Der Kampf zurück ins Leben

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Die Unterschenkel und Teile seiner Hände hat sie ihm geraubt. Sein Gesicht, vor allem die Nase, zu einem Narbenfeld werden lassen. Nur den Lebensmut, den lässt sich Mirco Schraml nicht rauben. Und das obwohl die Sepsis (Blutvergiftung), die er im Mai letzten Jahres erlitt, fast das Leben kostete und ihn zum Gefangenen im eigenen Körper machte. Das Leben, das dem 39-Jährigen Bayreuther so wertvoll ist, dass er trotz des schweren Schicksalsschlages vermutlich zwei weiteren Menschen das Leben gerettet hat. Jetzt bricht er wieder auf, um einer Frau zu helfen.

 
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Der Autounfall: Begonnen hat alles mit einem schweren Verkehrsunfall vor 17 Jahren. Schraml musste damals unter anderem die Milz entfernt werden. Er schulte zum Bürokaufmann um, denn seinem ursprünglichen Beruf als Heizungsbauer konnte er nicht mehr nachgehen. Als Sachbearbeiter im Kundendienst von Heizungs- und Installationsfirmen übernahm er teilweise auch Führungsaufgaben. Als er dann noch seine große Liebe kennenlernte, schien das Leben wieder perfekt.

Doch der Unfall aus dem Jahr 1999 sollte sich wieder in Erinnerung rufen. Im Mai letzten Jahres bekam Mirco Schraml eine Magenverstimmung. Diagnostiziert wurde vom Arzt eine Erkältung. Innerhalb weniger Stunden ging es mit seinem Gesundheitszustand rapide bergab. Er bekam Fieber, seine Haut verfärbte sich gelblich. „Ich war zu Hause, hatte damals ein gebrochenes Bein“, erinnert sich seine Freundin Silke Munzert. „Als er zu mir kam, dachten wir noch an einen Magen-Darm-Infekt.“ Am Abend hatte er hohes Fieber: 40,6 Grad. Im Med-Center konnte er schon nicht mehr richtig reden. Doch auch dort tippte man noch auf einen Magen-Darm-Infekt. Der sei häufiger vorgekommen in den letzten Tagen. Die Nacht war sehr unruhig. Mirco Schraml musste sich immer wieder übergeben. Und am Morgen konnte er das Bett nicht mehr alleine verlassen. Silke Munzert holte einen Nachbarn, der Rettungssanitäter ist. Ein Krankentransport wurde gerufen. Auf dem Weg ins Klinikum erbrach Mirco Schraml dann schon Blut.

Die Diagnose: Im Klinikum Bayreuth wurde dann endlich die Blutvergiftung (Sepsis) diagnostiziert. Alles ging sehr, sehr schnell. Am Morgen war Schraml noch weitgehend selbstständig in das Krankenhaus gelaufen, gegen Mittag bereits musste er beatmet werden. Die Situation hatte sich dramatisch zugespitzt. „Die Überlebenschancen standen damals 50 : 50“, erinnert sich Kardiologe Dr. Christoph Dommke. Trotz sofortigen Einsatzes von Antibiotikum zeigt sich der schwere Verlauf der Sepsis mit der sofort beginnenden Nekrose an den Beinen und sogar im Gesicht (pathologischer Untergang einzelner oder mehrerer Zellen). Das Gewebe verfärbt sich blauschwarz. Bereits zu diesem Zeitpunkt, also 24 Stunden nach dem Ausbruch, steht fest, dass es zu Amputationen kommen muss. „Das ist eine wahnsinnig schnelle Kaskade, die hier greift,“ sagt Dommke. „Und man weiß ja auch nie, ob nicht auch innere Organe angegriffen sind.“

Der G-8-Gipfel: Just zu diesem Zeitpunkt tagte im Isartal auf Schloss Elmau der G8 Gipfel. „Ich hätte sofort in die Unfallklinik in Murnau geflogen werden müssen“, sagt Schraml, „um bestmöglich versorgt zu werden.“ Das wiederum sei aber nicht möglich gewesen. Es gab für den Luftraum ein Flugverbot.

Nach Murnau: „Stimmt“, sagt Dr. Christoph Braig, Facharzt für Innere Medizin im Klinikum Bayreuth. „Es gab ein Flugverbot. Aber das war für den Patienten kein Schaden.“ Der Zeitfaktor sei nie ein Thema gewesen, denn „es gab keine Notfallindikation.“ Das Antibiotikum habe angeschlagen. Braig: „Der Patient hat nichts davon, wenn das schnell, schnell gemacht würde. Salamitaktik sozusagen.“ Für Amputationen müsse klar sein, wo vitales Gewebe vorhanden ist, damit Nähte auch heilen können. Und es habe stets auch Alternativen zu Murnau gegeben. Nicht zuletzt dank seines eisernen Überlebenswillens hatte sich der gesundheitliche Zustand von Mirco Schraml nach drei Tagen soweit stabilisiert, dass der Flug nach Murnau durchgeführt werden konnte. In verschiedenen Operationen wurden beide Unterschenkel, der rechte Unterarm, sowie die Finger der linken Hand amputiert. Nur der halbe Daumen an der linken Hand konnte erhalten werden. Und diese Hand bietet wenigstens noch eine Greiffunktion, wenn auch stark eingeschränkt. „Ich schone sie nicht,“ sagt Schraml. Und seine behandelnden Ärzte staunen, welche Kraft er hier entwickelt.

Irgendwann einmal ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben führen zu können, das war der Wunsch, der Schraml Operationen wie Reha-Maßnahmen erdulden half.  In der Unfallklinik Murnau bereitet man ihn auf sein Leben mit Prothesen vor. Bei der letzten Operation wurde die Nase gerichtet, um die Atmung zu erleichtern. So ganz nebenbei machte er zwei Patienten wieder Mut, die vor Amputationen standen und daran zu verzweifeln drohten. Ein Arzt in Murnau hatte Schraml um Unterstützung gebeten.

Wieder mobil: Doch er will mehr. Er möchte wieder mobil sein, möchte wenigstens zeitweise wieder arbeiten. Möglich wird das mit Hilfe eines speziell für ihn ausgebauten Autos. Davor musste er die Prüfung für einen speziellen Führerschein ablegen. Auch das ist ihm bereits gelungen, auch dank der Unterstützung von Spendern. Jetzt kämpft er um ein Auto, das er sich von der kleinen Rente, die er zur Zeit bekommt, nicht wirklich leisten kann. Freunde helfen ihm. Das Auto steht vor der Tür. „Das ist ein wahnsinniges Gefühl, einzusteigen.“ Die neue Technik sei zwar noch ein bisschen gewöhnungsbedürftig, doch Schraml ist ein Kämpfer: „Ich möchte gern wieder am öffentlichen Leben teilnehmen und auch im Privatleben ein bisschen Glück und Freude haben. Schwerbehinderte werden in Deutschland wie Aussätzige behandelt. Es ist kein Wunder, dass manche Leute mit so einer Behinderung verzweifeln und sich gehen lassen.“

Wohin die erste größere Fahrt mit dem neuen Fahrzeug geht, steht auch fest: Nach Murnau, einer jungen Frau Mut machen, die nach einer Lungenembolie vor Amputationen steht. Einer der Ärzte hat Schraml angerufen und um Hilfe gebeten.

Info: Wer Mirco Schraml über die Kurier-Stiftung „Menschen in Not“ unterstützen möchte bei der Finanzierung des Autos, kann dies tun unter Kontonummer

DE 93773 50110 00090 00001,

Stichwort: „Schraml“  

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