Formel 1 in Monza Charles Leclerc und Ferrari beim Heimspiel in der Krise

Elmar Brümmer

Der Formel-1-Pilot Charles Leclerc steckt vor dem Großen Preis von Italien in Monza einer Krise – und mit ihm der gesamte, so stolze Rennstall Ferrari.

 
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Charles Leclerc steht vor einer schweren Entscheidung: Um des Ruhmes willen bei Ferrari bleiben – oder woanders anheuern? Foto: AFP/John Thys

Mit einer Liebeserklärung zum Großen Preis von Italien anzureisen ist immer eine gute Idee. Vor allem dann, wenn es rund um die Scuderia Ferrari so rumort wie gerade. Zuletzt in den Niederlanden hat Charles Leclerc wieder einmal einen Rückschlag erlitten: Samstags leistete er sich einen Crash in der Qualifikation, sonntags fiel er aus. Die Fehler summieren sich, der Kronprinz der Formel 1 als Ritter der traurigen Gestalt. Der Monegasse und sein Team brauchen dringend ein Erfolgserlebnis. Mit 25 steht er an einem Scheideweg. Leclerc pokert um einen neuen Vertrag. Aber soll er wirklich bleiben?

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Bis Ende 2024 ist er an Ferrari gebunden, bis dahin sind die Top-Positionen überall vergeben. Doch schon jetzt werden die Strippen für 2025 und 2026 gezogen. Bei kolportierten 20 Millionen Euro Gehalt ist die Entscheidung nicht nur eine rein wirtschaftliche für Leclerc und sein Team, sondern eine perspektivische. Kann er bei einer Scuderia in diesem Zustand seine Ziele erreichen? Tapfer wiederholt er sein Mantra: „Natürlich zieht jeder Fahrer verschiedene Optionen in Betracht. Aber mich verbindet eine große Liebe zu Ferrari. Und mein erstes Ziel und mein erster Traum ist es, mit Ferrari Weltmeister zu werden – mehr als alles andere.“

In Imola begann eine schwer zu erklärende Fehlerserie

Sein Weg ist aber bereits entkoppelt von dem seines Rivalen aus Kindertagen, Max Verstappen. Der Vize-Titel 2022 war zwar Balsam, aber nur zum Saisonanfang konnte er mithalten, manchmal davonfahren. Dann begann eine schwer zu erklärende Fehlerserie, ausgehend von einem Dreher in völlig unbedrängter Position in Imola. Das scheint bis heute nachzuwirken, Fahrer und Mannschaft wirken verunsichert. Als Leclerc am vergangenen Sonntag im Regenchaos von Zandvoort an die Box fuhr, waren die Reifen nicht parat.

Vor ein paar Wochen übte er deutlich öffentlich Kritik, nachdem ihn die Ferrari-Strategen in Montreal um einen guten Startplatz gebracht hatten. Der sonst so nett auftretende Pilot tobte: „Wir können uns solche Fehler nicht mehr leisten, denn wir machen uns damit das Leben selbst schwer. Ich bin frustriert und habe ein Wörtchen mit dem Team zu reden.“ Später nahm Leclerc alles zurück, sicher auch, weil seit Anfang 2023 sein sportlicher Ziehvater Frederic Vasseur an der Spitze der Gestione Sportiva steht. Dennoch ist da ein Riss, den der Franzose aus der Chefetage nicht kitten kann.

Der Ferrari SF-23 ist eine Diva

Die Ursache für die technischen Formschwankungen ist prinzipiell erkannt, der Ferrari SF-23 ist eine Diva, die optimale Bedingungen braucht – das Problem liegt in der Aerodynamik. Eine Luftnummer, im Wortsinn. Für 2024 ist, ähnlich wie bei Mercedes, eine Neukonstruktion geplant.

Der spanische Kollege Carlos Sainz junior, am vorigen Wochenende Fünfter, macht sich nichts vor: „Als das Rennen sich zwischendurch normalisiert hatte, waren wir im Nirgendwo.“ Nirgendwo, das ist die neue Heimat von Charles Leclerc. Neun Pole-Positionen 2022 stehen nur zwei in dieser Saison gegenüber, dreimal schon ist er ausgefallen, ein zweiter Platz in Österreich war das beste Ergebnis. Vasseur muss sich nicht nur gegenüber den desillusionierten italienischen Medien rechtfertigen, für die Ferrari immer auch ein patriotisches Thema ist – sondern auch gegenüber den Fahrern. Leclerc bringt es nach 13 Rennen auf 99 Punkte, der etwas glücklichere Sainz auf 102. Platz sechs und Rang fünf in der Fahrerwertung, das klingt besser als es ist.

Audi sucht Personal, Aston Martin auch

Die Fahrer sind in einer Zwickmühle – darauf bauen, dass alles besser wird, oder auf den Ferrari-Ruhm verzichten und anderswo anheuern? Audi sucht für 2026 Personal mit Potenzial, Aston Martin auch. Es ist ein Poker, den momentan nur Ferrari beenden könnte – mit großzügig dotierten Vertragsverlängerungen. Die ewiggleiche Argumentation der Scuderia an der Rennstrecke greift auch hier: sie reden sich ein, besser zu sein als die Resultate.

Auch Fernando Alonso und Sebastian Vettel brachten ihre Weltmeister-Gene mit nach Italien und scheiterten dann an den Gegebenheiten. Ferrari leidet bis heute unter Problemen aus den Zehnerjahren. Vasseur braucht Geduld, um den Laden aufzuräumen und wieder aufzubauen. Wichtige Leute sind weg, einige wurden geschasst und es dauert, bis frisches Blut nachkommt. So lange muss sich der Capo gedulden, kein leichtes Unterfangen in der stets aufgeregten Formel 1.

Sonnyboy sein allein reicht nicht

Leclercs offenkundige Verunsicherung, die immer wieder zu Fahrfehlern und Streit führt, lässt ihn nicht zu der Führungsfigur reifen, die ein kriselndes Team dringend braucht. Sonnyboy sein allein reicht nicht. Aber Leclerc hat die schützende Hand seines Talentförderers über sich wie auch die seines Freundes John Elkann, der die Ferrari-Geschicke für den Agnelli-Clan führt.

Momentan ist nur der Stolz eine feste Größe, vage die Hoffnung, es im Autodromo Nazionale vielleicht doch aufs Podium zu schaffen. Fred Vasseur bleibt stur: „Wir müssen uns darauf konzentrieren, das Beste aus dem herauszuholen, was wir haben.“ Der 55-Jährige will nichts von seinen Ankündigungen zurücknehmen („Platz zwei ist nicht gut genug“). Er träumt davon, in den verbleibenden neun Rennen von Rang vier in der Konstrukteurs-WM doch noch auf den zweiten Platz hinter Red Bull Racing zu kommen, es fehlen mehr als 50 Punkte: „Ich möchte kein Ziel aufschieben, denn das wären die falsche Botschaft und die falsche Motivation.“