Festspiele Wieder an der Spitze

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Foto: Ronald Wittek/Archiv Quelle: Unbekannt

KOMMENTAR. Alljährlich fällt der Beifall für die Bläser auf dem Balkon des Festspielhauses dürrer aus. Das liegt nicht daran, dass die Musiker die kurzen Motive, mit denen sie das Ende der jeweiligen Pause zwischen den Akten ankündigen, unsauber intonieren würden. Es liegt daran, dass immer mehr Festspielbesucher ihre Handys in die Höhe recken und somit keine Hand zum Beifall klatschen frei haben.

 
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Das hat für die Festspiele einen wunderbaren, aber vermutlich gar nicht einkalkulierten Nebeneffekt. Denn diese Fotos gehen durchs world wide web um die Welt. Und bescheren den Richard-Wagner-Festspielen somit einen kleinen Werbeeffekt.

In diesem Jahr gab es am Grünen Hügel besonders viele Gelegenheiten für außergewöhnliche Fotos. Was am Konzept der neuen „Tannhäuser“-Inszenierung des Regisseurs Tobias Kratzer liegt. Schnell hatte sich in Bayreuth herumgesprochen, dass man in der Pause nach dem ersten Aufzug eine lustige Truppe rund um die tatsächliche Venus der Inszenierung beim Verbreiten revolutionärer Thesen beobachten kann. Dabei waren das Revolutionäre daran nicht die von dem Trommler Oskar in seinem Paddelboot vorgetragenen Thesen, sondern die Show an sich.

Die Idee, das Gelände ums Festspielhaus zu einem Teil der Inszenierung werden zu lassen, ist nicht neu. Bereits im Jahr 1987 wollte der Filmregisseur Werner Herzog seine „Lohengrin“-Inszenierung im Bereich um das Festspielhaus mit Felsblöcken fortsetzen. Es hätte um den Eindruck des Kultischen gehen sollen, was ja durchaus zum Grünen Hügel gepasst hätte. Dazu kam es aber nicht. Wolfgang Wagner hatte die Idee abgelehnt. Oper sei im Haus, nicht vor dem Haus.

Dem Geburtstagsjahr des langjährigen Festspielleiters zum Trotz: Katharina Wagner hat ein weiteres Mal mit einem Grundsatz ihres Vaters gebrochen. Und das ist gut so. Die Weiterentwicklung der Festspiele schreitet voran. Dazu zählt auch das Zusatzprogramm der Reihe Diskurs Bayreuth, das zeitgenössische Kunst in den Blick nimmt.

Bei allen Neuerungen darf man jedoch nicht vergessen: Das Kerngeschäft des Unternehmens sind nach wie vor die Aufführungen der Opern Richard Wagners. Auf der Homepage der Festspiele kann man dazu dieser Tage lesen: „Unvermindert ist das künstlerische Niveau der Festspielaufführungen international führend und stellt die Einzigartigkeit der Bayreuther Festspiele als wichtigsten Ort der Auseinandersetzung mit Wagners Werk beeindruckend unter Beweis.“

Diese PR-Sprech gefärbte Selbsteinschätzung der Verantwortlichen enthält mindestens einen Fehler: das Wort „unvermindert“. Denn es gab Zeiten, in denen die Bayreuther Festspiele den Anspruch, die besten Wagner-Aufführungen zu bieten, eindeutig nicht erfüllten. Jeder mag hier konkrete Beispiele anführen. Etwa: die „Rheingold“-Inszenierung aus dem Jahr 2006 oder „Tristan und Isolde“ von 2005. Und es gab Zeiten, in denen man sicher davon ausgehen konnte, dass in Bayreuth zumindest nicht durchgehend die besten Sänger am Werk sind.

Diesbezüglich hat sich in den vergangenen Jahres vieles geändert. Auch wenn das der ein oder andere Wagnerianer alten Schlages anders sehen mag: Verglichen mit der Endphase der Ära Wolfgang (und Gudrun) Wagner hat Katharina Wagner die Festspiele in künstlerischer Hinsicht tatsächlich wieder dort hingeführt, wo sie hingehören: an die Spitze.

Wo sonst findet man so viele, fast durchgehend auf höchstem musikalischen Niveau sich abspielende Opernaufführungen wie in diesem Sommer in Bayreuth? Den ein oder anderen Beinahe-Schmiss im „Tannhäuser“ kann man da leicht in Kauf nehmen. Jedenfalls: Nach Barrie Koskys „Meistersinger“, dem von Neo Rauch und Christian Thielemann geprägten „Lohengrin“ nun ein dritter großer Erfolg mit Tobias Kratzers „Tannhäuser“. Nächstes Jahr wird’s schwieriger: dann geht’s um den „Ring“.

roman.kocholl@kurier.de

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