Doppeltes Debüt bei den "Meistersingern"

Von Florian Zinnecker

Der Kopf kann, wenn er will, an diesem Abend mal die Füße hochlegen. Die neuen Müchner „Meistersinger“ finden zwischen Plattenbau und Volksfestplatz statt, wo die Liebe noch heiß ist und das Bier billig.

 
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Das reicht schon, man kann den fünfstündigen Abend also einfach an sich vorbeirauschen lassen, gut unterhalten von den Witzchen, die Richard Wagner in den Text und die Noten geschrieben hat - amüsiert über Hans Sachs’ mobile Schusterwerkstatt, Magdalenes Punktekleid, das Moped von Lehrbube David, das Geschick, mit dem Regisseur David Bösch die Sänger über die Bühne führt, und die Lust der Sänger an der Komödie. Das alles: am vorderen Rand der Bühne und an der Oberfläche des Werks.

Bayerische Staatsoper, via Youtube

Man kann den Fehler, die „Meistersinger“ mit einer Vorabendserie zu verwechseln, aber auch einfach nicht machen. Dann wird schnell klar, dass Bösch mit dem Schein der Oberflächlichkeit nur spielen will. Da wird Walther von Stolzing zum Vorsingen auf einen elektrischen Stuhl gesetzt und mit Stromstößen gefoltert. Da wird Beckmesser mit Baseballschlägern verprügelt und dann ein paar Takte lang im Rollstuhl herumgeschoben; bevor er das Preislied findet, übergießt er sich mit Benzin und droht sich anzuzünden, am Ende erschießt er um ein Haar Hans Sachs. Jeder dieser Momente ist sofort wieder vorbei, aber in ihrer Gesamtheit reichen sie aus, um zu zeigen: Ein Stück ist keine Komödie, nur weil das Vorspiel in C-Dur beginnt.

Und Bösch löst damit auch das Grundproblem der „Meistersinger“ sehr geschickt: dass der deutschnationale Schlussmonolog von Hans Sachs als Problem gilt, zu dem sich jede Deutung zu verhalten hat; dass aber als selbstverständlich hingenommen wird, dass nicht etwa ein Auto oder ein Schinken der Preis des Wettsingens ist, sondern ernsthaft und unironisch: eine Frau. „Die Meistersinger sind das Werk eines Humors, dem nicht zu trauen ist“, schrieb vor vielen Jahren der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus; er meinte damit auch noch vieles andere, David Bösch reicht schon dieses eine.

Bildstörung beim Schlusschor

Den deutschnationalen Schlusschor lässt Bösch in einer projizierten Bildstörung verschwinden, das ist kein Statement, aber es reicht, um sich aus der Affäre zu ziehen. Das Regieteam wird dann deutlich ausgebuht, ob trotz Bildstörung oder deshalb, lässt sich nicht sagen.

Zugleich war der Abend ein doppeltes Debüt: für Petrenko am Pult und Jonas Kaufmann als leicht angerauter, abgedunkelter Stolzing; beides endete - erwartungsgemäß - als großer, ungefährdeter Erfolg.

Ein Vorspiel, wie gesungen

Petrenko treibt den Puls der Musik in die Höhe, ohne ihr den Druck zu nehmen, die Akkorde, die mit breiter Brust in der Partitur stehen, verwischen an den Rändern. Diese Musik ist sich ihrer selbst nicht gewiss, jeder Takt wird neu ausgehandelt, das Vorspiel macht tatsächlich Lust auf mehr, es beginnt bei Petrenko nicht in C-Dur, sondern mit einem krachenden Paukentriller, das Vorspiel zum dritten Aufzug kommt nicht als nachdenkliches Lamento, sondern warm und phrasiert, als wäre es gesungen. Dicke, runde Fortissimi haben auf einmal Kanten, verspielte Kabinettsstückchen werden gleißend-scharf, und, das passiert nun wirklich nicht oft mit diesem Werk, wo das Orchester nicht laut sein muss, ist es ausdrücklich: leise. 

Wagner in besten Händen

Wolfgang Koch hat es sich in der Partie des Hans Sachs mit seinem heiseren Wolfgang-Koch-Sprechgesang gut eingerichtet, auf der Festwiese bekommt sein Ton dann auch ein bisschen Wärme. Sara Jakubiak ist eine glänzende, aber keine strahlende Eva. Für Benjamin Bruns dürfte die David-Partie nun wirklich nicht noch höher liegen, Okka von der Damerau sang Magdalene, Christof Fischesser glänzte als Pogner.

Nachdem er versungen und vertan hat, zerschmeißt Jonas Kaufmann als Stolzing eine Wagner-Büste. Der verdiente Bayreuth-Veteran Eike Wilm Schulte als Fritz Kothner sammelt traurig die Scherben ein. Aber natürlich, es war nur ein Abguss. Er war währenddessen bei Petrenko in allerbesten Händen.

INFO: Die Aufführung der "Meistersinger von Nürnberg" am 31. Juli wird auf der Webseite der Bayerischen Staatsoper kostenlos übertragen.

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