Mit der Bestätigung des Urteils ignoriert Russland eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der vor wenigen Tagen die unverzügliche Freilassung des Oppositionellen gefordert hatte. Während der Gerichtshof seine Entscheidung als für Russland bindend bezeichnet, hatte der Kreml sie als Versuch der Einmischung in innere Angelegenheiten zurückgewiesen. Das Vorgehen der russischen Justiz ist auch ein Signal in Richtung Brüssel, wo die EU-Außenminister am Montag über mögliche weitere Sanktionen gegen Russland beraten wollen.
Der Kreml kommentierte die neue Gerichtsentscheidung gegen Nawalny nur indirekt: Auf die Frage, welche Auswirkungen sie haben werde, lobte Sprecher Dmitri Peskow Russlands politische Landschaft als "sehr vielschichtig". Er fügte hinzu: "Wir haben einen ausreichenden Pluralismus in der politischen Arena."
Kritik kam dagegen aus Deutschland: Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt sprach von "politischer Willkür" und forderte die Bundesregierung auf, sich energischer für die sofortige Freilassung Nawalnys einzusetzen. Der FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff sagte, die Entscheidung zeige, wie der Kreml mit aller Härte gegen die demokratische Opposition vorgehe - vor allem mit Blick auf die Parlamentswahl im September.
Nur zwei Stunden nach der Urteilsbestätigung wurde im selben Gebäude der nächste Prozess fortgesetzt. Sogar die Staatsanwältin sei dieselbe, spottete Nawalnys Team auf Twitter: "Bald teilen sie ihm einen persönlichen Richter und persönliche Polizisten zu."
Es war der vierte Verhandlungstag in dem Prozess um angebliche Veteranen-Beleidigung, Nawalny durfte das letzte Wort sprechen - schon das zweite an diesem Tag. "Ich spreche so oft das letzte Wort", scherzte er. "Falls sich jemand entschließen sollte, meine letzten Worte zu veröffentlichen, wird ein dickes Buch dabei herauskommen."
Hintergrund dieses zweiten Prozesses ist die Kritik Nawalnys an einem Video, das das Staatsfernsehen im vergangenn Sommer ausgestrahlt hatte. Darin werben mehrere Bürger - unter anderem ein heute 94-jähriger Veteran des Zweiten Weltkrieges - für eine Verfassungsänderung, die auch der Machtsicherung von Präsident Wladimir Putin diente. Nawalny beschimpfte die Protagonisten damals auf Twitter als "Verräter".
Der alte Mann soll sich von den Äußerungen so sehr beleidigt gefühlt haben, dass sich sein Gesundheitszustand verschlechtert habe. Nawalny hingegen sieht den Veteranen als "Marionette" in einem politisch motivierten Prozess und wirft dem Staat Scheinheiligkeit vor: Alleine der Gerichtsprozess habe mehr Geld verschlungen, als der alte Mann in den vergangenen Jahren an staatlichen Zuwendungen bekommen habe. Nawalnys Anwälte kündigten auch gegen dieses Urteil Berufung an.
Erneut kritisierte Nawalny am Samstag, dass alles mögliche vor Gericht thematisiert werde, nur der im August auf ihn verübte Anschlag nicht. Obwohl mehrere westliche Labore, darunter eines der Bundeswehr, in seinem Körper zweifelsfrei den Kampfstoff Nowitschok nachwiesen, will Russland in dem Fall nicht ermitteln. Am Samstag beschuldigte die russische Generalstaatsanwaltschaft die deutsche Seite erneut, ein Rechtshilfegesuch unzureichend beantwortet zu haben.
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