Chefarzt: Ja zu Arzneitests

Von Elmar Schatz

Der Chefarzt des Bezirksklinikums Bayreuth, Dr. Michael Schüler, wünscht sich, dass die medizinische Forschung vorankommt, damit Demenzkranken geholfen werden kann.

 
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Chefarzt Michael Schüler Foto: red Foto: red

Herr Dr. Schüler, sind Arzneitests an Demenzkranken erforderlich?

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Chefarzt Dr. Michael Schüler: Ich denke, ja. Wenn ich neue Arzneimittel zur Behandlung bestimmter Erkrankungen brauche, dann muss ich, wenn die Tierversuche abgeschlossen sind, Menschen finden, die an genau dieser Krankheit leiden, um zu schauen: Wirkt das Mittel oder hat es Nebenwirkungen?

Die medizinische Forschung muss also wegen der steigenden Zahl von Demenzkranken verstärkt werden?

Schüler: Ja, ganz zweifellos. Es gibt leider medikamentös erst ganz, ganz wenige Möglichkeiten, schwerpunktmäßig Alzheimer-Patienten zu helfen. Es gibt ein paar Mittel, die im frühen Stadium, zwei, drei Jahre, helfen können. Sie lindern aber nur - und können die Krankheit weder stoppen noch heilen. Da besteht großer Handlungs- und Forschungsbedarf.

Der Betroffene muss vor dem Medikamententest im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte seine Zustimmung geben . . .

Schüler: Das ist immer so. Die Patienten müssen informiert werden über die geplante Behandlung. Sie müssen wissen, dass sie - wenn sie in eine Medikamentenstudie einbezogen werden, unter Umständen in einen Doppelblindversuch eingebunden werden. Doppelblindversuch heißt: Nur der Untersuchungsleiter weiß, eine Gruppe von Patienten kriegt das zu prüfende Mittel. Und eine ähnliche große Gruppe bekommt ein Placebo. Dann sieht man: Wie weit ändert sich das Befinden der tatsächlich behandelten Gruppe gegenüber der Placebo-Gruppe. Die Patienten wissen das nicht. Sie müssen aber darüber aufgeklärt sein --  deswegen müssen sie einwilligungsfähig sein.

Die Alzheimer-Gesellschaft wirft ein, dass es um Schutzbedürftige geht, die ihre Entscheidung später nicht widerrufen können.

Schüler: Das Problem ist: Hier handelt es sich um eine chronische Erkrankung, die weiter voranschreitet. Oftmals ist es so, dass die Patienten erst zu einem Zeitpunkt gefragt werden, an dem sie die Tragweite einer Einwilligung nicht mehr abschätzen können. Deswegen war die Überlegung bei dieser Novellierung, eine Patientenverfügung zu gesunden, einwilligungsfähigen Zeiten abzuschließen, die, wenn ich mal krank bin und nicht mehr entscheiden kann, dafür sorgt, dass mein Wille auch dann noch erfüllt wird.

Was bedeutet "fremdnützige Forschungen"?

Schüler: Bei dieser Gesetzesnovellierung bleibt das Verbot "fremdnütziger Forschungen" an nicht Einwilligungsfähigen bestehen. Die Novellierung bedeutet, dass man Patientenverfügungen machen kann. Dann soll das klappen. Die Alzheimer-Gesellschaft ist meines Wissens auch dagegen, weil die Novellierung ihrer Ansicht im Grunde gar nicht nötig wäre. Es gibt bis heute weltweit keine Forschung, die an einem Demenzkranken in einem späten Stadium forscht. Das wird nicht nötig sein. Man versucht doch, Medikamente zu erforschen, die so früh wie möglich, im frühen Krankheitsstadium, greifen und wirken. Und in diesem frühen Krankheitsstadium sind die Patienten durchweg noch einwilligungsfähig. So dass es diese Fragestellung eigentlich gar nicht bräuchte.

Helfen die Medikamente den Patienten, an denen sie getestet werden?

Schüler: Das Problem bei der Novellierung ist, dass es in den Forschungsvorhaben nicht darum geht, Medikamente zu entwickeln, die diesen Patienten selber helfen. Das sind vielmehr Untersuchungen, die erst für die nächste Generation bedeutsam werden. Hier sagen also nicht Patienten: Ich möchte diese Behandlung haben, die hilft mir selber. Sondern das sind fremdnützige Forschungen --  Medikamente, die erst in der nächsten Generation nützlich werden können. Nicht diesem Patienten, der einwilligt, sondern erst Menschen in späteren Jahren. Das ist der Passus, um den lange gerungen wurde und an dem sich Kirchen und andere Kritiker gestoßen haben.

Fürchten Sie, dass unsere Gesellschaft mit Gebrechlichen im Allgemeinen immer gleichgültiger und käler umgeht?

Schüler: Nein, das würde ich nicht sagen. Dazu tragen auch die Selbsthilfegruppen wie die Alzheimer-Gesellschaft und viele andere Interessensverbände bei, dass gerade solche chronischen Erkrankungen der Gesellschaft nahe gebracht werden, dass diese Menschen möglichst im häuslichen Bereich bleiben können, in der Gemeinde. Wie es Notinseln für Kinder gibt, so gibt es auch schon Notinseln für Demenzkranke, die sich verlaufen haben. Kälter, gleichgültiger, eher nicht, nein!