Nach Ansicht der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) ist der Brexit sowohl für Großbritannien als auch die EU ein "wirtschaftliches Desaster". Für deutsche Unternehmen herrsche eine erhebliche Planungs- und Rechtsunsicherheit, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian der Deutschen Presse-Agentur. "So besteht die Gefahr von Handelskonflikten, weil Großbritannien sich vom EU-Austrittsabkommen distanziert."
Insbesondere die britischen Pläne, von EU-Regeln abzuweichen, etwa beim Datenschutz oder bei Lebensmitteln seien eine Belastung für deutsche Unternehmen, sagte Adrian. Dies sei auch in den Handelszahlen zu beobachten: "Während Großbritannien im Jahr 2016 noch drittwichtigster Exportmarkt Deutschlands war, ist das Land im Jahr 2022 auf Platz 8 abgerutscht." Zudem wird allgemein erwartet, dass Großbritannien 2022 erstmals aus den Top Ten der deutschen Handelspartner rutschte. "Es steht für die Wirtschaft auf beiden Seiten des Kanals viel auf dem Spiel", sagte Adrian.
Eine Rückkehr Großbritanniens in die EU ist nach Einschätzung des britischen Politikwissenschaftlers Anand Menon in den kommenden 15 Jahren ausgeschlossen. Er sehe keine Chance, sagte der Leiter der Denkfabrik "UK in a Changing Europe" der dpa.
Die Brexit-Anhänger lassen nicht locker
Die sozialdemokratische Labour-Partei führt in Umfragen deutlich vor den Konservativen. Es gilt daher als wahrscheinlich, dass Parteichef Keir Starmer den amtierenden Premier Rishi Sunak nach der Wahl 2024 als Regierungschef ablösen wird. Starmer setzte sich in der Vergangenheit für eine Abkehr vom Brexit ein, wirbt aber inzwischen lediglich dafür, das Austrittabkommen zu verbessern.
Selbst eine stärkere Annäherung durch zusätzliche Verträge zwischen der EU und einer künftigen Labour-Regierung werde problematisch, glaubt Menon. Die EU werde sich denken: "Wollen wir wirklich einen Deal unterschreiben mit diesen Leuten, wenn die Konservativen in fünf Jahren wieder zurückkommen und alles in der Luft zerreißen?", sagte der Professor am King’s College in London.
Für Sunak, der vor allem die Erholung der Wirtschaft im Auge habe, sei selbst eine dafür dienliche Entspannung des Verhältnisses mit Brüssel schwierig. Es sei unklar, ob er sich gegen die Brexit-Anhänger seiner Partei durchsetzen könne, sagte Menon. Spekulationen zufolge wartet Sunaks Vorvorgänger Boris Johnson nur auf eine Gelegenheit, um dem Premier Verrat am Brexit vorzuwerfen und sich den Weg zurück an die Regierungsspitze zu bahnen.