Das vernetzte Automobil

Von Norbert Heimbeck

Bevormundung oder sinnvolle Unterstützung beim Fahren? Moderne Kraftfahrzeuge sind vollgestopft mit Elektronik: Spurhalte-Automatik, Regen- und Luftdrucksensoren, Abstandswarner, Einparkautomatik, Berg-Anfahrhilfe und vieles mehr. Wer braucht das? Und warum führt kein Weg mehr daran vorbei?

 
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Der Oldtimer-Liebhaber und der Digitalisierungs-Fan: Rolf Steinhilper (links) und Stefan Freiberger diskutieren die Vor- und Nachteile von Autos, die mit Elektronik hochgerüstet sind. Foto: Andreas Harbach Foto: red

Rolf Steinhilper und Stefan Freiberger sind Ingenieure und Autofans. Sie gehören zum Leitungsteam der Fraunhofer Projektgruppe Prozessinnovation. Steinhilper ist Oldtimer-Liebhaber und hat seinen 60. Geburtstag bereits hinter sich. Freiberger ist Mitte 30 und fährt ein modernes Porsche Cabrio. Beim Thema Elektronik im Auto gehen ihre Meinungen auseinander:

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Nutzen

Rolf Steinhilper: Die Funktionalitäten eines modernen Autos gehen weit über das hinaus, was der normale Nutzer haben möchte und auch nutzt. Mich stört es, wenn diese Systeme den Menschen bevormunden. Nur ein Beispiel: Das Auto gibt die Handbremse nicht frei, wenn ich nicht angegurtet bin. Dabei will ich doch nur aus der Garage hinausfahren.

Stefan Freiberger: Wir müssen uns fragen, warum Fahrzeuge all diese Systeme eingebaut haben. Weil Sicherheits- und Umweltnormen erfüllt werden müssen. 4000 Verkehrstote jedes Jahr sind sehr viel. Es ist erklärtes Ziel von Industrie und Politik, diese Zahl zu senken. Wie viele Unfälle passieren alleine durch den Sekundenschlaf? Da ist es doch nur sinnvoll, wenn der Spurhalteassistent reagiert und den Fahrer warnt.

Bedienungsfreundlichkeit

Steinhilper: Selbst wenn man diese Funktionen nicht nutzen will, muss man sie doch verstehen. Und ältere Menschen sind damit einfach überfordert.

Freiberger: Ein Großteil der Käufer wünscht Sicherheitssysteme. Eine Rückfahrkamera zum Beispiel kostet extra. Und sie wird gekauft. Eine Anfahrhilfe wird deshalb angeboten, weil die Werkstätten viele Kupplungsschäden registriert haben. Also haben die Hersteller eine Lösung dafür gesucht.

Steinhilper: Wenn mich mein Auto fragt „Soll ich rückwärts in diese Parklücke fahren?“ dann finde ich das gut. Wenn ich aber dafür wer weiß wie viele Knöpfe drücken muss, dann stört mich das.

Autonomes Fahren

Freiberger: Assistenzsysteme im Fahrzeug sind wirklich sinnvoll. Ich bin sicher, viele Menschen würden sich gerne sinnvoll beschäftigen statt ihr Auto von Ampel zu Ampel zu lenken. Das wäre doch toll: Man arbeitet, beantwortet Mails oder liest Zeitung, und das Auto fährt von selbst. In 20 Jahren werden wir hoffentlich so weit sein.

Steinhilper: Ich denke, dass wir schon 2020 autonomes Fahren auf der Autobahn haben werden. So etwas würde ich wahrscheinlich auch nutzen – wenn ich mal auf die 90 zugehe ...

Wartung

Freiberger: Brauchen wir eine Rückfahrkamera, Abstandswarner, brauchen wir GPS-Diagnose? Ja, das werden wir alles brauchen. Wenn das Auto zum Nutz-Fahrzeug wird, müssen wir uns um nichts mehr kümmern. Die Automatik prüft Reifendruck und Ölstand und veranlasst gegebenenfalls die Wartung. Wir setzen uns nur in das Fahrzeug, drücken den Startknopf und fangen zu arbeiten an. Was wir heute haben, sind die Vorstufen zu diesem Modell.

Steinhilper: Wenn wir schon so viel Elektronik verbauen, muss die Frage erlaubt sein, warum die Systeme so unterschiedlich zu bedienen sind. Eine reine Schikane sind für mich die Reifendrucksensoren. Wenn man nach einem Platten das Reserverad am Bordcomputer anmelden will, ist das eine Zumutung. Und noch etwas missfällt mir: Man kann an modernen Autos nicht mal mehr eine Glühbirne selber auswechseln.

Ein mit einem Park-System ausgestattetes Auto parkt selbständig ein. Foto: Franziska Kraufmann/dpa
 

Hintergrund: Das vernetzte Automobil

Die Hochrüstung der Kraftfahrzeuge mit modernster Technik macht rasante Fortschritte. Seit 1978 spricht man von der Vernetzung. Damals brachte Mercedes das weltweit erste Automobil mit einem elektronisch gesteuerten Antiblockiersystem (ABS) von Bosch auf den Markt. In den 1980er Jahren sorgte die digitale Motorsteuerung für einen weiteren Entwicklungssprung im Automobilbau. Weitere technische Meilensteine waren in den 90er Jahren das Navigationssystem, das elektronische Stabilitätsprogramm ESP und der Abstandsregeltempomat.

Aktuell steht die Automobilindustrie vor einem Umbruch: Immer ausgeklügeltere Technologien machen es möglich, dass Fahrzeuge ohne menschlichen Einfluss am Verkehr teilnehmen. Die entscheidende Fähigkeit eines solchen autonomen Autos ist die interne und externe Vernetzung. Die interne Kommunikation findet zwischen den verschiedenen Rechnern des Autos statt: Wenn das Sensorsystem zum Beispiel einen niedrigen Ölstand erkennt, weist der Bordcomputer auf die fällige Wartung hin und nennt die nächstgelegene Werkstatt. Ein Beispiel für externe Kommunikation ist der ab 2018 verbindliche automatische Notruf E-Call.

Autonome Fahrzeuge können mit Hilfe von Sensoren ihre Umgebung wahrnehmen und aus den gewonnenen Informationen ihre eigene Position und die der anderen Verkehrsteilnehmer bestimmen. In Zusammenarbeit mit der Navigationssoftware steuern sie das das Fahrziel an und vermeiden auf dem Weg Kollisionen. Versuchsfahrten finden zur Zeit auf der Autobahn A 9 statt.

Derzeit werden juristische Fragen des autonomen Fahrens diskutiert: Wem gehören die während der Fahrt gesammelten Daten? Wer darf sie wofür nutzen? Der ADAC hat Auskunft gefordert, welche Daten während einer Fahrt gesammelt werden.