Einblick in den Alltag einer Richterin – Von Streithanseln, überzeugenden Zeugen und Prozessen wegen zwei Euro Braucht es den Rechtsstaat in jedem Fall?

Eine Zivilrichterin verrät, was manchem Kläger schlaflose Nächte bereitet und wann ein Urteil neue Streitereien auslöst. Die 31-Jährige braucht auch psychologisches Geschick.

 
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Frau Roggenbrod, wie spreche ich Sie überhaupt richtig an?

Katharina Roggenbrod: Sie können gerne Frau Roggenbrod sagen. Die Amtsbezeichnung ist Richterin am Amtsgericht. Ab und zu wird man bei einer Verhandlung Frau Vorsitzende genannt oder Frau Richterin. Zufälligerweise hat mich vor zwei Wochen jemand mit „Euer Ehren“ angesprochen. Das ist aber eher unüblich.

Worauf kommen die meisten Bürger wohl nicht, wenn sie an Ihre Arbeit denken?

Roggenbrod: Im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung steht wahrscheinlich die mündliche Verhandlung. Ich habe an zwei Tagen in der Woche Sitzungstage, also Verhandlungen. Den überwiegenden Teil der Arbeitszeit verbringe ich im Büro. Das hat im Regelfall unmittelbar mit den Sitzungen zu tun. Man muss sich auf die Sitzungen vorbereiten und diese auch nacharbeiten beziehungsweise ein Urteil schreiben oder Beweisbeschlüsse formulieren.

Im Fernsehen gibt es sogar eine Doku-Soap mit dem Namen „Nachbarschaftsstreit“. Inwieweit ist das Klischee der streitenden Nachbarn in Kulmbach Realität?

Roggenbrod: Die streitenden Nachbarn gibt es auch. Teilweise bestehen bereits über Jahrzehnte Konflikte. Kochen die hoch, erhebt einer eine Klage. Der andere fühlt sich dann herausgefordert. Solche Beziehungen sind oft sehr verkrustet. Die Leute sehen sich dauernd. Dadurch entstehen auch dauernd Streitpunkte. Einer sagt beispielsweise: „Du hast einen viel zu hohen Grenzzaun aufgestellt.“ Der andere kommt dann vielleicht auf die Idee, noch mal gründlich zu schauen, ob es nicht auch etwas gibt, was ihn stört. Meist ist es sinnvoll, sich gütlich zu einigen. Denn fällt das Gericht eine Entscheidung, führt das nur dazu, dass ein Nachbar stolz durch den Garten spaziert und nicht unbedingt dazu, dass sich die Lage vor Ort beruhigt.

Ist ein guter Richter auch ein Stück weit ein Psychologe?

Roggenbrod: Man ist gut beraten, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen, um ihnen klar zu machen: „An der Situation, dass ihr Haus an Haus wohnt, ändert sich so schnell nichts.“ Deswegen ist es oft sinnvoller, sich auf einen Vergleich zu einigen, der von beiden Seiten getragen werden kann.

Um was geht es in den Fällen?

Roggenbrod: Um den Überhang von Ästen. Manchmal wird um die Grundstücksgrenze gestritten. Andere fühlen sich von Tieren des Nachbarn gestört, weil sie laut sind oder auf das Nachbargrundstück rennen. Oder auch ästhetische Einwirkungen.

Was sind ästhetische Einwirkungen?

Roggenbrod: Der Nachbar sagt vielleicht: „Der hat sein Haus in einer Farbe angestrichen, die mich nachts nicht schlafen lässt.“ Oder der Fall, dass ein Nachbar seinen Garten dauernd hegt. Das ist vielleicht seine Vollzeitbeschäftigung. Der andere legt nicht so großen Wert auf die Pflanzenpflege. Sein Nachbar sagt dann: „Das sieht einfach furchtbar aus. Ich ertrag’ den Anblick nicht mehr.“ Aber jeder kann doch seinen Garten gestalten, wie er will. Ich kann doch auch nicht sagen: „Mir passt deine Frisur nicht. Geh mal zum Frisör.“ Grundsätzlich ist das so. Es kann aber sein, dass abgelagerter Müll mehr Ungeziefer anzieht. Das kann den Nachbarn dann schon beeinträchtigen. Grundsätzlich gilt: Man hat den Lebensstil des Nachbarn zu akzeptieren.

Was haben Sie schon Kurioses im Gerichtssaal erlebt?

Roggenbrod: Zum Beispiel war in einem Fall aus der Akte ersichtlich, dass die Parteien total zerstritten sind. In der Verhandlung sind die Leute dann ins Gespräch kommen. Der eine ist aufgestanden, hat dem anderen die Hand gegeben und gesagt: „Ich möchte mich wieder mit dir vertragen. Ich zahle dir jetzt den und den Betrag und dann ist es doch hoffentlich erledigt.“ Die Parteien sind einträchtig aus dem Sitzungssaal gelaufen. Eigentlich ein Wunschergebnis. Aber doch kurios, weil es nicht zu erwarten war.

Fragen Sie sich nie: Warum muss ich mich jetzt ausgerechnet mit diesem Fall beschäftigen?

Roggenbrod: Manchmal bin ich schon geneigt, mich zu fragen: „Braucht es den Rechtsstaat für jeden Fall?“ Etwa wenn jemand wegen zwei Euro Versandkosten klagt. Aber wenn jemand den Anspruch auf Versandkosten hat, geht es halt auch um diese Summen. Das Gericht hat auch in solchen Fällen zu entscheiden.

Wann lachen Sie mal so richtig herzhaft bei Ihrer Arbeit?

Roggenbrod: Ich komme zwar aus Süddeutschland, aber nicht aus Oberfranken. Aus dem baden-württembergischen Landkreis Schwäbisch Hall. Es kommt schon mal vor, dass ich bei Leuten, die etwa aus dem Frankenwald kommen, nachfragen muss, was sie denn gerade gesagt haben. Oder ich selbst sage etwas Schwäbisches und muss mich verständlich machen. In solchen Situationen muss ich schon lachen. Nicht, dass eine Verhandlung an der Sprachbarriere scheitert.

Geht es im Gericht gerecht zu?

Roggenbrod: Wenn Sie vier Leuten die Frage stellen, bekommen Sie wahrscheinlich fünf verschiedene Antworten. Mein Verständnis ist, nach Recht und Gesetz zu entscheiden. Auch wenn der Gesetzgeber in gewissen Bereichen Nachholbedarf hat, hat der Richter trotzdem das Gesetz anzuwenden. Ich würde schon sagen, dass es gerecht zugeht, wenn man alle grundsätzlichen Verfahrensregeln einhält und transparent verhandelt, also den Beteiligten das verständlich macht.

Zu Ihrem Beruf gehört es, möglichst objektiv zu urteilen. Manche Leute behaupten jedoch, Objektivität gebe es nicht.

Roggenbrod: Ein Richter hat objektiv zu entscheiden. Sie können hier im Haus verschiedene Richter besuchen. Jeder ist eine eigene Richterpersönlichkeit. Jeder hat eine andere Herkunft und Sozialisation. Bei Gericht hat man Zeugen zu hören und deren Aussagen zu bewerten. Da geht es darum, jemandem zu glauben oder nicht. Natürlich gibt es gewisse Kriterien, die jeder Richter kennt. Aber es kann schon sein, dass ein Zeuge gehört wird und ein Richter sagt: „Der Zeuge hat mich überzeugt.“ Während ein anderer Richter meint: „Aus den und den Gründen habe ich Zweifel an seiner Aussage.“ Das liegt an den subjektiven Einschätzungen der Richter. Wichtig ist, seine Einschätzung anderen anhand objektiver Kriterien verständlich zu machen und seine Entscheidung auch schlüssig und nachvollziehbar zu begründen.

Kommt es heute noch vor, dass Sie sich als Frau in dem Beruf nicht ernst genommen fühlen?

Roggenbrod: Es drängen glücklicherweise immer mehr Frauen in die Justiz. In meinem Einstellungsjahr 2012 waren von 21 Personen bei meiner Ernennung 17 Frauen. Dass sich Frauen in meinem Beruf nicht ernst genommen fühlen, ist aus meiner Sicht kein Thema.

Das Gespräch führte Georg Jahreis

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