3. Breite Diskussion entscheidend
Vor dem tatsächlichen Referendum ist ein breiter gesellschaftlicher Diskurs über die Vor- und Nachteile des zur Abstimmung stehenden Pakets notwendig (siehe Frey und Bohnet 1994). Neben den Argumenten der gewählten Volksvertreter müssen auch andere Interessengruppen in der Gesellschaft Empfehlungen abgeben und dem Stimmvolk ihre Argumente darlegen. Der breite gesellschaftliche Diskurs verhindert, dass Volksentscheidungen auf Basis von diffusen Gefühlen getroffen werden. Die Zeit für einen breiten gesellschaftlichen Diskurs ist in Griechenland sehr knapp, da die Regierung die endgültige Entscheidungskompetenz zu lange nicht an das Volk abgeben wollte. Es ist allerdings zu vermuten, dass verschiedene Interessengruppen bereits grobe Positionspapiere zu den Konsequenzen der Gläubiger-vorschläge haben und daher ein gewisser, leider imperfekter, Diskurs während der kommenden Woche noch stattfinden könnte. Dabei ist es besonders wichtig, dass das Stimmvolk über mögliche Konsequenzen der Volksabstimmung informiert wird.
4. Referendum muss bindend sein
Die große Chance einer echten Volksentscheidung ist, dass endlich klare Verhältnisse geschaffen werden und dem Willen der Bürgerinnen und Bürger unter den bestehenden Beschränkungen Rechnung getragen wird. Das kann allerdings nur geschehen, wenn das Ergebnis der Volksentscheidung tatsächlich bindend ist. Es darf sich nicht um eine Art Volks-befragung zum Gläubigerpaket handeln, das nach Volkszustimmung wieder aufgeweicht oder nur teilweise umgesetzt wird. Eine Regierung die tatsächlich dem Volkswillen verpflichtet ist, setzt diesen auch gegenüber eigenen Partikularinteressen durch. Die griechische Regierung muss klarmachen, dass sie alle Forderungen bei Annahme einer Volksabstimmung tatsächlich umsetzt.
5. Volksmehrheit muss hinter Sparpolitik stehen
Unter diesen Bedingungen ist es eine richtige Maßnahme, das griechische Volk entscheiden zu lassen, ob es das, was mit hoher Wahrscheinlichkeit für den Verbleib in der Eurozone notwendig ist, akzeptieren möchte. Im Gegensatz zu ihren eigenen Behauptungen wurde die griechische Regierung nicht von einer Mehrheit der Griechen gewählt. Die linke Syriza erhielt bei der Wahl im Januar 2015 etwas mehr als 36% der Stimmen und ihr rechter Koalitionspartner Anel knapp 5% bei einer Wahlbeteiligung von etwa 64%. Dank des griechischen Wahlsystems, das einen Sitzbonus an die stimmenstärkste Partei gibt, verfügt die Koalitionsregierung über eine Mehrheit der Sitze im Parlament. Wie alle Parteien betreibt auch Syriza Klientelpolitik und wird diese weiter betreiben, sofern sich nicht eine klare Volksmehrheit für oder gegen die geforderte Sparpolitik entscheidet. Eine bindende Volksabstimmung über ein konkretes Maßnahmenpaket ist ein Auftrag für die griechische Regierung und schafft endlich Klarheit für Griechenlands Gläubiger und die Eurozone insgesamt. Ein echtes, bindendes Referendum über ein konkretes Maßnahmenpaket ist daher zu begrüßen
Zum Autor: Prof. Dr. David Stadelmann ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth und Research Fellow bei CREMA Schweiz (Center for Research in Economics, Management, and the Arts). Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem in wirtschaftlicher Entwicklung und Wachstum, Finanzwissenschaft, politischer Ökonomie und direkte Demokratie.
Einen Live-Ticker zu den aktuellen Entwicklungen rund um die Griechenland-Krise gibt es hier.
Literatur:
Bohnet, I. & Frey, B. S. (1994), 'Direct-Democratic Rules: The Role of Discussion', Kyklos 47(3), 341-54.
Frey, B. S. (1994), 'Direct Democracy: Politico-economic Lessons from Swiss Experience', American Economic Review 84(2), 338-342.
Stadelmann, D.; Portmann, M. & Eichenberger, R. (2013), 'Quantifying parliamentary representation of constituents’ preferences with quasi-experimental data', Journal of Comparative Economics 41(1), 170-180.
Stadelmann, D. & Torgler, B. (2013), 'Bounded Rationality and Voting Decisions over 160 Years: Voter Behavior