Christoph Höreth erlebt das Kriegsende als 19-jähriger Gebirgsjäger in Österreich 70 Jahre Kriegsende: Als Christoph Höreth sein Gewehr an den Baum schlug

Von Udo Meixner

Als er hörte, dass der Krieg aus ist, schlägt Christoph Höreth sein Gewehr an einen Baum. Höreth ist damals 19 Jahre alt. Er ist Gebirgsjäger und am 8. Mai, dem Tag der Kapitulation, in der Steiermark eingesetzt. An diesem Tag fasst der junge Mann einen Entschluss: Nie mehr in seinem Leben will er ein Gewehr anfassen.

 
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Lieber fünf Minuten lang feige als ein Leben lang tot! Das ist für viele Soldaten die Devise kurz vor Kriegsende. Das hört auch Christoph Höreth. Er hört es von einem erfahrenen Feldwebel. Höreth, gerade 19 Jahre alt,  erlebt das Kriegsende in Österreich. Dort haut er als Soldat am 8. Mai sein Gewehr an einen Baum. Nie wieder in seinem Leben will er ein Gewehr anrühren. Nicht einmal am Volksfest, „man hat halt seine Prinzipien“, sagt er.

Christoph Höreth wird am 20. Februar 1926 in Creußen geboren. Dort geht der heute 89-Jährige auch zur Volksschule, von 1932 bis 1939. Und von 1939 bis 1941 folgt die sogenannte Aufbauschule, eine Art Gymnasium in Kurzform. Die Aufbauschule ist im Gebäude der Oberrealschule (heute: Graf-Münster-Gymnasium) untergebracht. Da Christoph Höreth Gymnasiallehrer werden will, muss er anschließend in die Lehrerbildungsanstalt (LBA) in Würzburg. Hier ist er von 1941 bis Herbst 1943. „Wir waren ein paar Hundert junge Männer auf einem Haufen. Alle waren auch in der Hitlerjugend und laut singend marschierten wir jeden Tag vom Heim in die Schule. Wir alle wollten doch in den Krieg ziehen und das Vaterland retten“, so beschreibt Christoph Höreth die Stimmung unter den 17-/18-Jährigen. „Heute muss man natürlich sagen: Wir waren manipuliert und verblendet!“

Starten Sie das Video und sehen Sie ein Porträt über Christoph Höreth.

Die Partei setzt alles daran, den jungen Männern den Dienst an der Waffe schmackhaft zu machen: „Der Leiter des Wehrbezirkskommandos in Würzburg war ein Bayreuther Lehrer, der oft Ritterkreuzträger einlud, um den Jungs den Kriegsdienst schmackhaft zu machen. Bei uns im Schülerwohnheim berichteten diese Soldaten von ihren Abenteuern, und das beeindruckte uns natürlich. Der von der SS ist gleich auf den Tisch gesprungen, um groß anzugeben“, so Christoph Höreth. Alle höheren Schüler werden in der Folge Offiziersbewerber. So auch Christoph Höreth, der sich zu den Gebirgsjägern meldet. Der Jahrgang 1925/1926 im Lehrerseminar in Würzburg umfasst 105 Schüler aus ganz Nordbayern. 45 werden den Krieg nicht überleben.

Notabitur 1943

Ende 1943 kann Höreth noch das Notabitur machen. Danach muss der knapp 18-Jährige für drei Monate zum Reichsarbeitsdienst (RAD) in Klagenfurt und Graz. Im Frühjahr 1944 wird Höreth zu den Gebirgsjägern nach Skovja Loka in Slowenien eingezogen, etwa 20 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Ljubljana (Laibach). Das Gebirgsjäger-Ersatz- und Ausbildungsbataillon 319 ist in diesem Bereich in der Partisanenbekämpfung eingesetzt. Eine heikle Mission, die dadurch erschwert wird, dass zuvor eine berüchtigte Einheit in Skovja Loka stationiert war. Es handelt sich um die 7. SS-Freiwilligen-Gebirgsdivision „Prinz Eugen“, der im früheren Jugoslawien zahlreiche Kriegsverbrechen zur Last gelegt werden. Aus diesem Grund ist auch die Wehrmachtseinheit, der Christoph Höreth angehört, bei der Bevölkerung nicht sehr hoch angesehen.

Als Höreth zum Gebirgsjägerbataillon kommt, steht erst ein Vierteljahr Grundausbildung an. Danach ist die Einheit für etwa vier Monate im Einsatz gegen die Partisanen. So nennt sie zumindest die deutsche Propaganda. Die Freiheitskämpfer selbst sehen sich als Volksbefreiungsarmee, die in kleinen Trupps gegen die deutsche Besatzung kämpft. So passiert es dann auch, dass die deutschen Soldaten in einen Hinterhalt gelockt werden sollen. Christoph Höreth kann sich auch an einen Fall erinnern, als ein Bauer zu ihnen kommt und ein angebliches Versteck von Partisanen verraten will. „Das war allerdings eine Falle“, so Höreth. „Wir wurden von den Partisanen eingekesselt und mussten uns mühsam aus dieser Bedrängnis freikämpfen.“ An diesem Tag hat Höreth ein Schlüsselerlebnis, das er bis heute nicht vergessen hat: „Nach unserem Gegenangriff sind die Freiheitskämpfer geflohen. Einer von ihnen blieb jedoch schwer verletzt liegen. Unser Zugführer, ein Feldwebel, der zuvor in Russland war, hat seine Maschinenpistole genommen und den Verletzten kurzerhand erschossen.“

Ohne Schießausbildung

Nach drei Monaten Grundausbildung und vier Monaten Einsatz wird Höreth für den Reserveoffiziersbewerber-Lehrgang (ROB) ausgewählt. Er und fünf weitere Kameraden treten Ende 1944 den Lehrgang in Kufstein an. Pionierausbildung steht auf dem Programm, ebenso Überlebenstraining. Eigentlich soll der Lehrgang sechs Monate dauern. Nach vier Monaten allerdings müssen die Offiziersanwärter vorzeitig an die Front. Und zwar im Bereich Budapest-Plattensee, wo die Rote Armee weit in Richtung Westen vorgestoßen ist. Und hier trifft Oberjäger (Unteroffizier) Höreth auch den Feldwebel wieder, der zuvor den verletzten Freiheitskämpfer erschossen hatte. Doch gibt sich der Zugführer mittlerweile weniger draufgängerisch. Er rät seinen Jungs, das Ende des Krieges quasi vor Augen, nichts mehr zu riskieren: „Lieber fünf Minuten lang feige, als ein Leben lang tot!“

In der Steiermark wird die Einheit von Christoph Höreth noch einmal in Rückzugsgefechte verwickelt: „Dabei musste ich als 19-jähriger Frischling eine Gruppe von zwölf bis 15 Soldaten anführen.“ Bei diesen Soldaten handelt es sich um eine bunt zusammengewürfelte Truppe aus älteren Obergefreiten, Feldwebeln, Schreibstubenhengsten und auch Luftwaffensoldaten. „Viele von denen hatten noch nicht einmal eine Schießausbildung“, so Christoph Höreth.

Richtung Demarkationslinie

Am 8. Mai steht die Einheit 100 Kilometer südlich von Linz. „Dort habe ich dann mein Gewehr gegen einen Baum gehauen“, so Höreth. Der Krieg ist vorbei. Man lebt. Doch ein neues Schreckgespenst macht sogleich die Runde – Kriegsgefangenschaft! Als Parole gilt: „Wer es bis 12. Mai zur Demarkationslinie bei Radstadt schafft, der kommt zu den Briten – wer es nicht schafft, bleibt bei den Russen.“

Vier weitere Bayern sind in der Kompanie von Christoph Höreth, der Rest sind Österreicher. Zusammen wollen sie sich bis zum 12. Mai zu den Briten durchschlagen. Der Marsch gestaltet sich jedoch schwierig, da die schmalen Straßen durch Armeefahrzeuge verstopft sind. Doch schaffen es die deutschen Soldaten innerhalb der Zeit bis zur Demarkationslinie. Über Bischofshofen und Zell am See gelangen sie zu einem Flugplatz bei Kaprun am Fuße des Großglockners. Dort müssen die Soldaten auf freiem Feld campieren. „Wir haben Brennnesseln und Sauerampfer gesammelt und uns daraus eine heiße Brühe gekocht“, erinnert sich Höreth.

Landwirtschaftlicher Schüler

Etwa am 20. Mai werden die Soldaten dann in Viehwaggons per Zug in Richtung Bayern verfrachtet. Christoph Höreth landet in Kirchseeon, südöstlich von München. Er und seine vier Kameraden gelten nicht als Kriegsgefangene, sondern als „entwaffnete Deutsche“. Ein paar Tage später müssen sich die Soldaten von den Amerikanern erfassen lassen. Dabei heißt es: Wer zu Hause eine Landwirtschaft hat und dort helfen kann, wird zuerst entlassen. Einer von Höreths Kameraden war vor seiner Einberufung zur Wehrmacht landwirtschaftlicher Schüler. Und tatsächlich: Nach dem Ausfüllen der Papiere wird der junge Mann heimgeschickt. Höreth und seine verbliebenen drei Kameraden beraten, ob sie sich mit Hilfe einer Notlüge aus ihrer misslichen Lage befreien sollen. Auf der anderen Seite steht die Drohung der Amerikaner: „Wer falsche Angaben zu seiner Person macht und erwischt wird, der kommt zur Zwangsarbeit nach Frankreich ins Bergwerk!“ Höreth und zwei andere Soldaten riskieren es und schreiben als Berufsbezeichnung ebenfalls „landwirtschaftlicher Schüler“ in ihre Fragebögen.

Am 8. Juni wird Christoph Höreth tatsächlich entlassen. Die Deutschen werden auf große US-Lastwagen verladen und über Nürnberg und Bamberg geht es in Richtung Heimat. Bayreuth ist mitten in der Nacht die letzte Station der Odyssee durch Nordbayern. Neben Christoph Höreth sind nur noch zwei andere mit auf dem Truck. Am Bahnhof steigen die ehemaligen Soldaten aus und laufen über den Luitpoldplatz in Richtung Sternplatz. Die Nacht verbringen die drei in einem Obststand in der Richard-Wagner-Straße. Auf der Landstraße läuft Höreth dann am nächsten Tag heim nach Creußen.

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