Joachim ist jeder Zoll ein Banker. Die Kleidung sitzt korrekt, die Blätter in den Aktenordnern sind so glatt, als wären sie gebügelt. Der Typ Mensch, bei dem man sicher ist, dass er nie falsch parken würde. Mitten in seinem Studium zum Bankfachwirt ging er im Herbst 2017 zur Emtmannsberger Bank als Anlagespezialist. Schnell hat er gemerkt: „L. war das Auge und das Ohr dieser Bank. Der wusste alles und wollte alles wissen.“ Und Joachim merkt auch schnell, was L. sagte, „war Gesetz“. Dass es einen zweiten, gleichberechtigten Vorstand gab, schien L. nicht zu stören. „Wenn er nicht spurt, schmeiß’ ich den raus“, soll er über seinen Mit-Chef gesagt haben.

Nie ohne Eigennutz

Das Verhältnis zwischen L. und Joachim kippte bald. L. habe es „draufgehabt, die Menschen mitzunehmen“, allerdings sei dies „nie ohne Eigennutz“ gewesen. Dem jungen Banker fällt auf, dass L. oft „unter Druck“ stand und nervös war. Und noch etwas fällt ihm auf: Sehr oft hätten Bundesbank und Finanzamt angerufen. „L. hat sich ständig verleugnen lassen.“ Auch Joachim verleugnete seinen Chef. Vor allem die Bundesbank habe ständig angerufen, weil die Meldungen mehrfach nicht fristgerecht dagewesen seien.

Joachim hat sich nicht von selbst an die Presse gewandt, er wollte mit seiner Geschichte nicht hausieren gehen. Rache, sagt er, läge ihm fern. Und ein Held wolle er schon gar nicht sein. „Für mich ist es wichtig, dass diese Geschichte einen Namen bekommt und ein Gesicht.“

Hinmatschen bis die Kasse stimmt

Als er eines Abends die Kasse macht, fällt ihm ein Fehler auf. „Sie müssen zu diesen Euro-Noten-Beständen 120 000 Euro dazuzählen, damit die Kasse stimmt. Ein Beleg, ein Stück Papier, muss dafür herhalten.“ Als Neuer fragt er sich: „Ist das normal?“ Bei der Raiffeisenbank in Bayreuth hat er gelernt, so lange zu bleiben, bis ein Cent gefunden wurde, der fehlte. In Emtmannsberg „war das ein Hinmatschen der Kasse, bis es stimmt“.

Nach Informationen des Kuriers handelte es sich um das Gehaltskonto einer Angehörigen L.s. Auf dem jahrelang nichts einging – und plötzlich dieser Riesenbetrag. Und als der junge Banker noch andere Konten sieht, auf denen auffällige Ein- und Auszahlungen stattfinden, fasst er einen Entschluss.

Joachim wendet sich an die Bafin

Die Bank hat auch samstags geöffnet. Meistens war L. nicht da. Aber Joachim. In Ruhe schaut er sich unter dem Vorwand, etwas für einen Kunden zu suchen, alte Belege an. „Ein Puzzle-Teil nach dem anderen.“ Er rechnet nach, rechnet noch mal nach. Und er denkt nach: Wie kann sich L. eine Luxus-Immobilie in bester Lage leisten? Im Internet stand sie für knapp eine Million Euro. Und er zweifelt: L. galt als sehr erfolgreich. Also rechnet er noch mal. Zweifelt an sich selbst. „Bloß nicht die falschen Vorwürfe.“ Es soll keine Schnellschuss-Aktion werden. Aber Joachim ist korrekt. Er findet die falschen Belege, mit denen L. Einzahlungen gemacht hat. Entweder ohne Geld oder mit dem Geld, das er aus dem Geldautomaten genommen hat. Und dass die Kasse oft mit getürkten Belegen passend gemacht wird. Nach mehr als einem Monat Bedenkzeit schickt Joachim einen Umschlag an die Bankenaufsicht Bafin. Eine anonyme Anzeige. L. hatte nach fast 20 Jahren Betrügereien seinen Meister gefunden. Doch er wehrte sich.

„Sie sind eine Gefahr für die Bank.“

Joachim war im Urlaub, als die Prüfer kamen. Nach Recherchen des Kuriers war es vielen Kollegen klar: Das kann nur der gewesen sein, der immer mit Anzug herumlief. Joachim galt vielen als „komisch“. An seinem ersten Arbeitstag nach dem Urlaub musste er ins Besprechungszimmer.

„Ich werde diese Sitzung nie vergessen.“ L. sagte nicht viel in dem Gespräch. „Man merkte seine Wut, sein rotes Gesicht.“ Joachim hatte erwartet, mit dem Vorwurf der Bafin konfrontiert zu werden. Stattdessen boten ihm die beiden Vorstände einen Aufhebungsvertrag und ein gutes Zeugnis an. Joachim fragt, warum? Stille. „Sie sind eine Gefahr für die Bank.“ Nach 45 Minuten musste er die Bank in Begleitung verlassen. Lange saß er in seinem kleinen schwarzen Auto. Ohne Job, ohne die Gründe zu kennen und ohne zu wissen, wie es weitergeht. „Die haben mich gerade rausgeschmissen“, schreibt er seiner Freundin. Das war am 4. September 2018. Wenige Tage später kam die fristlose Kündigung.

Vorwürfe der sexuellen Belästigung lassen sich nicht halten

Erst mehr als drei Monate später sollte er einen Grund erfahren. Inzwischen bot ihm die Bank einen immer höheren Betrag als Abfindung an, aber keinen Kündigungsgrund. Der kam am 18. Dezember per Post: Er habe eine Kollegin „massiv“ und über einen langen Zeitraum „sexuell belästigt“, nicht nur per Whatsapp, sondern auch direkt am Schalter, was Kollegen gesehen haben wollen – und Kunden hätten sehen können.

Der Kurier sprach mit allen beteiligten Personen und hat wegen des heiklen Themas Stillschweigen zu Details zugesagt. Tatsächlich lassen sich die Vorwürfe gegen Joachim nicht im Geringsten halten. Für sexuelle Handlungen gab es weder Zeugen noch Aufnahmen der Kameras, die L. heimlich angebracht hatte.

L. setzte die Frau massiv unter Druck

Die Frau hat inzwischen alle Vorwürfe widerrufen und mehrfach betont, es sei überhaupt nichts dran. Auch gegenüber der Polizei habe sie dies schon getan. Von anderen am Verfahren Beteiligten wurde dies bestätigt. Die Frau kannte nach eigenen Angaben weder die Schriftsätze der Bank noch die genauen Vorwürfe darin, die gegen Joachim erhoben wurden. Aus ihrem Umfeld ist zu erfahren, dass „L. sie extrem unter Druck gesetzt“ haben soll.

Joachim und die Frau waren gute Freunde, hatten eine Fahrgemeinschaft, haben fast während des ganzen Verfahrens freundschaftlichen Kontakt gehalten. Die gesamten Chatverläufe zwischen den beiden liegen dem Kurier vor, sie „schäkern“ an wenigen Stellen miteinander.

Trotz der angeblichen „Massivität“ von Joachims Verhalten erstattete die Bank weder eine Anzeige noch sprach jemals ein Vorstand mit ihm. Stattdessen erhöhten sie immer wieder ihr Angebot an ihn. 14 000 Euro netto waren es schließlich im März dieses Jahres, die einem Mitarbeiter gezahlt wurden, der nicht mal ein Jahr beschäftigt war. Inklusive der Feststellung, dass die Vorwürfe nicht weiter aufrechterhalten werden sollten (Aktenzeichen 5 Ca 674/18).

Stefan L. entschuldigt sich bei den Mitarbeitern, nur nicht bei Joachim

Das Tragische: Der Anwalt, der ihn vertrat, veruntreute das Geld, das Joachim sich mühsam erstritten hatte. Er hat nach Informationen des Kuriers noch weitere mehrere hunderttausend Euro anderer Mandanten, deren Fälle auch durch die Presse gingen, veruntreut. Joachim hatte recht und hat Mut gezeigt – und sitzt dafür ohne Geld da und mit Schulden. Er hat seinem Anwalt einen Vorschuss von etwa 5000 Euro gezahlt und muss seit mehr als einem Jahr ohne Einkommen leben. Den Gesamtschaden beziffert er auf „mehr als 30 000 Euro“.

L. hat sich bei allen Mitarbeitern der Bank entschuldigt. Nur einen hat er vergessen: Stefan Joachim.