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Früherer RAF-Terrorist aus Bayreuth

Von Peter Engelbrecht
Der frühere RAF-Terrorist Rolf Heißler. Foto: dpa/Archiv Foto: red

Der eine ist Alt-68er, heißt Helmut „Oskar“ Brückner. Der andere, Rolf Heißler, wurde später Terrorist.  Die beiden sind sich in jungen Jahren immer wieder begegnet, waren befreundet.  Doch ihre Wege trennten sich. Der eine setzte auf eine friedliche Veränderung von Gesellschaft und Politik, der andere war aktiv am blutigen Terror der Roten Armee Fraktion (RAF) beteiligt. Zwei gebürtige Bayreuther, zwei unterschiedliche Lebenswege. Eine Spurensuche zum Thema „40 Jahre Deutscher Herbst“.

 
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Bayreuth lag in Trümmern. Der spätere RAF-Terrorist Rolf Heißler wurde hier im Nachkriegsjahr 1948 als Rolf Leberwurst geboren. Sein Vater kann 1950 als Studienrat in Hildesheim eine Anstellung finden, deshalb verließ die Familie Bayreuth. In Hildesheim wurde Rolf Heißler eingeschult, in der fünften Klasse verschwand der Name Leberwurst. Sein Vater hatte die Namensänderung beantragt. Rolf  Heißler absolvierte 1966 das Abitur. Beim Studium in München 1967/68  knüpfte er erste Kontakte zum späteren RAF-Umfeld. 17 Jahre später, 1982, wurde er wegen der Ermordung von zwei niederländischen Zollbeamten zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und schließlich 2001 aus dem Gefängnis entlassen.

Gespräche auf dem Plüschsofa

Der frühere Bayreuther Stadtrat Helmut „Oskar“ Brückner (Grüne, später parteilos) war ein paar Jahre früher in Bayreuth geboren, 1944 noch im Krieg. „Rolf ist mein Vetter“, erzählt Brückner. Das Leben in der Nachkriegszeit lief in ruhigen, geordneten Bahnen, immer wieder gab es Verwandtenbesuche in Bayreuth und Hildesheim. Kaffee, Kuchen, Gespräche auf dem Plüschsofa. Die Söhne rebellierten jedoch gegen ihre spießigen Eltern, stellten den Vätern kritische Fragen über Schuld und Verantwortung in der Nazizeit und im Zweiten Weltkrieg.

Protest gegen den Vietnamkrieg

Helmut und Rolf schweißte das zusammen.  „Wir verstanden uns gut“, erinnert sich Brückner. Beide hatten eine Gemeinsamkeit: Sie gingen Ende der 1960er-Jahre auf die Straße, protestierten gegen das Establishment, gegen den Vietnamkrieg der USA  und die Notstandsgesetze der ersten großen Koalition.  Viele Tausende Menschen gingen mit auf die Straße, die Polizei reagierte häufig mit Schlagstöcken und Wasserwerfern. Der wehrlose Student Benno Ohnesorg wurde am 2. Juni 1967 in Berlin von einem Polizisten erschossen. Das heizte das innenpolitische Klima in Deutschland auf.    

Der Republikanische Club

„Ja, wir waren beide 68er, hatten aber unterschiedliche Meinungen, wie wir Veränderungen in der Gesellschaft erreichen können“, erinnert sich Brückner.  Heißler driftete in München in die gewalttätige Szene des Umfeldes der RAF ab. Brückner ging einen anderen Weg:  „Ich kämpfte politisch mit gewaltfreien Mitteln für eine Veränderung. Für mich war ein Waffeneinsatz absolut unmöglich.“   Brückner wollte Bewusstsein schaffen, auch mithilfe des Republikanischen Clubs (RC), der im November 1968 in Bayreuth gegründet wurde. Der RC war ein Verein der sogenannten Außerparlamentarischen Opposition, traf sich in Nebenzimmern von Gaststätten. Viele Schüler seien gekommen, hätten über Politik diskutiert. „Unser Schulsystem stinkt!“, hieß es in einem Flugblatt, das Brückner damals herausgab und das er heute noch besitzt. „Kommt zur Diskussion über die Probleme der Schüler zum Republikanischen Club am Samstag, 7. Juni,“, lautete die Einladung auf dem Flugblatt aus dem Jahr 1969.  Der RC forderte die Abschaffung des Direktors, Öffentlichkeit aller Lehrerratssitzungen und Zeugniskonferenzen sowie Meinungsfreiheit durch unzensierte Flugblätter und Schülerzeitungen, ein Demonstrations- und Streikrecht sowie die Einführung eines Sexualkundeunterrichts.  „Gewählte Volksvertreter unterstützen Völkermord in Vietnam“, lautete eine weitere Kritik in dem Flugblatt. Weiterhin wurde  gegen Notstandgesetze und Vorbeugehaft protestiert und dagegen, dass stündlich 2,8 Millionen DM für Rüstung ausgegeben wurden.  

In den Untergrund

Irgendwann riss der Kontakt ab. „Vermutlich habe ich durch die Zeitung mitbekommen, dass Rolf in den Untergrund gegangen war“, erzählt Brückner. Heißler hatte sich den „Tupamaros München“ angeschlossen, einer Stadtguerilla oder „RAF light“.  Ab Herbst 1969 verübten die „Tupamaros“  Brand- und Sprengstoffanschläge – unter anderem auf die Universität München, das Amtsgericht und das Polizeigebäude. Der Schaden bleibt überschaubar, schrieb der Journalist Butz Peters in seinem Buch „1977. RAF gegen Bundesrepublik“. Im April 1971 überfiel Heißler mit drei „Tupamaros-Genossen“ die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank in München. Er saß am Steuer des Fluchtwagens. Beute: 54 000 Mark. Das Landgericht München I verurteilte ihn im Februar 1972 zu acht Jahren Freiheitsstrafe. Er wurde von Kampfgenossen freigepresst. Im Oktober 1977 soll er an der Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer beteiligt gewesen sein. Die Bundesanwaltschaft ermittelte gegen ihn, stellte das Verfahren aber 2013 ergebnislos ein.

Friedlich statt mit Waffen

Nach den Gewalttaten Anfang der 1970er-Jahre, die Brückner verurteilte, habe er sich von seinem Vetter ferngehalten.  Mit Terror wollte er nichts zu tun haben.  „Ich hatte keine Ahnung, wo Rolf damals war und was er machte“, erinnert sich Brückner. Wie es zu dieser Entwicklung in den Terrorismus kam, ist ihm heute noch unklar. „Durch Gewalt wird alles noch viel schlimmer, der Traum von einer Revolution mit Waffen war völliger Krampf“, blickt er zurück. Er sei schockiert gewesen, als Heißler zwei niederländische Zollbeamte erschossen hatte.   Topterrorist Heißler wurde ab 1977 bundesweit auf Steckbriefen  gesucht. Die Polizei stand mit Maschinenpistolen an den Ausfallstraßen bei der Suche nach den Gewalttätern. Auch rund um Bayreuth gab es scharfe Kontrollen. Verdächtig waren vor allem Autos mit einem auswärtigen Kennzeichen. Die Polizei prüfte routinemäßig die Kontakte Heißlers von früher. Bayreuth, seine Geburtsstadt, geriet so ins Visier der Fahnder. Brückner studierte in Nürnberg Lehramt, wohnte dann Anfang der 1970er-Jahre wieder in seiner Heimatstadt. Der Staatsschutz der Polizei besuchte ihn immer wieder, fragte, ob er etwas von Heißler gesehen oder gehört habe. „Es war doch völlig absurd zu glauben, Heißler verstecke sich bei mir“, kommentiert Brückner die Geschehnisse vor mehr als 40 Jahren.  Die regelmäßigen Besuche und Nachfragen des Staatsschutzes hätten die Familie sehr belastet. Offenbar hatten die Beamten auch seine Post gefilzt, die Sendungen seien unregelmäßig und „schwallweise“ bei ihm eingetroffen.

Heißler zu Besuch in Bayreuth

Den ersten Kontakt zu Heißler nach dessen Haftentlassung hatte Brückner irgendwann nach 2001. Er selbst habe keinen Kontakt gesucht, berichtet Brückner. Sein Vetter sei zwei bis dreimal in Bayreuth zu Besuch gewesen. „Die Gespräche waren hochpolitisch, doch das Thema RAF war tabu“, erinnert er sich. Es ging um die  Apartheidspolitik in Südafrika  oder die weltweite Ausbeutung der Dritten Welt. Die Kontakte seien schließlich 2007 abgebrochen, als in einer Ausstellung in Frankfurt Gegenstände Heißlers aus der Haftzeit präsentiert wurden. Heißler sagte damals im Rahmen der Ausstellung, er bereue nichts und stehe zu dem, was er mehrfach den „bewaffneten Kampf“ nannte.  Für Brückner zeigt sich das Bild eines „absoluten Hardliners“. Daraufhin gab es keine Gespräche und Besuche mehr. Brückner wollte mit seinem Vetter nichts mehr zu tun haben, bis heute. Im Rückblick sagt Brückner, der Werdegang von jungen Menschen in den Terrorismus sei schlimm gewesen. Sie hätten Verbrechen begangen und sich alle Möglichkeiten in ihrem Leben verbaut. Mit Gewalt sollte der vermeintlich faschistische Staat Bundesrepublik in die Knie gezwungen werden, doch hätten die Terroristen das Gegenteil erreicht: mehr Polizei, mehr Überwachung, ein massiver Ausbau des Sicherheitsapparats.  Heißler soll heute in Frankfurt leben und Hartz-IV-Leistungen beziehen. Brückner weiß darüber nichts.  

Ein Polizeibeamter erinnert sich

Ein inzwischen pensionierter Polizeibeamter, der ab 1973 in Bayreuth Dienst tat, erinnert sich noch gut an die Fahndung nach den steckbrieflich gesuchten RAF-Terroristen in der Region. Auf der Autobahn 9 sei damals verstärkt der Reiseverkehr beobachtet worden, berichtet der Ex-Beamte, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Die Kontrolle von Fahrzeuginsassen im Rahmen der Terroristenfahndung sei sehr gefährlich gewesen, „man konnte sich nicht vorstellen, dass jemand sofort schießt.“ Die Polizisten hätten Anfang der 1970er-Jahre gar nicht die entsprechende Schutzausrüstung gehabt. „Auch die Erfahrung und die Übung hat uns gefehlt“, erinnert sich der Mann, der damals Anfang 20 war. Mit Terroristen war er während seines Dienstes nie konfrontiert. Darüber ist er bis heute heilfroh.

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