Echtes Mädchen, gezeichneter Kater: Dirigent Caspar Richter über "Alice im Cartoonland" Trickfilm wie im alten Kino

Von Michael Weiser

Die Musica Bayreuth biegt auf die Schlussgerade ein. Am Freitag, 22. Mai, präsentiert die Reihe einen Kinderfilmklassiker mit Begleitung durch ein Kammerkonzert: „Alice im Cartoonland“. Mit dem Dirigenten Caspar Richter sprachen wir über leichte Muse, schwieriges Timing und über verliebte Katzen.

 
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Hallo Herr Richter, am Freitag erwartet uns ein Konzert…
Caspar Richter: Konzert ist der falsche Ausdruck.

Also ein Stummfilmabend mit Live-Begleitung durch ein Orchester…
Richter: Ja, man kann sagen altes Kino aus den 20er Jahren, mit originaler Musik auch aus dieser Zeit. Wir zeigen sieben Filme, und davon sind vier mit der Musik von Paul Dessau zu sehen. Die anderen Filme hat ein amerikanischer Komponist vertont, Alexander Rannie, in den 90ern war das. Ein absoluter Profi, was die Filmmusik angeht. Die Filme selbst sind sehr sehenswert. Alice wurde von einem wirklichen Mädchen gespielt, und diese Aufnahmen wurden in einen Zeichentrickfilm montiert.

Klingt bahnbrechend.
Richter: Das ist bahnbrechend, absolut. Sie hat einen Kompagnon, den Julius, einen Kater, der ist gezeichnet. Mal hilft er ihr, mal sie ihm. Einmal rettet er eine junge Katze. Julius und die junge Katze küssen sich dann auch. Da hat übrigens Dessau ein paar Takte aus „The Star Spangled Banner“ eingebaut, der Hymne der USA. Und da gibt es eine andere Episode. Julius geht auf Brautschau, hat aber einen Rivalen, eine größere Katze. Die klaut den Blumenstrauch, schleimt sich ein bei der jungen Katze, die Julius anbetet. Und Alice gibt dem Julius Tipps. Da hört man dann ein Zitat aus dem „Rosenkavalier“. Das ist ziemlich schräg instrumentiert.

Klicktrack im Ohr

Hört sich nach viel Aufwand an.
Richter: Das ist ein kleines Kammerorchester mit 16 Musikern, zwei Holz- und zwei Blechbläser, zwei Schlagzeuger – die übrigens unglaublich viel zu tun haben, wegen der Effekte. Wenn jemand gegen die Wand läuft, runterfällt – klatsch, bäng – dann machen die das. Das ist minutiös festgelegt. Ich war beim Dirigieren schon unsicher. Wenn man das falsche Tempo vorgibt, dann ist es zu früh oder zu spät für die Effekte, dann haut das nicht mehr hin. Ich habe einen Klicktrack unter die Musik legen lassen. Also, unten drunter läuft ein Rhythmus mit, damit wir präzise mithalten. Ich hör’s auf einem Ohr, das Orchester hört es gar nicht. Es gibt den Auftakt, gibt das Tempo vor, und so kommen auch die Effekte absolut perfekt platziert.

Sie haben viel Oper gemacht, klassische Musik dirigiert. Was bedeutet für Sie leichte Muse?
Richter: Von der Schwierigkeit her ist es überhaupt nicht leicht. Es gibt diese unselige Kategorie von „ernst“ und „unterhaltsam“. Das fand ich schon immer abscheulich. Ich bin der lebende Beweis für das Gegenteil. Oder nehmen Sie Leonard Bernstein. Er hat Jazz und Klassik gespielt, hat die West Side Story komponiert, eines der besten Musicals überhaupt. Lorin Maazel hatte mich damals nach Wien gebracht, an die Volks- und an die Staatsoper. Und Peter Weck hat mich in Wien gefragt, ob ich mir Musical vorstellen konnte. Na, und ob. 25 Jahre lang habe ich Musical gemacht. Ich bin auch in Musical und Pop geübt. Man muss beides übrigens sehr ernsthaft betreiben. Ich kenne mich mit Musik von Bach bis Andrew Lloyd Webber gut aus.

Das mit den Disney-Filmen ist nun aber noch mal eine ganz andere Hausnummer.
Richter: Ich bin seit drei Jahren bei den Passauer Europäischen Wochen. Ich bin ständiger Dirigent dort und Musikdirektor. Seit zwei Jahren machen wir diese Filmreihe. „Alice“ ist sehr interessant für Kinder. Auch von der Länge her ist es genau richtig für Kinder.

Nix mit Dante

Eine Episode heißt „Alice und die Selbstmörder“. Klingt ja fast nach Dante im Zweiten Kreis der Hölle…
Richter: Das ist irreführend. Auf Englisch heißt das ganz anders, man könnte es mit „eine glückliche Romanze“ übersetzen. Das ist die Episode mit Julius als Liebhaber. In einer Szene versucht er, einen Tresor eine Wand hinaufzuhieven, und dann bricht das ganze Gestell zusammen, und Julius wird darunter begraben. Aber im Trickfilm kann er halt wieder aufstehen. Es gelingt ihm auch nicht, sich umzubringen. Und Alice hilft ihm, dass er am Ende doch seinen Nebenbuhler aussticht. Also: Happy End.

Der alte Dessau oder der moderne Rannie – wer gefällt Ihnen besser?
Richter: Die sind beide so unterschiedlich. Vom musikalisch-künstlerischen Aspekt her hat Dessau versucht, richtig hohes Niveau da unterzubringen, das geht in Richtung Strawinsky oder Hindemith, auch von Kurt Weill sind Anklänge drin. Der andere hingegen ist ein typischer Filmkomponist, der das Geschäft perfekt kennt. Filmmusik soll ja nicht stören, sie soll vielmehr untermalen und die Bilder unterstützen. Ist etwas einfacher gestrickt, aber trotzdem sehr virtuos. Die Besetzung ist an sich kleiner. Daher ist es auch verständlich, dass Dessau mehr mit Klangfarben arbeitet. Rannie liefert eine nachvollziehbare Stummfilmfassung. Wenn das Schiff auf den Wellen auf und ab steigt, wird das mit der Musik illustriert. Da gibt es eine Szene, da besteht die Mannschaft aus irgend einem Grund aus Affen. Die führen einen Matrosentanz auf, so badada dammdamm! Oder man sieht eine rutschende Ziege, und dann gibt es dieses Pfeifen, das man mit der Lotusflöte macht. So ungefähr (macht ein pfeifendes Geräusch wie bei einem fallenden Gegenstand).

Ich hör' schon, Sie haben Spaß.
Richter: Das macht ja auch richtig Spaß. Klar, da muss man erst koordinieren, das macht natürlich auch Arbeit. Aber diese Musiker sind die besten Solisten aus der Philharmonie Brünn. Und mit denen bei diesem Film zusammenzuarbeiten – das macht gute Laune. Klar.

INFO: „Alice im Cartoonland“, Disney-Stummfilme mit Live-Begleitung, wird am Freitag, 22. Mai, ab 19.30 Uhr in der Stadthalle präsentiert. Vorverkauf unter anderem an der Theaterkasse.