Europatag: Raus aus der Komfortzone

Von Sonny Adam

Zwei, die kein Blatt vor den Mund nehmen: Bei den Europatagen sprechen der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel und Prof. Otmar Issing, früher Direktor der Europäischen Zentralbank, im Bräuwerck über die Zukunft Europas.

 
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Issing ist schon vor elf Jahren aus dem Direktorium der Zentralbank ausgeschieden. Doch seinen großen Namen hat der Würzburger Ökonom und Chefvolkswirt behalten. Auch, als er den Vorsitz einer Expertenrunde übernahm, die sich mit einer Reform für die internationalen Finanzmärkte beschäftigen sollte. Issing ist einer, der auch mit 81 Jahren kein Blatt vor den Mund nimmt. Und mit dem ehemaligen Bundesfinanzminister Theo Waigel traf er bei den Europatagen in Neudrossenfeld auf einen Gleichgesinnten.

Ist Europa nach dem Brexit noch eine lebendige Gemeinschaft oder ist es eine Notgemeinschaft, die vor dem Aus steht?

Früher lebte die europäische Idee. Doch in den letzten Jahren hat sie gelitten. „Naja, zu meiner Zeit haben die Menschen auch nicht ,Theo gratias’ gerufen, wenn es um Europa ging. Es war nicht einfach, Osteuropa und die Staaten des Baltikums aufzunehmen. Aber wenn ich heute die Machthaber in Polen und Ungarn anschaue, muss ich ehrlich sagen, dass sie mir auch nicht passen,“, relativiert Waigel.

Große Pläne abschminken

Offen gibt er zu, dass die großen Ziele, für die Europa einst stand, nicht realisiert werden konnten – vor allem ist keine politische Union entstanden. „Schminken wir uns die ganz großen Pläne ab. Wir müssen das Vertragsbündnis wieder fest machen für die nächsten 15 bis 20 Jahre“, stellt Waigel das Ziel vor.

Offen prangert Waigel an, dass der Beitritt Griechenlands nie hätte passieren dürfen. „Die Kontrollen haben versagt. Aber es macht keinen Sinn, das Land heute rauszuschmeißen“, so Waigel. Zudem seien vier von fünf Problemländern (Irland, Portugal, Spanien und Zypern) auf einem guten Kurs. „Für Griechenland sehe ich das nicht. Aber immerhin wird die Schuldenlast kein Problem für das Land sein“, konstatiert er und gibt offen zu, dass Europa wesentlich dazu beigetragen habe, dass die Binnenmärkte nicht zusammengebrochen sind.

Krise als Chance

Auch Otmar Issing malt die Situation nicht rosarot. Es sei nicht einfach, 27 Länder unter einen Hut zu bringen. „Aber eine Krise birgt auch eine Chance. Wir müssen den bequemen Status Quo verlassen“, mahnt Issing. Auch er sieht in der Tatsache, dass zwar eine Währungsunion geschaffen, nicht aber eine politische Einigung erzielt worden ist, die Ur-Sünde. „Und wie wird sich die Stimmung wandeln, wenn die öffentlichen Leistungen gekürzt werden und wenn die Steuern steigen?“, fragt Issing. Zeit seines Lebens hat sich Issing gegen die No-bailout-Klausel ausgesprochen. Immer habe er davor gewarnt, Staatsanleihen von Krisenländern aufzukaufen. Denn letztlich könne das nicht funktionieren.

Doch Europa sei mehr als nur die ökonomische Gemeinschaft. „Es ist eine große Kunst im Umfeld der europäischen Gemeinschaft entstanden“; sagt Issing. „Aber von der Kultur führt keine Brücke zum Euro oder zu einer Stabilität“, mahnt der Ökonom. Seine Idee ist es, ein Europa der Vielfalt zu etablieren. „Das letzte was Europa braucht, ist eine Kulturbürokratie.“ Zudem müsse die europäische Integration vorangetrieben werden.

Am Sonntag gingen die Europatage dann in die letzte Runde: mit dem großen Europafest und mit buntem Kultur- und Musikprogramm.

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