lassen.“ Das sei nicht leicht. „Wir haben inzwischen viel professionelle Hilfe hier, aber das dauert erst einmal, bis man das annimmt. Wir sind halt keine Nullachtfünfzehn-Familie.“

Mit dem Wohnmobil ans Meer

Und trotzdem. Der Traum von der großen Familie. Vor sechs Jahren nehmen Engelhardts noch ein Mädchen auf. „Ich hatte das Gefühl, dass ich da noch Kapazitäten frei habe“, sagt Daniela Engelhardt. Wieder folgt viel Bürokratie. „Das ist oft sehr ermüdend.“ Kraft schöpft die große Familie auch heute noch bei Urlauben mit dem Wohnmobil in Dänemark am Meer. „Zeit zum Durchschnaufen und Erholen für alle.“ Und Daniela Engelhardt wünscht sich einmal mehr, dass in unserer Gesellschaft nicht immer nur vom Leistungsdenken die Rede wäre. „Unsere Kinder sind mit dem eigenen Überleben oft genügend gefordert“, sagt sie. „Sie tragen einen solch großen Rucksack voll mit Problemen mit sich, dass ich ihnen jeden Tag aufs Neue ein Bildungsangebot machen muss. Das brauchen sie am meisten.“ Und wenn dann immer nur für die Note Eins im Zeugnis ein kostenloses Eis spendiert wird, „das schaffen diese Kinder nie“. Und sie wünscht sich, dass manche Menschen einmal darüber nachdenken sollten, wie es wäre, in den Schuhen anderer zu laufen. „Ich möchte mich nicht immer rechtfertigen müssen, denn ich fordere nichts von den Kindern.“

Abwechslung durch die Arbeit mit Zahlen

Abwechslung vom Alltag findet Daniela Engelhardt auch bei der Arbeit im Hippoteam Hummeltal, beim therapeutischen Reiten, im Elternbeirat der Dr.-Kurt-Blaser-Schule, aber auch als Kirchenpflegerin in der evangelischen Kirchengemeinde von Mistelbach. „Da habe ich dann viel mit Zahlen zu tun, das ist etwas ganz anderes.“

Und auch wenn Leon heute mit 19 gemeinsam mit seiner Freundin ausgezogen ist ins erste gemeinsame Heim, hat er doch eine enge Beziehung zu seinen Geschwistern und seiner Familie. „Das ist eine richtig große Geschwisterliebe.“ Ihre Kinder will Daniela Engelhardt bis zur Volljährigkeit bei sich behalten. Wenn die Kinder das wollen, sagt sie. Auch Leon kommt gerne nach Hause, darauf ist Daniela Engelhardt stolz. „Und dann trifft man sich am Küchentisch.“ Bei Kaffee und Möpken, wie es schon immer Tradition war im Emsland in den Häusern hinter den roten Klinkern. Und auch in Franken, hinter den weißen Klinkern, ist Platz für alle am großen langen Küchentisch.

Daniela Engelhardt gibt den Grünen Faden weiter an Sandra Frank. Sie ist stellvertretende Vorsitzende des Vereins „Wir sind alle gleich“ in Waischenfeld. „Sie kämpft für ein großartiges Projekt“, sagt Daniela Engelhardt, „das behinderten Menschen Wohn- und Arbeitsplätze vor Ort anbieten möchte.“

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