Der Kampf um die Ausgleichsflächen Nutzlos oder alternativlos: Wie viele Neubaugebiete braucht die Region?

Von Sarah Bernhard

Der eine ist ganz begeistert vom Neubaugebiet im Ort, der andere hält Neubaugebiete für den größten Schwachsinn. Nicht nur, weil sie die Umwelt zerstören. Sondern auch, weil sich die Gemeinden damit selbst schadeten. Wie es besser gehe, wisse nicht einmal eine Handvoll Gemeinden.

 
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Baulücken wie diese zu schließen, wäre dem Betzensteiner Bürgermeister Claus Meyer deutlich lieber als ein Neubaugebiet. Er habe schon probiert, die Eigentümer von einem Verkauf zu überzeugen – vergeblich. Foto: Münch Foto: red

Thurnau und Emtmannsberg haben es schon, Harsdorf und Mistelgau wollen es noch: ein neues Baugebiet. „Bisher habe ich jede Woche einen weggeschickt, der bei uns bauen wollte, weil kein Platz war“, sagt Martin Bernreuther, der Bürgermeister von Thurnau. Dabei könne man den demografischen Wandel nur aufhalten, wenn man junge Familien in die Gemeinde hole. „Und die gehen dahin, wo Land da ist, das man ohne viel bürokratischen Aufwand bebauen kann.“ Also ins Neubaugebiet.

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So begeistert wie Bernreuther sind aber nicht alle. Neubaugebiete seien „angesichts des stetigen Bevölkerungsrückgangs und des immer deutlicher werdenden Aussterbens von Ortskernen gerade auch in Oberfranken zunehmend kritisch zu hinterfragen“, sagt Michael Benz, Sprecher des Landratsamts. Und auch die Bundesregierung stört sich an der „Zersiedelung der Landschaft“: In ihre Nachhaltigkeitsstrategie schrieb sie das Ziel, die Fläche, die in Deutschland täglich zur Bebauung freigegeben wird, bis 2020 auf 30 Hektar pro Tag zu reduzieren. Noch 2012 waren es täglich 74 Hektar – oder 113 Fußballfelder.

Flächenverbrauch stieg deutlich

Auch im Landkreis Bayreuth erhöhte sich der Flächenverbrauch laut Statistischem Landesamt zwischen 1996 und 2013 deutlich: Die reine Wohnbebauung stiegt von 1705 Hektar auf 2684 Hektar, das sind 2,1 Prozent der Landkreis-Fläche. 0,3 Prozent der Fläche waren 2013 mit Fabriken bebaut, 4,1 Prozent mit Straßen zugepflastert. Zum Vergleich: 41 Prozent der Fläche nutzte die Landwirtschaft, 47 Prozent des Landkreises waren mit Wald bedeckt.

Um die neu versiegelten Flächen zu kompensieren, müssen die Gemeinden sogenannte Ausgleichsflächen schaffen. „Grundgedanke ist folgender: Man nimmt der Natur an einer Stelle etwas weg, dafür muss man ihr an anderer Stelle etwas Gutes tun“, schreibt Benz. Wie groß diese Flächen sind, berechnet sich nach der „Schwere des Eingriffs in die Natur“: Muss fürs Neubaugebiet ein Maisacker weichen, braucht es weniger Kompensation als wenn eine Wiese mit seltenen Pflanzen zerstört wird.

Ein Fehler im System

Der Mistelgauer Bürgermeister Karl Lappe hält dieses System für völlig verfehlt. „Ausgleichsflächen verteuern alles“, sagt er. 8000 Quadratmeter Ausgleichsfläche bräuchte er fürs neue Baugebiet, nur ein Viertel davon hat er. Den Rest müsse er sich nun mühsam zusammensuchen. „Dabei haben wir genügend Naturflächen. Was fehlt sind Helfer, die sie pflegen.“ Er schlägt vor, statt immer neuer Flächen Geldzahlungen zuzulassen, mit denen dann Naturschutzprojekte unterstützt werden können.

Das allerdings sieht das Baugesetzbuch nur für Einzelmaßnahmen, nicht aber für ganze Baugebiete vor. Aus gutem Grund, sagt Volkmar Klatt, der Vorsitzende der Ortsgruppe Heinersreuth des Bundes Naturschutz. „Mit Blick auf den Umweltschutz ist die Forderung, Flächenversiegelung zu erleichtern, statt sie einzudämmen, abwegig.“ Zumal Neubaugebiete der Region nicht einmal ein wirkliches Bevölkerungsplus brächten: „Die Gemeinden nehmen sich einfach gegenseitig die Einwohner weg.“ Tatsächlich haben im Lauf der letzten zehn Jahre mehr Menschen den Landkreis verlassen, als zugezogen sind.

Baugebiete - ein soziales Desaster

Wenn eine Gemeinde trotzdem Zuzüge wolle, solle sie zumindest darauf achten, sie nicht alle in einem Baugebiet zu vereinen, sagt Klatt: „Den Traum vom eigenen Haus kann sich nur eine bestimmte Schicht erfüllen. Diese Menschen werden dort gemeinsam alt – und gehen dann gemeinsam wieder weg.“ Übrig blieben dann nicht nur leere Häuser, sondern auch eine sanierungsbedürftige Infrastruktur.

Deshalb plädiert Klatt dafür, Menschen statt in Neubaugebiete in leerstehende Häuser in den Innenstädten zu locken, „wo sich die Menschen begegnen und nicht ganz so auffällig ist, dass der eine arm, der andere reich ist“. Das schone nicht nur die Umwelt, sondern stärke auch das soziale Miteinander.

Grundstückseigentümer haben kein Interesse

Auch Claus Meyer würde gerne Menschen in den Ortskern locken. „Wenn wir die Leerstände und die Baulücken, zu denen es schon Anschlüsse gibt, nutzen könnten, statt dass sie verwildern, das wäre das Schönste für die Gemeinde“, sagt der Betzensteiner Bürgermeister. Mit der selben Begründung hatte der Kirchenpingartener Bürgermeister Klaus Wagner vor kurzem ein Neubaugebiet abgelehnt. Ob das nützt, ist fraglich: Fast alle Grundstückseigentümer habe er schon angeschrieben, sagt Meyer. Doch die meisten hätten kein Interesse gehabt, ihr Grundstück zu verkaufen.

Und selbst wenn man die leerstehenden Häuser schon hätte, würde das Konzept nicht funktionieren, sagt Thurnaus Bürgermeister Martin Bernreuther. „In diese Häuser müsste man so viel investieren, dass es aus wirtschaftlicher Sicht viel vernünftiger ist, einfach neu zu bauen.“

Das Ökokonto

Eine Möglichkeit für Gemeinden, sinnvolle Flächenpolitik zu betreiben, ist das sogenannte Ökokonto. Auf dieses Konto können Gemeinden jederzeit Flächen „einbezahlen“. Naht ein Bauvorhaben, spart das die Zeit, die Investoren brauchen würden, um geeignete Ausgleichsflächen zu finden. Auch für die Natur hat das Vorteile. Weil die eingezahlten Flächen meist größer sind, sind sinnvollere Naturschutzprojekte möglich als auf kleinen, zerstückelten Flächen.

Eine der wenigen Kommunen in der Region, die das Ökokonto nutzen, ist seit 2001 Bayreuth. Der Stadtrat wollte der Verwaltung damals ein Instrument an die Hand geben, mit dem „sie frühzeitig und effektiv die notwendigen Maßnahmen abwickeln kann“. Auf dem Konto sind momentan über 22 Flächen, unter anderem in Thiergarten und am Fuß des Oschenbergs.