Wer das Phänomen Hans Söllner verstehen will, der braucht sich gar nicht den 59-jährigen Künstler selbst anschauen. Nein – das Phänomen dieses ewigen Rebellen erschließt sich vor allem nach einem Blick auf sein Publikum.
Wenn's Kabarett wäre, dann wäre es - nun ja, nicht gut. Als Sänger aber hat er immer noch was drauf, der Hans Söllner. Auch im fortgeschrittenen Rebellenalter.
Wer das Phänomen Hans Söllner verstehen will, der braucht sich gar nicht den 59-jährigen Künstler selbst anschauen. Nein – das Phänomen dieses ewigen Rebellen erschließt sich vor allem nach einem Blick auf sein Publikum.
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Am Dienstagabend ist der Europasaal im Zentrum voll. Über 300 Menschen sind gekommen, um Hans Söllner nicht nur singen und klampfen, sondern auch reden zu hören. „Seminar“ nennt der Künstler das. Und wäre es politisches Kabarett, dann wäre es kein gutes. Söllner spricht heute von Sigmar Gabriel, wie er früher von Günther Beckstein sprach. Es sei ein Arsch am Himmel erschienen und habe ihn, den Sigmar Gabriel, in die Welt geschissen. Das Publikum lacht. Und in diesem Lachen schwingt mit: Einer, der auf diese Art öffentlich über Politiker spricht, der muss Schneid haben, ja, der traut sich zu sagen, was wir alle denken.
Dabei sind Söllners Feindbilder seit Jahren die gleichen. Politik, Polizei, Konzerne, die „Bild“-Zeitung. Es überrascht, dass das bunte Publikum an diesem Abend diese Feindbilder zu teilen scheint. Es sitzen Zahnärzte neben Handwerkern, Rentner neben Punkerinnen mit grünem Haar. An diesem Abend vereint sie alle das Gefühl: Irgendwas in dieser Welt stimmt nicht. So geregelt das Leben der Söllner-Fans ist, viele sind spießig im besten Sinn, so sehr scheinen sie sich nach ein wenig Aufbegehren zu sehnen. Und sei es nur an diesem einen Abend.
Zwei Momente verdeutlichen das. Als Hans Söllner ein Lied über ein afrikanisches Mädchen singt, das nach seiner Zwangsbeschneidung im Bett verblutet, da rührt das sicher viele Zuhörer, aber so recht springt der emotionale Funke nicht über.
Als Söllner aber später seinen Klassiker „Mei Vodda hot an Marihuana Baam“ anstimmt, stehen 300 Menschen von ihren Stühlen auf, johlen, klatschen und singen. Hans Söllner trennt das von seinen Fans: Er will gegen die Welt da draußen rebellieren. Sie wollen nur ein kleines bisschen Aufregung im Leben, ein bisschen Nonkonformismus.
Söllners Lieder retten diesen Abend. Seine raue Stimme, die Art, wie er mit schwieligen Fingers die Gitarre nahezu schlägt, wie die Mundharmonika an seinem Mund kreischt – als Liedermacher ist er einzigartig. Hört nicht auf die da oben, macht euch bemerkbar, verstoßt gegen die Regeln, macht die Welt ein bisschen besser. Söllner wiederholt sich. Oft. Kein Hühnchen mehr essen. Im Zickzack Autofahren. Den Führerschein verstecken. Die Polizei ärgern. Einfach mal Dinge tun, mit denen keiner rechnet.
Ein Zuschauer drückt seine Zustimmung mehrmals laut aus. Bis ein Sicherheitsmann ihn auffordert, nun ruhig zu sein.
Auf Bayreuths Straßen ist am Dienstagabend niemand im Zickzack gefahren.
Hans Söllner live - das sind zwei Stunden Rebellion unter Schutzatmosphäre im Europasaal. Während unsere eigene Spießigkeit uns vor der Tür schon wieder erwartet hat.