Christian Thielemann über die Vorzüge der Kontinuität, die Einmischung der Politik – und seine Pläne „Verwaltungsdirektor will ich nicht spielen“

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Christian Thielemann, 53, sieht das anders: komplett anders. Bei den diesjährigen Festspielen dirigiert Thielemann den „Fliegenden Holländer“ und hat außerdem das „Tannhäuser“-Dirigat übernommen. Florian Zinnecker hat mit Thielemann gesprochen.

 
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Herr Thielemann, seit wann kennen Sie das Bayreuther Festspielhaus?
Thielemann: Zum ersten Mal war ich als Stipendiat hier, in den 70er Jahren. Von 1981 an war ich drei Jahre Assistent bei „Tristan“ mit Daniel Barenboim und im Jahr 2000 habe ich zum ersten Mal hier dirigiert.

Wie hat sich das Haus – rein baulich – in dieser Zeit verändert?
Thielemann: Es sind mehr Probebühnen dazugekommen. Und Wolfgang Wagner hat ständig irgendetwas renoviert. Mir hat das sehr gefallen, ich habe das sehr genau beobachtet. Herr Wagner hat auch immer davon erzählt: Jetzt ist das Dach wieder undicht, jetzt muss ich wieder bauen ...

Laut einem Gutachten bedarf das Festspielhaus dringend einer Sanierung. Was würden Sie verändern?
Thielemann: Überhaupt nichts. Natürlich, dieses Haus war nicht für die Ewigkeit gebaut, wie wir alle wissen. Da muss man natürlich ran. Aber das ist doch überall so: Ich habe ein schönes altes Haus, neu saniert und frisch gestrichen – und auf einmal ist ein riesiger Riss in der Wand. Was wollen Sie machen.

Wie haben sich die Arbeitsbedingungen verändert, für Dirigenten und allgemein?
Thielemann: Die sind gleich geblieben – wahrscheinlich haben sie sich sogar verbessert. Bevor es das Festspielrestaurant gab, hat das Orchester ja angeblich in einer Bretterbude geprobt. Und wenn Sie sich die Aufnahmen von damals anhören: Gut gespielt haben die immer. Streng genommen hat es sowieso keinen Sinn, außerhalb des Grabens zu proben – die ersten Sitzproben könnten Sie genauso gut auf der Wiese machen. Die Stunde der Wahrheit schlägt erst im Graben. Und wenn Sie sich das Kantinengebäude ansehen, die Räume für die Techniker und die Probebühnen: Das ist Superluxus. Wir sind, was diese Dinge angeht, wahrscheinlich das am besten ausgerüstete Theater der Welt.

Seit einigen Jahren, und speziell im vergangenen, häufen sich ja die Klagen darüber, wie mangelhaft die Bedingungen hier seien.
Thielemann: Wer hat das denn gesagt?

Zum Beispiel Thomas Hengelbrock, dessen „Tannhäuser“-Dirigat Sie übernommen haben.
Thielemann: Ich weiß selber, wie es mir in meinem ersten Jahr hier ging. Für mich war alles neu, alles ungewohnt. Hätten Sie mich damals journalistisch befragt, und wäre ich dann noch frech und flapsig gewesen, dann hätte ich damals vielleicht auch etwas gesagt. Mir wurde bei der Arbeit hier klar: Das ist hier eben so, in Bayreuth. Es hat hier aber immer Dirigenten gegeben, die sich nicht wohlgefühlt haben – größtenteils tolle Kollegen, es sagt nichts über ihr Vermögen zu dirigieren aus, nichts über ihre Begabung. Es gibt Leute, die – aus Gründen, die ich nicht erklären kann – hierher gehören, und andere, die sich nicht wohlfühlen. Die Bedingungen sind toll. Für jemanden, der sein Handwerk versteht, reicht auch die Probenzeit. Meine Proben sind meist früher zu Ende. Aber wenn ich weiß, es hat im Restaurant keinen Sinn mehr, dann gehen wir nach Hause, und wenn noch eine Dreiviertelstunde Zeit wäre. Im Graben wird die Zeit voll ausgenutzt, da brauche ich meine Assistenten, die hinten drinsitzen, da brauche ich den Chordirektor, der sagt, es ist nicht zusammen. Das sind handwerkliche Sachen gefragt.

Und vielleicht auch nicht die Fähigkeit, darüber zu sprechen?
Thielemann: Völlig richtig. Mit Worten können Sie hier wenig ausrichten. Und wenn dann einer kommt und erzählt, was er sich wie vorstellt – das interessiert die Musiker nicht. Die interessiert nur: Flöte lauter, Fagott leiser, Horn kürzer. Hier will man knappe Anweisungen. Fragen Sie Peter Schneider, Daniel Barenboim, James Levine – das sind Leute, die hier lange Jahre dirigiert haben, aber auch andere große Häuser kennen. Die sagen Ihnen alle: In Bayreuth ist alles anders. Das ist für einen Debütanten im ersten Jahr zu viel, um es wirklich souverän hinzukriegen. Und deshalb werden die meisten Dirigenten in den folgenden Jahren besser. Ich weiß das noch genau: Ich saß im Graben und fand es sehr merkwürdig, wie es da unten tönte. Und meine Assistenten, die oben im Zuschauerraum saßen, sagten mir: Mach weiter, es klingt gut. Ich habe gedacht, das kann doch nicht wahr sein. Es war aber wahr.

Wird vielleicht generell zu viel über Musik gesprochen?
Thielemann: Das ist eine tolle Frage. Ja. Das ist so, es kommt mir vor wie eine Kochsendung – es gibt nichts Frustrierenderes, als da zuzuhören, zuzugucken. Es wird gern zu viel geredet, aber Sie müssen es selbst machen. Ich kann Ihnen auch nicht erklären, wenn Sie die „Meistersinger“-Ouvertüre dirigieren, worauf sollen Sie da achten. Entweder ich rede drei Stunden, und dann wissen Sie später auch nicht mehr. Oder ich sage: Machen Sie mal. Gehen Sie hin, dirigieren Sie. Dann merken Sie, wie es ist, und dann kann man hinterher reden. Sie müssen selbst daraufkommen. Ich erkläre mich über meine Hände, über meine Blicke. Und über meine körperliche Anwesenheit.

Tut es denn den Werken gut, dass Sie momentan überall gespielt werden?
Thielemann: Bei einem Jubiläum ist das nun mal so.

Was muss sich ändern, damit die Festspiele auch künftig Bestand haben?
Thielemann: Da müssen Sie gar nichts ändern. In einer Zeit, in der man immer alles neu erfinden muss – ist ja auch furchtbar, alles immer wieder neu. Es ist ja doch so, dass wir sehr oft hinterher feststellen: Ist doch auch nicht besser, wenn wir mal ganz ehrlich sind. Sie müssen versuchen, die Stücke so gut wie möglich zu besetzen. Es wird Bayreuth ja immer vorgeworfen, dass es Sänger gibt, die hier nicht singen, obwohl sie – in Anführungszeichen – hierher gehören. Wenn Sie aber mal fragen, wer das sein soll, wen man hier unbedingt hätte hören wollen, der aber nicht hier war – da werden Sie nur ganz wenige Namen finden.

Es gibt ein paar eklatante Fälle. Und es gibt viele Sänger, die einmal kommen – und dann nicht wieder.
Thielemann: Natürlich. Das liegt zum einen daran, dass in immer mehr Häusern – zum Beispiel in der Met in New York – die Proben schon im August beginnen. Dann müssen die Sänger im August schon da sein. Zum anderen ist da die Sache mit der Gage. Früher gab es hier für eine Brünnhilde 500 Mark, auch für Birgit Nilsson. Es ist mir eine Ehre, ein inneres Bedürfnis, etwas zu machen, auch wenn es nicht mit Mark und Pfennig ausgelöst wird – diese Einstellung ist ziemlich abhandengekommen. Das hat schon vor 20, 30 Jahren begonnen – aber da war der Nimbus noch ein anderer. Natürlich kann man kritisch sein und sagen, da ist nichts, das ist alles Gedöns. Ja sicher – aber von solch einem Gedöns lebt ja auch so was. Aber man muss nicht an jedes Denkmal pinkeln. Wenn Sie es natürlich so erklärt bekommen: Du bekommst an der Met 15 000 und in Bayreuth sieben – es stimmt natürlich, aber es ist zu kurz gesprungen.

Halten Sie selbst das auch so? Die Gage ist egal, Hauptsache Bayreuth?
Thielemann: Ja. Bayreuth ist mir ein Herzensanliegen. Wenn ich meine Lohntüte sehe, wird mir immer ziemlich schlecht, besonders nach den „Ring“-Jahren – so kaputt, wie man da nach Hause kam. Ich habe jetzt 110 Aufführungen hier dirigiert, und immer, wenn ich hierherkomme, denke ich: Das ist das tollste Theater auf der ganzen Welt. Die ganze Welt beneidet uns um Bayreuth. Das hat nichts mit einem Tempel oder weihevollem Zeug zu tun – es ist der Ort, die Akustik, alles ist aus einer Hand gemacht. Dichter an Wagner kann man nicht rankommen.

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Das ausführliche Interview lesen Sie in der Dienstagsausgabe (24. Juli) des Nordbayerischen Kuriers.

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