Ich war überzeugt, helfen zu müssen, da habe ich sicher nicht an Senna gedacht – ich wusste nichts von diesem Vorfall damals. Der Crash war der schlimmste, den ich je erlebt habe – und an dem ich direkt beteiligt war.
Soziale Medien sind ein vermintes Terrain. Leute ziehen über andere her, und auch als Sportstar muss man einiges ertragen. Lesen Sie Posts über sich?
Ich versuche das zu limitieren. Sie sagen es: Mitunter befindet man sich in den sozialen Medien in einer schrecklichen Gesellschaft. Da gibt es leider nicht wenige Menschen, die machen andere fertig, und das womöglich nur deshalb, um sich selbst besser zu fühlen. Vielleicht ist es auch nur Neid, wenn man etwas Bösartiges über einen schreibt – es ist ja so einfach, wenn man zu Hause an seiner Tastatur sitzt, andere im Netz zu beleidigen, weil man ihnen ja nicht Auge in Auge gegenübersteht. Diese Barriere verleitet manchen dazu zu schreiben, was er will.
In Montreal wurden Sie von einem älteren Fan ausgebuht.
Ich habe gelächelt, als ich ihn gehört habe. Aber um ehrlich zu sein: So etwas ist wirklich erbärmlich. Wer gibt einem das Recht, so was zu tun? Was habe ich verbrochen, um ausgebuht zu werden? Viele Leute vergessen oft, dass wir alle Menschen sind. Dessen wurde ich mir 2009 richtig bewusst, als ich elf war. Ich war auf einer Motorsportveranstaltung, dort wurde Jenson Button für den WM-Titel geehrt, Lewis Hamilton war dort und auch Ross Brawn (damals Teamchef, d. Red.). Als ich auf die Toilette ging, war dort Ross Brawn – und ich als Elfjähriger konnte es nicht glauben, ihm hier zu begegnen. Ich kannte ihn nur aus dem Fernsehen, und plötzlich stellte ich fest: Es gibt ihn wirklich in Fleisch und Blut, er ist ein Mensch wie ich. Diese Erkenntnis hat mich geprägt. Viele Leute vergessen das, wenn sie über Sportler, Promis oder Politiker herziehen, weil sie irgendwie glauben, es seien Außerirdische. Es ist eine fremdartige Welt, in der wir leben.
Bei Mercedes stehen Sie stärker im hellen Licht als früher bei Williams. Kommen Sie mit dieser Rolle zurecht?
(Lacht) Es war eine radikale Umstellung, weil sie in der Coronaphase stattfand. 2019 war ich bei Williams, dann kam 2020 und 2021 die Pandemie, in der niemand mehr unterwegs war und keine Fans bei den Rennen – und 2022 bin ich bei Mercedes, es strömen Zuschauer zu den Rennen. Da habe ich bemerkt: Das ist ganz was Neues. Ich habe als Kind geträumt, Formel-1-Fahrer zu werden, aber nicht davon, berühmt zu werden.
McLaren-Pilot Lando Norris meint, Sie hätten sich verändert, seit Sie bei Mercedes sind. Sie seien ernster geworden . . .
Ich war schon immer ernst. Ich weiß Beruf und Privates zu trennen, natürlich kann man mit mir auch mal ein Bier trinken. Jeder verändert sich, niemand ist heute der, der er vor zehn Jahren war. Mit 17 wollen viele jede Nacht Party machen, mit 30 ist das nicht mehr so. Das liegt auch an den Umständen. Diese Saison hatte ich 27 Tage mehr im Vergleich zu 2021, an denen ich fürs Team Termine mit Sponsoren oder fürs Marketing wahrnehmen musste. 27 Tage, die mir als Rennfahrer fehlten. Wenn ich freihabe, gehe ich ins Gym und nicht auf den Golfplatz, selbst wenn noch so tolles Wetter herrscht.
Welchen Werten wollen Sie treu bleiben?
Die Bodenhaftung nicht zu verlieren, bescheiden zu sein, zu wissen, wo meine Wurzeln sind. Seit ich in der Formel 1 bin, kann ich besser unterscheiden, was für mich die Wahrheit ist und was nur Bullshit. Ich habe schnell gelernt, wer echte Freunde sind und wo man mich nur ausnutzen möchte. Und ich habe gelernt, was ich vom Leben erwarte und was ich dazu benötige. Meine Freundin und die Handvoll echten Freunde, die ich habe, wissen, was ich für ein Leben führe – und sie akzeptieren das.
Letzte Frage: Was ist in Frankreich drin?
Ich erwarte einiges, wir haben große Fortschritte gemacht, ich denke, dass wir diese Saison noch um Siege kämpfen können.