Gastkommentar Rassismus: Reden und handeln

Stefan Ouma
Professor Stefan Ouma Foto: red

Ein Gastbeitrag von Stefan Ouma darüber, warum Bayreuth nicht ein Ort für alle ist und wie sich das ändern kann.

 
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Nach der rassistisch motivierten Gewalttat gegen den SPD-Stadtrat Halil Tasdelen hieß es in der Regionalpresse, Bayreuth diskutiere nun, wie rassistisch die Stadt wirklich sei.

Diese Diskussion ist schnell wieder abgeflacht. Zwar solidarisierten sich viele Menschen mit Tasdelen in den sozialen Medien und auch einige Lokalpolitiker meldeten sich zu Wort.

Zwei Entwicklungen blieben aber bemerkenswerterweise aus: Zum einen ist bis heute kein direktes Wort von Oberbürgermeister Thomas Ebersberger zu hören. Der oberste Repräsentant einer Stadt, die erst jüngst die Charta der Vielfalt unterzeichnet hat, schweigt zum Vorfall. Zum anderen haben wir auf die Frage, wie es denn nun wirklich beim Thema Rassismus um Bayreuth bestellt ist, bis heute keine richtigen Antworten bekommen.

Der Beantwortung dieser Frage kann man sich zunächst auf der Basis von Daten für Gesamtdeutschland annähern. Hierzu lohnt ein Blick in die im Mai 2022 erschienene repräsentative Studie „Rassistische Realitäten“ des Berliner DeZIM-Instituts, dessen Direktorin Naika Forout folgendes Fazit zieht: „Rassismus ist Alltag in Deutschland. Er betrifft nicht nur Minderheiten, sondern die gesamte Gesellschaft, direkt oder indirekt.“

In der Zusammenfassung der Studie ist zudem nachzulesen: „Dass Rassismus Realität ist, erkennt beinahe die gesamte Bevölkerung an (90 Prozent). Fast jede zweite Person sieht Rassismus dabei nicht nur durch individuelles Verhalten bedingt, sondern als ein Phänomen, das den Alltag und die Institutionen der Gesellschaft prägt. Die Wahrnehmung von Rassismus geht demnach über die Herabwürdigung oder Gewaltangriffe gegenüber Minderheiten hinaus: Seine strukturelle und institutionelle Dimension scheint einem Großteil der Bevölkerung zumindest intuitiv bewusst zu sein.“

Da es sich hier um eine repräsentative Stichprobe handelt, können wir auch annehmen, dass die Befunde eine gewisse Validität für Bayreuth aufweisen.

Gleichzeitig zeigt sie, dass Rassismus eben nicht nur das intentionale Verhalten überzeugter Rassisten ist, wie oft gemeinhin angenommen wird.

Alltäglich gemachte Rassismuserfahrung

Diese Annahme verstellt nämlich den Blick auf alltäglich gemachte Rassismuserfahrungen und auch den institutionellen Rassismus, wie er mitunter in Behörden oder Bildungseinrichtungen erfahren wird. Aufgrund dieser Tatsache sollten wir auch die Diskussion um den Angriff auf Tasdelen kritisch bewerten. Bei einem Gewaltakt wie diesem scheint es vielen Menschen leichtzufallen – den Oberbürgermeister ausgenommen –, sich mit dem Opfer zu solidarisieren, weil der Täter dem Schema „dumpfer und gewaltbereiter Rassist“ entspricht.

Daran schließt sich jedoch die größere Frage an, wie sensibilisiert Bayreuth als (Universitäts-)Stadt gegenüber den weniger sichtbaren Formen von Rassismus ist und was dagegen konkret unternommen wird. Dazu gehören Erfahrungen wie diese: ein schwarzes zweijähriges Kind, das vor einigen Tagen in der Innenstadt von einem älteren Mann mit dem N-Wort bezeichnet wird, während alle weiteren anwesenden Erwachsenen lachen anstatt zu intervenieren; eine afrodeutsche Spielerin, die vor einiger Zeit auf einem Fußballplatz mit „ruhig, Brauner!“ bebrüllt wird; die Kinder von Schwarzen Mitbürgern, die bereits in der Schule rassistisch beleidigt werden, ohne dass die Lehrer oder Schulleiter ausreichend dagegen vorgehen; unfreundliche und diskriminierende Begegnungen in Bus und Behörden; die Discotür, die verschlossen bleibt, „weil man nicht reinpasse“. Schwarze Kinder, die beim Familienfest in der Wilhelminenaue Ende Mai anderen Kindern begegnen, deren T-Shirts verkünden: „Ich bin stolz, ein Mohr zu sein“ (um ihre Mitgliedschaft bei den „Mohrenwäschern“ zu zelebrieren).

All dies sind Ereignisse, von denen mir Studierende, Gäste und Kollegen während meiner drei Jahre Hochschullehrertätigkeit in Bayreuth berichtet haben. Als ich vor vielen Jahren noch selbst Student in Bayreuth war, wurde ich als schwarze Person einer sogenannten verdachtsunabhängigen Personenkontrolle unterzogen. In diesem konkreten Falle entsprach dies der Praxis des racial profiling, welche gegen das Diskriminierungsverbot des Artikels 3 Absatz 3 verstößt. Im mittelfränkischen Dinkelsbühl zählte ich als Schüler bestimmt sechs oder sieben dieser Kontrollen.

Hier ließen sich noch viele weitere Erfahrungen aufzählen. Ein Blick in die Leserbriefe, die vermutlich diese Zeitung nach Publikation meines Beitrags erreichen werden, wird dies abermals bestätigen: Denn eine Dimension von Rassismuserfahrungen ist, dass Betroffenen oft nicht zugehört wird oder ihre Erfahrungen als Kleinigkeit abgetan werden.

Die Diskriminierenden erklären den Diskriminierten, wie diese sich fühlen sollten; dass alles doch nicht so gemeint sei; man so etwas doch wohl sagen dürfe; und überhaupt doch alles Tradition sei, die man sich nicht verbieten lassen wolle. Dies passiert selbst in Fällen, wo geballte wissenschaftliche Expertise am Start ist: Selbst diese kann das Bauchgefühl der selbst ernannten Rassismusexperten nicht überzeugen, vielleicht doch mal einen anderen Blick einzunehmen.

Das kann auch am Fall der Bayreuther „Mohrenwäscher“ nachvollzogen werden. Aus wissenschaftlicher und aus lebensweltlicher Sicht steht es außer Frage, dass der Vereinsname rassistisch konnotiert wird und von vielen Schwarzen Menschen in Bayreuth entsprechend erfahren wird.

Wie in der Lokalpresse wiederholt dokumentiert, streiten die Verantwortlichen des Vereins dies ab und verstecken sich hinter einer Bayreuther Legende. Diese Liste ließe sich fortsetzen.

Dass ich in meiner Aufzählung vor allem anti-schwarzen Rassismus zum Thema mache, hat zwei Gründe: Zum einen ist anti-schwarzer Rassismus in Deutschland weit verbreitet, wie die 2020 erschienene Studie „Afrozensus“ am Beispiel von Diskriminierungserfahrungen in 14 Lebensbereichen in eindringlicher Weise zeigt.

Zum anderen wirkt die Toleranz gegenüber dieser Form von Rassismus besonders schwerwiegend in einer Stadt, die sich mit einem bekannten Museum für afrikanische Kunst und einem Afrikaschwerpunkt an der Universität brüstet; einer Stadt, in der Schwarze Künstler und Wissenschaftler über Jahrzehnte als Bürger ihren Beitrag zum Stadtleben geleistet haben.

Gleichzeitig soll dieser Fokus nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch viele andere Menschen, die Bayreuth ihre Heimat nennen, nicht ganz zu Bayreuth dazugehören. Dies kann auch am Fall Tasdelen nachvollzogen werden. Die Polizei und selbst sein Parteikollege Andreas Zippel sprechen in Zusammenhang mit dem Angriff auf ihn von „Ausländerfeindlichkeit“, obwohl Herr Tasdelen Deutscher ist. In einem neulich im Kurier erschienenen Beitrag beklagt dieser zu Recht, dass anscheinend weder der deutsche Pass noch ein politisches Mandat ausreichend, um ihn in den Augen einiger zum vollwertigen Deutschen zu machen.

Wie bereits vor mehr als zwei Jahren in einem von Bayreuther Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verfassten Kurier-Artikel („Fehlende Selbsterkenntnis“, 20. Juni 2020) aufgerufen wurde, sollten wir das Kind beim Namen nennen: Rassismus. Diesen gibt es zuhauf in Bayreuth und anderswo in Deutschland.

Die Stadtgesellschaft muss sich dieser Lage stellen. Hierzu müssen Verantwortliche in Stadt, Universität, Unternehmen, Behörden, Kirchen, Verbände und alle normalen Mitbürger ihren Beitrag leisten. Ein erster Schritt wäre es, sich konkret mit der Frage auseinanderzusetzen, wie Bayreuth wirklich ein sicherer Ort für alle Bayreuther werden kann. Wir sollten diese Frage als Chance für eine bessere Gesellschaft begreifen, nicht als Belastung.

Zur Person: Stefan Ouma ist Professor für Wirtschaftsgeografie an der Universität Bayreuth. Stefan Ouma hat Geografie und Development Studies an den Universitäten Erlangen-Nürnberg und Bayreuth studiert. 2012 wurde er an der Goethe-Universität Frankfurt im Fach Wirtschaftsgeografie promoviert. Seit 2019 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsgeografie. Seine Forschungsschwerpunkte sind Ungleichheitsforschung, Digitalisierung von Arbeit, globale Wertschöpfungsketten und nachhaltige Ernährungssysteme.

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