Das Drama hinter dem Drama vom Fichtelsee Warum eine junge Frau immer wieder versucht, sich zu töten

Von Andreas Gewinner

Warum versucht eine junge Frau aus dem Kosovo ihr Leben zu beenden?  Einblicke in ein Leben in der Warteschleife, zwischen Bangen und Verzweifeln, zwischen amtlichen Bescheiden und Ausreiseaufforderung. Eine Geschichte ohne glückliches Ende. Eine Geschichte von der Hoffnung, die zuletzt stirbt.

 
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Wo Hoffnung und Verzweiflung Tür an Tür wohnen: Das Haupthaus des einstigen Feriendorfs am Fichtelsee (Archivbild). Am Donnerstag stieg hier die 21-jährige Edzona mit einem Messer in der Hand auf das Dach und drohte sich umzubringen. Foto: Ronald Wittek Foto: red

Am vergangenen Donnerstag war Edzona (21) noch trauriger als sonst. Ihr Bruder Endrit (16) hatte sich vorgenommen, deswegen ein Auge auf seine Schwester zu haben. Endrit, Edzona, ein weiterer Bruder und die Eltern sind aus dem Kosovo und leben seit über einem Jahr in der Asylbewerberunterkunft am Fichtelsee, zu fünft in einem Zimmer.  Die Familie macht äußerlich einen gefassten Eindruck. Aber die müden, traurigen Augen der Mutter sprechen eine andere Sprache.

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Tabletten geschluckt

Doch am meisten scheint Edzona unter der Situation zu leiden. Vor über einem Jahr hat Edzona das erste Mal versucht, sich das Leben zu nehmen, erzählt Endrit. Sie schluckte Tabletten ihrer Mutter, Herz- und Diabetestabletten, 40 insgesamt. Als die Familie sie findet, ist sie schon bewusstlos. Sie kommt ins Bezirkskrankenhaus. Dort, erzählt Endrit, zerschlägt sie ein Glas und versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Drei Monate bleibt seine Schwester im BKH.

Vor einem Monat mussten sie sich wieder Sorgen machen um Edzona. Sie war verschwunden. "Wir haben sie gesucht und konnten sie nicht finden. Wir hatten Angst, dass sie in den See gegangen ist." Schließlich finden sie Edzona, im Wald, weinend. 

Lieber hier sterben

An diesem Donnerstag also, vor zwei Tagen, ist Edzona wieder verschwunden. Endrit sucht nach ihr. Und findet sie auf dem Dach stehend, mit einem Messer in der Hand. "'Was machst Du da oben?'", habe ich sie gefragt." Sie antwortet: "Ich will lieber hier tot sein als im Kosovo."

Edzona war im Kosovo verheiratet. Als ihr Mann sie misshandelt und schlägt, geht sie zur Polizei und trennt sich von ihm. Der Ehemann will seine Ehre wiederherstellen. Er nimmt den gemeinsamen Sohn an sich. Und droht, Edzona umzubringen, sie, ihre Brüder und ihre Eltern. Die Familie entschließt sich zu fliehen. Erst nach Ungarn, dann nach Deutschland.

Auslöser für die Verzweiflungstaten von Edzona im vergangenen Jahr war wohl die anstehende Rückkehr in den Kosovo: „Die Familie sollte im Frühjahr 2014 im Rahmen des Dubliner Übereinkommens nach Ungarn überstellt werden, da sie sich nachweislich dort aufgehalten hatte“, so Herbert Retzer, stellvertretender Pressesprecher des Landratsamtes Bayreuth. Darauf habe die Familie den Wunsch geäußert, freiwillig in den Kosovo zurückzukehren.

Die Rechtslage

Ginge es streng nach deutschem Recht, dürfte die Familie gar nicht in Deutschland sein. Sondern hätte in Ungarn Asyl beantragen müssen. "Dubliner Übereinkommen" heißt, dass Asylbewerber in der EU dort ihren Antrag stellen müssen, wo sie zuerst Boden der EU betreten. Theoretisch also müssten alle Asylbewerber in Ländern landen, die eine EU-Außengrenze haben, vor allem Länder wie Ungarn, Griechenland und Italien. und Theoretisch dürften in Deutschland nur solche Asylbewerber landen, die es schaffen, mit dem Flugzeug nach Deutschland zu kommen. Doch die Wirklichkeit richtet sich nicht nach der Theorie oder nach deutschem oder nach EU-Recht. Die Hoffnung auf ein besseres Leben ohne Zwang, Gewalt und Armut ist stärker als Paragraphen.

Für die Familie von Edzona war die Frist zur Überstellung nach Ungarn inzwischen abgelaufen, der Asylantrag wurde in Deutschland behandelt. Und vor vier Wochen als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt, inklusive Abschiebeandrohung. Am 21. Juli hat die Rechtsanwältin der Familie Klage beim Verwaltungsgericht Bayreuth gegen die Ablehnung des Asylantrags eingereicht und aufschiebende Wirkung beantragt. Am vergangenen Dienstag hat das Verwaltungsgericht die Klagen unanfechtbar abgelehnt. Damit war die Familie zur Ausreise verpflichtet. Zwei Tage später, am vergangenen Donnerstag, stieg Edzona mit dem Messer in der Hand aufs Dach und sagte ihrer Familie, dass sie lieber in Deutschland als im Kosovo stirbt.

"Vollziehbar ausreisepflichtig"

"Wir wollten fort, weil wir keine Probleme haben wollten, hier haben wir noch mehr Probleme", sagt Endrit. Die Hoffnung stirbt zuletzt. Im Deutsch der Paragraphen klingt das so: „Die gesamte Familie ist vollziehbar ausreisepflichtig. Es obliegt nun der Ausländerbehörde, die Ausreiseverpflichtung durchzusetzen.“

Das Drama vom vergangenen Donnerstag erinnert an einen ähnlichen Fall vor über zwei Jahren in Kulmbach. Ein 23-Jähriger aus Afghanistan, dessen Asylantrag abgelehnt worden war, war auf einen hohen Industrieschornstein geklettert und drohte, sich in den Tod zu stürzen. Freunde und Helfer konnten ihn überreden, wieder herunterzusteigen.