EM-Viertelfinale Spanien beendet Schweizer Märchen

Jörg Soldwisch
Am Boden zerstört: Die Schweizer Spieler nach dem verlorenen Elfmeterschießen. Foto: dpa/Jean-Christophe Bott

Heroischer Kampf, dramatisches Ende: Nach einem Elfmeter-Thriller ist die sensationelle Heldenreise der Eidgenossen bei der EM vorbei. Dem Außenseiter versagen diesmal die Nerven.

 
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St. Petersburg - Luis Enrique reckte die Fäuste in den Himmel von St. Petersburg, die spanischen Spieler jubelten in einer Traube purer Freude, ehe sie allesamt aber erstmal tief durchatmen mussten. Tapfere Schweizer hatten ihnen alles abverlangt, der erneute Kraftakt der Eidgenossen mit Elfmeterschießen wurde diesmal jedoch nicht belohnt. Niedergeschlagen und erschöpft gingen die Spieler um den am Boden zerstörten Fehlschützen Ruben Vargas nach heroischem Kampf in die Kurve zu ihren Fans, während sich die Spanier vor 27 764 Zuschauern über den nächsten Schritt ihrer Titelmission freuten.

„Der Fußball war gerechet und wir sind die gerechten Gewinner“, sagte Torwart Unai Simón, einer der spanischen Helden, nach dem 3:1 (1:1, 1:1, 1:0) im Elfmeterschießen am Freitag. „Es ist ein sehr euphorischer Moment.“

Mikel Oyarzabal verwandelte den entscheidenden Elfmeter, Sergio Busquets hatte gleich den ersten nur an den Pfosten gesetzt. Simón hielt aber gegen Fabian Schär und Manuel Akanji, der Schweizer Yann Sommer gegen Rodri. Vargas verschoss und musste von seinen Mitspielern getröstet werden. Vier Tage zuvor hatten die Schweizer sensationell Weltmeister Frankreich in der Entscheidung vom Punkt aus dem Turnier geworden. Sommer war „stolz auf die Mannschaft, was wir hier erreicht haben“.

Gladbachs Denis Zakaria hatte in der achten Minute per Eigentor die spanische Führung erzielt, der ehemalige Bayern-Profi Xherdan Shaqiri (68.) brachte die Schweizer zunächst zurück ins Spiel. Ab der 77. Minute musste die Mannschaft von Trainer Vladimir Petkovic wegen des Platzverweises von Remo Freuler in Unterzahl spielen. Das Halbfinale bei einem großen Turnier bleibt für die Schweizer unerreicht - trotz der wieder starken Paraden von Torwart Sommer. Spanien spielt dafür am kommenden Dienstag gegen den Sieger der Partie Belgien gegen Italien im Londoner Wembley-Stadion. „Es ist ein Traum, im Halbfinale einer EM zu spielen“, sagte Spaniens jünster Spieler, der 18 Jahre alte Pédri.

Was für ein Pech für die Schweiz, was für ein Pech für Zakaria, der für den gelbgesperrten Kapitän Granit Xhaka spielen durfte. Spanien nutzte gleich die erste Ecke. Koke schlug den Ball von der rechten Seite in den Strafraum, Aymeric Laporte kam mit dem Kopf nicht ran. Zum Glück für Jordi Alba: Der wieder zurück in die Startelf gekehrte Routinier zog ab und Zakaria fälschte unhaltbar für seinen Mönchengladbacher Vereinskollegen Sommer im Tor ab.

Nach 20 Minuten musste dann auch noch Breel Embolo behandelt werden. Es ging nicht weiter. Der Gladbacher musste raus, Vargas vom FC Augsburg kam rein. Was den Schweizern aber vor allem fehlte, war Entlastung. Die Überraschungsmomente durch Xhaka wurden vermisst. Die Schweizer Fans, die trotz der heiklen Corona-Situation in der nördlichsten EM-Stadt angereist waren, sahen zunächst kein stürmisch-schweizerisches Spektakel. Ein Kopfball - auch nach einer Ecke - von Borussia Dortmunds Manuel Akanji ging deutlich übers Tor (34.). Zuvor hatte auf der Gegenseite Alvao Morata eine gute Kofballchance gehabt.

Viel Zwingendes war aber auch bei den Spaniern nicht dabei. Der Zug zum gegnerischen Tor fehlte aber noch nach den beiden torreichen Auftritten in der Gruppenphase mit dem 5:0 gegen die Slowakei und dem 5:3 gegen Vizeweltmeister Kroatien im Achtelfinale. Dafür sollte nach der Pause RB Leipzigs Dani Olmo sorgen. Und gut eine Minute nach dem Wiederanpfiff versuchte er es von halblinks aus zwölf Metern zum ersten Mal - stand aber im Abseits. Luis Enrique legte nach, wechselte für Morata den zweiten Mittelstürmer Gerard Moreno ein. Doch ein Treffer wäre fast auf der Gegenseite gefallen. Zakarias Kopfball strich aber knapp am Tor der Spanier vorbei.

Ruhig wirkte Luis Enrique ob der knappen Führung gegen eine Schweizer Mannschaft, die gegen Frankreich schon 1:3 zurückgelegen hatte, ganz und gar nicht. Er sprang von der Bank auf, gestikulierte und zeigte in Richtung seiner Spieler. Aus gutem Grund: In der 64. Minute ließen sie eine hochkarätige Chance durch Top-Vorbereiter Steven Zuber von Eintracht Frankfurt zu, Keeper Unai Simón rettete aber die Führung.

Machtlos war er beim Ausgleich, den ein Missverständnis zwischen Spaniens Verteidigern Laporte und Pau Torres einleitete und Freuler für die Vorlage auf Shaqiri nutzte. Der Jubelschrei des ehemaligen Bayern-Profis sollte auch belegen: Jetzt geht noch mehr. Kurz danach musste aber Freuler nach einem groben Foulspiel vom Feld, die spannende Schlussphase begann – ohne weiteres Tor. Es ging in die Verlängerung und ins hochspannende Elfmeterschießen.

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