Eiserne Hochzeit Seit 65 Jahren durch dick und dünn

Grigori und Aliie Blinder mit dem zweiten Bürgermeister Andreas Zippel (SPD). Das ukrainische Ehepaar hat in den vergangenen 65 Jahren viel erlebt. Foto: Andreas Harbach

Aliie (82) und Grigori (81) Blinder feiern Eiserne Hochzeit. Leicht war ihr gemeinsames Leben nicht. Doch zusammen überstanden sie Krieg, Flucht und Krankheit.

 
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Arbeit, Krieg, Vertreibung, Leid – und Liebe. Das prägte die Verbindung von Aliie (82) und Grigori (81) Blinder. Und sie hält, nach heutigen Maßstäben fast ewig. Das Paar feierte am Sonntag in Bayreuth seine Eiserne Hochzeit.

65 Jahre ein Paar – das ist auch ein Vorbild für den Enkel. Mit seinen 30 Jahren sieht er, wie verliebt sie noch seien. Und er will sich ein Beispiel an Oma und Opa nehmen. Sie hätten mit ihren 65 Jahren Ehe gezeigt, „was eine Familie ist.“

Sie waren so jung. Sie 17, er 16 Jahre alt. Zwei verliebte Teenager – im kalten Winter der Ukraine, wo alles knapp war. Arbeit, Essen – und natürlich auch Geld für eine Hochzeitsfeier. Die fiel aus. Die beiden Teenager unterschrieben auf dem Standesamt die Urkunden, das war alles. Es war ein kalter Freitag, 10. Januar 1957. „Es war schlicht“, sagt der Enkel 65 Jahre später.

Das einfache Leben der Blinders in Zwenigorodka, 200 Kilometer von Kiew entfernt, ist geprägt von der Arbeit. Guten Lohn gibt es in der Ukraine in dieser Zeit selten. Aliie war Krankenschwester. „Sie kümmerte sich 50 Jahre lang nur um andere“, erzählt der Enkel. Auch um Drogen- und Alkoholabhängige. Noch heute begleitet die zierliche Frau ihren Mann bei jedem Arztbesuch.

Der kräftige Grigori Blinder arbeitete schon mit zehn Jahren. Ein Kind, das jeden Job annahm, um den Hunger in der Nachkriegszeit zu stillen. Später war er Elektriker, dann fand er eine Anstellung im Theater. Dort fühlte er zum ersten Mal, dass Arbeit auch Spaß machen kann. Die Musik und das Schauspiel begeistern ihn bis heute.

Grigori Blinder mochte es, wenn in seiner Heimatstadt was los war. Fast jede Kulturveranstaltung besuchte er. Die schöne Aliie sah er zu ersten Mal beim Tanzen. Er sah sie wieder und wieder – dann kamen sie zusammen.

Mehr als 3000 Kilometer reisten die jungen Blinders auf der Suche nach Arbeit. Bis nach Kasachstan gingen sie. Da ist Aliie bereits schwanger mit ihrem ersten Sohn Waleri. Neun Monate nach der Hochzeit bringt die 18-Jährige ihn auf die Welt. Die Reise ist noch nicht vorbei, es geht wieder zurück nach Zwenigorodka. Hier kommt zwölf Jahre nach Waleri die Tochter Olena, Alexander Korshunovs Mutter, zur Welt. Der Enkel erzählt, Oma und Opa seien die ganze Zeit bei der Arbeit gewesen, Onkel Waleri habe seine Mutter großgezogen. Olena Korshunov kochte schon von klein auf Essen und räumte auf.

Nichts im Vergleich zu Aliie Blinders Kindheit. Ihre Familie wurde im zweiten Weltkrieg von der Krim deportiert. Da war sie zwei Jahre alt. „Die Krim ist ein schönes Gebiet am Meer. Nur die Reichen durften dort leben“, erzählt Korshunov.

Aliie und Grigori sind zwei von vielen Kindern, die ihre Väter im Krieg verlieren. Aliies Mutter war mit ihren Geschwistern auf der Flucht durch die Ukraine. Dann passiert es: Die Mutter verhungert. Sie stirbt während einer Zugfahrt. Aliie und ihre Geschwister hatten keine Wahl: „Sie mussten sie irgendwo im Feld beerdigen.“ Bis heute weiß sie nicht, wo genau ihre Mutter liegt.

In Deutschland wurde Aliie und Grigori Blinders Leben angenehmer. Dank ihrer Tochter Olena. Sie zog 2006 hierher, fürchtete um die Zukunft ihrer Kinder, um ihre Bildung. Ließ ihre Eltern zurück. Ihr Sohn Alexander Korshunov musste sich von seinen Freunden verabschieden und nochmal neu beginnen. Doch wenig später bekommt Opa Grigori die Diagnose Nierenkrebs. Daraufhin überredet sie ihre Eltern, nach Deutschland zu kommen. „Das hat Opa das Leben gerettet“, sagt Alexander Korshunov. Ohne die deutschen Ärzte wäre sein Großvater gestorben.

In guten und in schlechten Zeiten, in Gesundheit und Krankheit. Dass Aliie und Grigori Blinder in diesem Leben noch einen weiteren Krieg erleben müssen, können sie kaum glauben. „Wir hätten nie gedacht, dass so kommen würde“, sagt Alexander Korshunov.

Deswegen feiern sie ihr Jubiläum so, wie sie ihre Hochzeit gefeiert haben: schlicht.

Erst als sich der zweite Bürgermeister Andreas Zippel ankündigt, wird aufgetischt: Pilaw, gekochten Reis mit Fleisch und Olivier-Salat, dazu Wein. Im Anschluss stellten die Blinders noch Torte und Kaffee auf den Tisch. „Und für Oma ein Glas Sekt“, sagt Enkel Alexander. Der Besuch von Zippel sei für die Großeltern ein „Highlight“ gewesen. „Sie wollen immer, dass es ihren Gästen gut geht.“ Und dass sie auf keinen Fall hungrig nach Hause gehen.

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