Das Ukraine-Tagebuch „Die Menschen haben wahnsinnig viel Geduld“

Thomas Simmler mit Tochter Sofia und deren Mutter Irina. Foto: privat

Thomas Simmler stammt aus Mainleus. Seit Kriegsbeginn hält er sich bei seiner neunjährigen Tochter Sofia und deren Mutter Irina in der Südost-Ukraine auf. In unserer Zeitung erzählt er regelmäßig aus seinem Leben im Kriegsgebiet.

 
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Das Leben in der Ukraine wird teurer. Natürlich gibt es auch in diesem Land inzwischen ein Schicht, die sehr gut verdient. Menschen,  die mit ihren SUVs in Kiew herumfahren und sich kaum von denen im Westen unterscheiden. Aber die große Mehrheit lebt – vor allem auf dem Land – sehr bescheiden. Die haben nicht viel.  Dafür aber eine Menge Geduld. Das kommt noch aus dem Kommunismus. Mit Anfang 20 war ich beruflich in Sankt Petersburg. Damals gab es noch die Sowjetunion. Da hab’ ich gegen Mitternacht eine Schlange gesehen und erfahren, dass die Leute wegen frischem Kohl anstanden. Um Mitternacht! Wegen Kohl!
Mit dem Kapitalismus kam der große Reichtum für einige wenige. Für die anderen hat sich kaum was geändert. Alle bauen zu Hause ihr Gemüse an und sorgen so ein Stück für sich selbst. Auch wir haben Tomaten, Paprika und alles mögliche im Garten. Das ist nötig, weil Einkommen, Rente oder die Unterstützung für ärmere Leute deutlich kleiner sind als bei uns in Deutschland. Trotzdem ist letztere oft lebenswichtig. Subsidy nennt man das hier. Sozial Schwache bekommen Zuschüsse für Wasser, Heizung und Stromkosten. Eine Bekannte von uns hat als Großmutter mit ihrem Sohn zu Hause gelebt. Die erhielt in dieser Zeit nichts. Da hieß es: Der Sohn ist ja da, der soll arbeiten und für sie sorgen. Jetzt ist er verstorben und nun bekommt sie diese Unterstützung vom Staat. 
Zeitweise hat es jetzt mehrere Tage lang keinen Sprit gegeben. Das ist jetzt anders. Aber die Preise sind enorm hoch. Der Liter kostet 1,80. Das ist kaum weniger als  in Deutschland. Mit dem Unterschied, dass die Löhne in der Ukrainer viel niedriger sind. Die Belastung ist also umso größer. Für kleine Erledigungen sind die Ukrainer früher sehr oft mit dem Taxi gefahren. Das war extrem billig – für einen Euro schnell mal das Kind zur Schule bringen zum Beispiel. Jetzt kann sich das niemand mehr leisten. 
Auch die Lebensmittel sind enorm teurer geworden. Manches kostet fast 100 Prozent mehr als vor dem Krieg. Bei Salz ist es extrem – vor allem rund ums Atomkraftwerk in unserer Nähe. Das ist ja in Hand der Russen. Die Ukrainer können dort keine Lebensmittel hinbringen.  Das Kilo gab es vor Kurzem noch für 18 Cent, jetzt muss man bei den Russen einen Euro zahlen. 
Eine Ausnahme ist das Brot. Wir kaufen immer„bawarski“, das bedeutet „bayerisches“ Brot. Das bekommt unser Bäcker aus  Saporischschja. 650 Gramm kosten einen Euro. Verhungern muss also niemand.
Die Stimmung in der Bevölkerung ist gut. Wie gesagt: Die Menschen hier haben wahnsinnig viel Geduld. Und die positiven Nachrichten aus den umkämpften Gebieten lösen regelmäßig große Freude aus. Darum geht es jetzt. Und nicht um die Kosten für eine Taxifahrt. Wir hatten am Mittwoch fünf Stunden Luftalarm am Stück. Die Sirene ist inzwischen repariert. Aber passiert ist zum Glück nichts.  

Protokoll: Wunner

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