Der grüne Faden Mit viel Energie aus dem Sumpf gezogen

Als Kind und Jugendliche wurde Sabrina Meier gemobbt: Sie sei zu dick, hänselten sie ihre Mitschüler. Im Fitnessstudio wurde sie ihren Frust und ihre Essstörung los. Foto: Ralf Münch

Als Kind und Jugendliche wird Sabrina Meier gemobbt. Sie sei zu dick, hänseln sie ihre Mitschüler. Folge: Sie entwickelt eine Essstörung. Fressattacken wechseln mit Mangelernährung ab. Bis sie ihren Ausweg aus der Misere findet: das Training im Fitnessstudio. Und einen neuen Lebensinhalt: Die Ausbildung zur Fitnesstrainerin.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Pottenstein - Das Bild aus ihrer Jugendzeit zeigt eine junge Frau. Etwa 1,68 groß, schlank: ein hübsches Mädchen, das mit einem Lächeln in die Kamera schaut. Nichts Außergewöhnliches fällt dem Betrachter an der 16-Jährigen auf. Eine ganz normale Jugendliche eben. Aber ganz normal war das Leben zur damaligen Zeit nicht für Sabrina Meier. Warum? Sie ist zu dick. Das denkt nicht sie, das sagen nicht ihre Eltern. Das behaupten einige Mitschülerinnen und Mitschüler, die mit Sabrina die Mittelschule besuchen. Zu viel Speck auf der Hüfte hätte Sabrina, sage sie. Und tun das, was man als Mobbing bezeichnet.

Von Mitschülern gehänselt

Schon als Kind, sagt die heute 23-Jährige, sei sie in der Schule gehänselt worden. „Weil ich moppelig war.“ Kinder können grausam sein, sich ein Opfer aussuchen und dieses rücksichtslos drangsalieren. Selbst wenn die Gründe aus Sicht des Betroffenen nicht zutreffen. Das Kind Sabrina ignoriert das Verhalten ihrer Mitschüler, bis sie zum Teenager wird. „So ab der 8. Klasse, mit 15, 16 Jahren, hab ich beschlossen, meine Ernährung zu ändern“, sagt sie. Die Hänseleien haben doch Spuren hinterlassen. Die Pubertät, die hormonellen Veränderungen ihres Körpers mögen ebenfalls ausschlaggebend gewesen sein. „Ich habe nur noch Yoghurt und Obst gegessen“, sagt sie. „Das hat gut funktioniert.“ Sabrina nimmt ab, sie wird schlanker, der Hüftspeck verschwindet. Hier könnte die Geschichte der jungen Frau enden. Doch die Psyche kommt ins Spiel. Wie viele andere Mädchen im Teenager-Alter hadert sie mit ihrem Körper. Viele Heranwachsende, die sich als zu dick empfinden, überzeugt sind, nicht den Schönheitsidealen zu entsprechen, entwickeln eine Essstörung, im schlimmsten Fall eine Magersucht oder gar eine Bulimie.

Fressattacken

Obwohl ihr Körpergewicht dem Durchschnitt entspricht, wie ihr Arzt ihr attestiert, sie nicht zu dick oder zu dünn ist, entwickelt Sabrina tatsächlich eine Essstörung. Binge Eating lautet der Fachbegriff für dieses gestörte Essverhalten. Eine psychische Störung, die sich in wiederkehrenden Essattacken äußert. Betroffene wie Sabrina verlieren jede Kontrolle über ihr Essverhalten und verschlingen enorme Nahrungsmengen. Die meisten Betroffenen sind, im Gegensatz zu Sabrina, übergewichtig und haben ein nur geringes Selbstwertgefühl. Sabrina kauft nur noch fettarme Nahrungsmittel, isst nur noch Bananen und Reiswaffeln. „Ich habe über Wochen hinweg wenig gegessen“, erinnert sie sich. „Wollte so schnell wie möglich viel abnehmen, damit man mich in Ruhe lässt und die Hänseleien aufhören.“ Zwischendurch überkommen sie Fressattacken. „Ich habe in Windeseile alles in mich reingestopft. Ein großes Glas Erdnussbuttercreme auszulöffeln war überhaupt kein Problem“, sagt sie. Phasen, in denen sie ihre Ernährung reduziert, und Fressattacken wechseln sich ab. Bis sie eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau absolviert.

„Ich bin zu dick“

In den zweieinhalb Jahren der Ausbildung ist Sabrina körperlich gefordert. Sie, die eigentlich ein Sportmuffel ist, muss viel laufen. In der Zeit hätte sie eine normale Figur gehabt, bei einem Körpergewicht von 60 bis 62 Kilogramm, sagt sie. Die Fressattacken lassen nach. Nach der Ausbildung wird sie übernommen. Doch sie erhält nur eine halbe Stelle. Zu viel Freizeit, zu viel Trägheit. Sie folgt dem Rat ihres Vaters und beginnt eine Umschulung zur Kauffrau im Büromanagement. Beruflich eine deutliche Verbesserung, für ihr körperliches Wohlbefinden aber ein Rückschritt. „Wenn du acht Stunden sitzt und immer jemand etwas leckeres zu essen mitbringt, hat das Konsequenzen“, sagt sie. Nach wenigen Monate war ihr klar: „Ich bin zu dick, ich muss was ändern.“

Neue berufliche Richtung

Ein Gespräch mit einer Freundin am Abend kurz vor Ladenschluss an der Kasse eines Supermarktes leitet die Wende ein. „Sie hat mir von einem Fitnessstudio in Bayreuth erzählt, in dem sie trainiere. Ich bin aus dem Supermarkt raus und sofort nach Bayreuth gefahren, um mich anzumelden. Es war wie ein Befreiungsschlag, der mich aus dieser Sackgasse herausgeführt hat. Es hat keine sechs Monate gedauert und ich habe mich physisch und psychisch wohlgefühlt wie noch nie in meinem Leben zuvor“, sagt Sabrina. Doch damit nicht genug: Die heute 23-Jährige hat erkannt, dass es möglich ist, sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen. Wenn man den Mut dazu hat, auch wenn die Verzweiflung noch so groß ist. Und noch etwas hat sie erkannt: Dass sie in ihrem beruflichen Leben eine neue Richtung einschlagen muss.

Ausbildung nach Feierabend

Das Training im Fitnessstudio hat der viele Jahre unsportlichen Frau nicht nur Muskeln und Kondition gebracht, sondern auch die Gewissheit, dass sie eine neue berufliche Laufbahn einschlagen muss. Eine berufliche Neuorientierung, die ihr viel Kraft und Anstrengung abverlangt: Sie will und sie wird ihr sportliches Engagement zum Beruf machen. Den ersten Schritt hat sie bereits getan: Seit September absolviert sie neben ihrem Beruf eine Ausbildung zur Ernährungsberaterin. Trotz eines langen Arbeitstages, den sie konsequent von Montag bis Freitag bereits um 6 Uhr mit einem einstündigen Training im Fitnessstudio beginnt, büffelt sie abends für diese Ausbildung. Hat sie die Ausbildung abgeschlossen, folgt der zweite Schritt: Die Ausbildung zur Krafttrainerin. Beides zusammen ergibt ihren Traumberuf: Fitnesstrainerin. Und zwei berufliche Möglichkeiten: Eine Anstellung in einem Fitnessstudio als Personal Trainerin und in naher Zukunft die Verwirklichung ihres Traumes: ein eigenes Fitnessstudio.

Niemand ist perfekt

Rückblickend könne sie heute behaupten, dass sie sich rund um wohlfühle in ihrem Körper. Die Essstörungen habe sie überwunden. Sie habe Kurven, Hüfte und Hintern. Aber sie habe nie an einem Schlankheitswahn gelitten, betont sie ausdrücklich. Auch ihr Körper entspreche nicht der Vorstellung von Perfektion, wie er Mädchen im Internet präsentiert werde. Es gebe keinen perfekten Körper, sagt Sabrina. Das Bild der Frau auf einschlägigen Seiten entspreche nicht der Realität. Man könne aber, und das zeige ihr Beispiel, mit viel Kraft und Energie einen Körper bekommen, der seinem Ideal entspreche. Und damit ein physisches und physisches Gleichgewicht herstellen.

Ihre Erfahrungen teilt Sabrina Meier mittlerweile auch mit zahlreichen Followern auf ihrer Instagram-Seite. Dort ist ein Modelabel auf sie aufmerksam geworden und hat sie engagiert. Sie sei stolz auf diese Fotos, sagt sie. Die Einnahmen spendet sie an gemeinnützige Projekte.

Autor

Bilder