Demnach waren 92 Prozent der deutschen E-Commerce-Unternehmen schon einmal damit konfrontiert, dass sich ein Kunde unter einer falschen oder fremden Identität ausgegeben hat. "So bestellen Betrüger etwa mit gestohlenen Daten auf Rechnung und lassen die Ware an Paketstationen oder leerstehende Wohnungen liefern."
Oft genügen demnach schon wenige echte Datenfragmente - etwa Name und Geburtsdatum oder gehackte Login-Daten - um eine synthetische Identität zu erschaffen, die bei der Registrierung im Online-Shop echt wirkt. "Für Onlinehändler ist der technische und finanzielle Aufwand, Kundenidentitäten zu verifizieren und Betrüger auszusieben, in den letzten Jahren deutlich gestiegen", sagt der Sprecher.
Betätigungsfeld für Einsteiger
Betrug im Online-Handel ist der größte Schadentreiber im Cyber-Versicherungssegment für Privatpersonen, wie Munich-Re-Experte Kreuzer sagt. "Im Bereich der Cyberkriminalität sind Identitätsklau und die damit verbundenen Betrugsmaschen eine Art Einstieg. Anfänger probieren sich da aus und kaufen sich mitunter von deutlich professionelleren Organisationen Anleitungen und Tools."
KI schaffe Skaleneffekte und könne beispielsweise für die automatisierte Verteilung von Phishing-Mails genutzt werden. "Skaleneffekt" bedeutet, dass die Produktion für - in diesem Falle kriminelle - Unternehmen immer günstiger wird, je mehr von einem Produkt hergestellt wird.
"KI kann auch genutzt werden, um neue Schadsoftware zu kreieren", sagt Kreuzer. "Das spricht für eine erhöhte Schadenfrequenz in der Zukunft." Bei den von betrügerischen Kunden heimgesuchten Unternehmen könnten die Belastungen bis zur Insolvenz führen. "Gerade für Unternehmen, die schon in wirtschaftlicher Schieflage sind, ist dann häufig ein Cyberangriff der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt."
Schäden in Milliardenhöhe, Tendenz steigend
Die genaue Höhe der von Cybertätern verursachten Schäden ist unbekannt. Schätzungen gehen in die Milliarden, Tendenz steigend. Polizei und Justiz erfassen in ihren Statistiken nicht separat, ob eine Tat online begangen wurde.
Ebenfalls geschätzt ist die Quote der betrügerischen Online-Bestellungen im Einzelhandel: im Schnitt rund drei Prozent, wie der Sprecher des Handelsverbands sagt. In der Crif-Umfrage bezifferten 43 Prozent der deutschen Online-Händler ihre betrugsbedingten Schäden auf Summen zwischen 10.000 und 100.000 Euro; ein gutes Fünftel erlitt sogar Einbußen von über 100.000 Euro.
Es fehlt ein effektiver Standard zur Identitätsprüfung
Im Bereich der Cyberkriminalität verschwimmen nationale Grenzen, da die Täter oft nicht in dem Land wohnen, in dem sie ihre Taten begehen. "Ein Hauptproblem ist, dass es keinen internationalen Standard für die Authentisierung und Verifizierung von Identitäten gibt", sagt Ralf Wintergerst, Vorstandschef des Münchner Sicherheitstechnikherstellers Giesecke+Devrient und Präsident des Digital-Branchenverbands Bitkom.
"Wenn jedes Land eine kleine Lösung für sich selbst baut, sind diese oft international nicht interoperabel." Die Finanzflüsse hingegen sind international. "Eine Einigung auf einen Standard ist schon innerhalb der Europäischen Union schwer, international dann umso mehr", sagt der Spitzenmanager.