Um 23.26 Uhr regnete es in Bayreuth. Bier nämlich: Es war die 113. Minute, als Mario Götze nicht nur ein wahnsinnig schönes Tor schoss. Er erzielte das Goldene Tor, das Deutschland in den Olymp beförderte. Und Bayreuth in den Freudentaumel. Wildfremde Menschen, die sich in den Armen lagen, Fans, die mit ihren Plastikbechern anstießen, mit solchem Schwung, dass es – ja, tatsächlich regnete.
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Im Ehrenhof, mitten in Bayreuth, brach in diesen Sekunden der Wahnsinn los. Was war das für ein Fieberkurvenspiel: 90 Minuten, 120 Minuten, die einen Fan um Jahre altern ließen. Und dann dieses Ding! Erinnert sich noch jemand an Mario Götze, wie er nach seinem Tor gegen Ghana jubelte? Den Blick nach oben gerichtet, die Arme weit ausgebreitet, genau so wie der Jesus hoch über Rio? Genau so empfanden es die vielen, vielen hundert Fans auf dem Platz vorm alten Schloss. „Die Erlösung“, schrien sie, als endlich er einnetzte: Mario Götze, in der Verlängerung eines dramatischen Spiels.
Wie hatten wir alle gefiebert. Wer an diesem Abend pünktlich kam, der kam – zu spät. Acht Uhr, und im Audimax in der Uni war kein Platz mehr frei. Um die selbe Zeit oder wenig später hieß es am Herzogkeller: Nix geht mehr. Und am Ehrenhof? Da standen die Leute, 2000 müssen es gewesen sein, aber da können wir ja morgen noch nachzählen. Sie standen noch beim Fahrradständer, weit weg von der Leinwand, in dichten Trauben. Deutschland im Finale? Ja, da müssen wir hin.
Und dann dieser Hammer. Higuain schießt ein Tor für Argentinien – Sekundenbruchteile lang entsetztes Schweigen. Dann begreifen die Menschen, dass der Linienrichter die Fahne gehoben hat. Abseits – und die Menschen jubeln, als sei ein Tor für Deutschland gefallen. Dann die Sekunden vor der Pause. Höwedes schraubt sich in die Luft und trifft – den Pfosten.
Dann das lange Bohren dicker Bretter. Die Gauchos probieren’s gar nicht erst mit dem Lasso, sondern gehen brachial heran. Die Deutschen haben Probleme. Sie kämpfen, sie rackern, sie laufen – und sie siegen. Einmal noch tritt Messi an, der große Messi, ein Freistoß – in die Wolken, und für Deutschland in den Himmel. Der Rest ist Jubel und Gesang. Die Welt dreht sich morgen weiter, mit ihren Krisen und Kriegen. An diesem Abend steht sie still. Und mit ihr endlich auch der Verkehr auf dem Hohenzollernring: Menschentrauben stehen auf der Kreuzung, Autokorso, endlich.
Kurz nach Mitternacht reckt Philipp Lahm den Pokal in den Himmel über dem Maracana-Stadion – und die sonst so ruhige Stadt Bayreuth jubelt, die Ohren betäubend.