Der Grüne Faden Ein zäher Macher mit weichem Kern

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MUTHMANNSREUTH. Jürgen Kahl ist ein Muthmannsreuther Urgestein. Er ist ein Macher, dem drei Dinge besonders wichtig sind: seine Familie, die Natur und der Zusammenhalt – in der Dorfgemeinschaft und auf der Arbeit.

 
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Er ist ein richtiger Muthmannsreuther. Ein „Ureinwohner“, wie er selbst sagt. Jürgen Kahl hat es sich mit seiner Frau Sieglinde schön gemacht auf dem ehemaligen Bauernhof mit der gelben Fassade. Heute erinnern nur noch die Scheunen daran, dass es hier auch einmal Schweine und Kühe gab. Im Garten grünt und blüht es – dank seiner Sieglinde – wie Kahl einwirft.

Er und Kater Rasmus machen es sich im Schatten auf der Terrasse gemütlich, bevor das Muthmannsreuther Urgestein beginnt zu erzählen. Seine 63 Lebensjahre hat er allesamt im beschaulichen Örtchen mit 29 Häusern gewohnt, ist dort fest ins Dorfleben verankert.

Die Gemeinschaft ist wichtig

Zum Beispiel war er es, der die Idee hatte, einen Maibaum im Hummeltaler Ortsteil aufzustellen. Er schmückt den Osterbrunnen zusammen mit anderen aus dem Dorf, mag es, Ausflüge in der Gemeinschaft zu unternehmen und Zusammenhalt. „Das ist mir schon mein ganzes Leben lang wichtig“, erklärt Kahl. „Ein Grund dafür könnte sein, dass mein Vater starb als ich drei Jahre alt war und ich Einzelkind bin.“

Seine Mutter zog ihn alleine auf, nachdem sein Vater 1959 bei einem Unfall ums Leben kam. Kahls Vaterersatz waren seine beiden Onkels – die Brüder seiner Mutter.

Die Landwirtschaft habe ihn geprägt, sagt er. Er ist ein Macher, der nach seiner Bundeswehrzeit eine sichere Stelle im Arbeitsamt ablehnte, um beim damaligen Eisenwerk Hensel – heute Ebu Umformtechnik – in Bayreuth eine Ausbildung zum Industriemechaniker zu machen. Dort arbeitet der 63-Jährige auch heute noch, ab September wird er vom Betrieb freigestellt.

Immer unterwegs

Zum Rentner wird er Mitte des nächsten Jahres. „Langweilig ist mir dann sicherlich nicht. Ich bin eigentlich immer unterwegs“, meint er. In den 90er Jahren war er Kommandant der Muthmannsreuther Feuerwehr, hat in seinen jungen Jahren Fußball gespielt.

„Momentan kann ich nichts machen, nicht mal Auto fahren, das ist für mich anstrengender als zu arbeiten.“ Der Grund dafür: eine Schulterverletzung. Fast 30 Jahre auf Montage haben bei ihm Spuren hinterlassen. Von Montag bis Freitag oder manchmal sogar zwei Wochen am Stück ist er in ganz Deutschland und Europa unterwegs, baut Maschinen auf.

Da sei es wichtig, einen guten Draht zu den Arbeitskollegen zu haben, findet er. Unter ihnen ist es wieder Kahl, der sich für den Zusammenhalt einsetzt, Wanderungen oder gemeinsame Essen organisiert. „Für mich war es immer wichtig, alle in ein Boot zu holen und Wissen an die jungen Leute weiterzugeben.“ Und das sei vor allem eines: Sich erst an seiner eigenen Nase packen, bevor man andere kritisiert.

Seine Arbeitskollegen werden ihm schon fehlen, meint er und schiebt gleich nach, dass er sich wegen seines Jobs in ganz Deutschland auskennt. Er fährt ohne Navi, braucht meistens nicht einmal eine Landkarte. Die neue Technik ist eben nicht so seins, ein Handy hat er zwar, „aber nur zum Telefonieren“.

Auch einen Computer gibt es im Hause Kahl, der gehört seiner Frau Sieglinde. „Ich weiß nicht einmal, wie der angeht“, sagt Kahl und muss lachen.

Auf Montage hat er vieles erlebt, ein ganz besonderes Erlebnis war für ihn der Mauerfall.

Am 9. November 1989 war er auf Montage in Berlin, hat alles live mitbekommen. „Ich weiß noch genau, dass ich im Hotelzimmer in Spandau saß und Fußball geschaut habe. Es war ein Donnerstag. Bayern lag in Stuttgart 3:0 hinten. Und dann ging’s los, ganz Berlin war voll. Ans Arbeiten war am Tag darauf nicht zu denken“, erinnert er sich.

19 Stunden hat die Rückfahrt nach Bayreuth am Freitag gedauert. „Überall auf den Autobahnen waren Trabis.“ Dass er Bayern-Fan ist, erwähnt er in einem Nebensatz, seine ganze Familie habe er mit dem Fieber infiziert.

Der Wald als großes Hobby

Wenn er dann zum Wochenende heimkommt von der Montage, zieht es ihn erst zur Familie und seinen sechs Enkelkindern. Und dann in seinen Wald. „Der ist mein großes Hobby“, sagt er mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Er hat zusammen mit Frau, Sohn und Tochter schon um die 10.000 Bäume in den Wäldern um Muthmannsreuth gepflanzt, alle davon klimabeständig. Sprich: Weißtannen oder Eichen.

Auch die Scheune, die aus alten Tagen übrig blieb – hat heute noch einen Sinn. Sie ist Garage für den Traktor und ein Holzlager. „Wir heizen ausschließlich mit Holz“, erzählt der Mann, der sich als äußerst naturverbunden beschreibt.

Er geht gerne Pilze sammeln, fährt mit seinen Enkeln im Alter von fünf bis eins „mit dem Bulldog raus“ und hat ein Herz für Katzen. „Vor zehn, 15 Jahren wurden zur Weihnachtszeit und zu Ostern viele Katzen in der Umgebung ausgesetzt. Viele davon hab’ ich aufgenommen“, sagt er.

In der Hochphase hat er bis zu fünf Katzen gepflegt, inzwischen sind es mit dem weiß-schwarzen Kater Rasmus noch drei. Im Garten von Jürgen Kahl warten aber noch mehr Tiere auf ihn: Es gibt Hasen, die er für seine Enkel hält, und einige indische Laufenten. „Die haben meine Tochter und mein Schwiegersohn mitgebracht“, erzählt er.

Kaffee? Nein, danke

In seinem ganzen Leben hat der Muthmannsreuther noch nie eine Tasse Kaffee angerührt oder in einem Flugzeug gesessen. Das Erste, weil er einfach keinen Kaffee mag und das Zweite, weil er „Respekt“ hat vorm Fliegen.

Und was mag er ganz besonders? Seine 56-jährige Frau Sieglinde: „Ich hab’ einmal im Leben einen Sechser im Lotto gehabt und das war meine Frau. Sie hat unsere Kinder quasi alleine aufgezogen, weil ich beruflich so viel unterwegs war.“

Und da gibt es noch was: deutschen Schlager und Rock. Schlicht und einfach, weil er englische Lieder nicht versteht. Zu deutsch-englischen Missverständnissen fällt ihm dann gleich noch eine Anekdote ein: Auf Montage ist er einem extrem gut gekleideten „Facility Manager“ begegnet. „Ich hab’ gedacht, das ist der Chef. Meine jungen Arbeitskollegen haben mich aufgeklärt, dass es der Hausmeister war. Man könnte ihn ja einfach so nennen.“

Auf seine Zeit als Rentner freut sich Jürgen Kahl schon. Es warten jetzt andere Aufgaben auf ihn. Auf die Enkel aufpassen, die ihre Großeltern täglich besuchen. Sich um seinen Wald kümmern und sein Amt als Feldgeschworener öfter wahrnehmen. Eben alles zu genießen, was während der Arbeitsjahre zu kurz kam.


Info: Jürgen Kahl gibt den Grünen Faden weiter an den Muthmannsreuther Florian Wiedemann. „Weil er ein junger Mann ist, der sich für und in seiner Heimat engagiert. Davon müsste es viel mehr geben.“

Der grüne Faden: Jeder Mensch hat eine Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden. Die Region Bayreuth hat rund 180 000 davon. Mit unserer Serie möchten wir die Schicksale hinter den vielen Gesichtern aufzeigen, die uns täglich begegnen. Ob auf dem Marktplatz oder beim Metzger. Jeder Porträtierte wird anschließend gebeten, den symbolischen Grünen Faden an jemanden weiterzureichen, dessen Geschichte auch einmal erzählt werden sollte. So zieht sich der Grüne Faden durch die Region.

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