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Eiserne Hochzeit Es brauchte nur einen Kuss

Das Bild zur Feier der eisernen Hochzeit am 8. Juni 2022: Schwiegersohn Frank Grosch (links) und Tochter Ute Rutkowski sowie Oberbürgermeister Thomas Ebersberger gratulieren Gisela und Walter Weiskopf in ihrem Garten in Bayreuth zu ihrem Ehrentag. Dieses tolle Foto entstand am 8. Juni 1957: Die 21-jährige Gisela und der 27-jährige Walter geben sich auf der Burg Walsburg in Thüringen an diesem Tag das Jawort Foto: Nicole Wrodarczyk

Seit acht Jahren leben Gisela und Walter Weiskopf in Bayreuth, eigentlich kommen sie aus Thüringen. Am Mittwoch feierten sie ihren 65. Hochzeitstag.

 
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Diktatur, Schichtarbeit, Essenmarken. Das prägt das Leben von Gisela (86) und Walter Weiskopf (92). Trotzdem finden sie sich und lassen sich seitdem nie wieder los. Am Mittwoch feiern sie ihre eiserne Hochzeit.

Seit 65 Jahren sind sie ein Team. Sie ergänzen sich. Gisela Weiskopf wächst behütet in Thüringen auf. Sie hängt nicht an ihrer Heimat, die nur eine große Teppichfabrik zu bieten hat. Mit 20 geht sie, macht zuerst eine Friseurlehre, dann arbeitet sie als Verkäuferin. Ihre Tochter Ute Rutkowski erinnert sich im Kurier-Gespräch bei der Hochzeitsfeier an das Elternhaus, es lag direkt über einer Bäckerei: „Der Duft war herrlich. Ich fand es bei Oma und Opa immer sehr schön.“

Gisela ist unabhängig. Eigentlich bräuchte sie keinen Mann, doch dann geht sie auf eine Fortbildung im thüringischen Walsburg. Walter Weiskopf – der den Film für die Schulung einlegt – will vor seinen Kumpels angeben. „Die Nächste, die hier reinkommt, küsse ich.“ Gisela steht in der Tür. Und bekommt einen Schmatzer auf den Mund. Danach gehen sie Tischtennis spielen.

Mit 21 Jahren trägt Gisela Weiskopf kein Brautkleid bei der Trauung, sondern ein dunkles Kostüm mit einer blauen Spitzenbluse. „Ich wollte elegant aussehen“, sagt sie heute. Es ist Samstag, sie stehen vor der Burg Ziegenrück bei Walsburg. Seit einer Woche gibt es eine Hitzewelle über Mitteleuropa, sie bringt tagelang Temperaturen von über 30 Grad Celsius. Ihr Fahrer lässt auf sich warten. Der kommt den Berg nicht hoch. Das Hochzeitsauto ist ein Opel Kadett mit Holzvergaser. Der läuft mit Holzstücken, die so stark erhitzen, dass ein brennbares Gas frei wird. Dieses wird dann im Motor verbrannt und zu flüssigem Kraftstoff verarbeitet. Der 27-jährige Walter lacht nur, hält die Hitze aus und steigt auf den Opel – als der endlich da ist.

Der Müllersohn wird

vertrieben

Walter Weiskopf genießt sein Leben in Thüringen. 50 Jahre lang lebt er mit seiner Frau in Saalfeld im Thüringer Wald. Bis dahin ist es ein schwieriger Weg. Er ist Sudetendeutscher, wird 1930 in einer Mühle in Komotau im heutigen Tschechien geboren. Schon als Kind schleppt er Getreide für seinen Großvater Wilhelm Weiskopf, zusammen mit 16 anderen Mitarbeitern. Pro Jahr verdient die Mühle 20 000 Reichsmark. Dann kommt der Krieg. Als es 1945 schon aussichtslos war, wird er eingezogen. Da ist er 15 Jahre alt. In zwei Tagen lernt er schießen und schaufelt Schützengräben – dann werden er und seine Kameraden wieder nach Hause geschickt. Seine dunkelblauen Augen strahlen, wenn er davon erzählt: „Sie wollten uns junge Burschen verheizen, aber es war schon zu spät.“

In seinem Heimatdorf rückt die Rote Armee an. Jeder, der Deutsch spricht, wird verjagt. Der junge Weiskopf sieht die Gewalt auf der Straße: „Das war nicht mal die Polizei. Das waren Freiwillige, die uns mit Knüppeln verprügelt haben.“ Kurz nach dem Krieg wird auch seine Familie aus der Mühle gejagt. Sie haben eine Stunde Zeit, um einen Koffer zu packen. Geld und Schmuck könnten sie gleich dalassen, wurde ihnen gesagt.

Noch heute regt er sich auf. Über Putin, den Kriegstreiber. Und macht sich Sorgen. Um Enkel Jakob (5). „Ich wünschte, er würde eine Welt ohne Krieg erleben“, sagt der 92-Jährige. Doch das sei unrealistisch.

Walter landet in Thüringen, sucht sich sofort eine neue Arbeit. Bei der Bezirkshygieneinspektion Gera nimmt er Wasserproben als Verkehrshygieneinspektor der Direktion Erfurt. Das Geld reicht gerade für die kleine Wohnung der Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft. 14 Jahre lang wartet er auf seinen Trabant. Das Auto kostet 14 000 Ost-Mark. Dann fällt die Mauer und die Weiskopfs verkaufen den Trabi für 800 West-Mark.

Stattdessen holen sie sich einen Ford Fiesta. Er bleibt der wertvollste Besitz des Paares, bis sie 2014 ihr Haus in Bayreuth beziehen. Sie fahren ihn lange. Erst 2021 ist Schluss.

„Uns geht es gut“, sagt Gisela. Jetzt könnten sie ihren Ruhestand genießen. Der große Garten hinterm Stadthäuschen blüht, die Terrasse steht voll mit kleinen Setzlingen, die sie anzüchtet. Obwohl die Knie schmerzen, geht sie jeden Tag raus. Hilfe bekommt sie von ihrem „Mercedes“ – ihrem Rollator. Ihr Mann stützt sie, wenn sie in den Garten geht. Sie bringt ihm etwas zu trinken, wenn er am Computer sitzt und die zweite Auflage seiner Autobiografie schreibt. Mit 85 bringt er sich bei, den PC zu bedienen.

Endlich alle in Bayreuth vereint

Acht Jahre ist es jetzt her, dass Tochter Ute Rutkowski (61) das Paar bittet, mit nach Bayreuth zu kommen. Ihr Mann Frank Grosch hat eine Firma für Energie- und Umwelttechnik. Ihre Tochter Anne studiert in Bayreuth, macht ihr Diplom.

Vorher sind Ute und Frank oft nach Saalfeld gefahren, haben die Eltern besucht. Doch die Fahrten werden weniger. Die Zeit fehlt. Als Gisela Weiskopfs Knie schlechter werden, schließt das jetzt 65 Jahre lang verheiratete Paar einen Entschluss: Mit 78 und 84 ziehen sie noch einmal um. In Bayreuth bekommen sie jede Woche Besuch von Urenkel Jakob. Walter Weiskopf liebt seinen „Wirbelwind“, der Archäologe werden und „Dinosaurier ausgraben“ will. „Ohne die Kinder wäre mein Leben nicht so schön“, sagt er.

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