Bushidos Schwulenhetze, Jonathan Meeses Hitlergruß: Was darf Kunst?

Von Michael Weiser

Ist das Kunst? Und wenn ja: Was überhaupt darf Kunst? Ab heute steht Jonathan Meese, designierter Regisseur des "Parsifal" in Kassel vor Gericht  - wegen eines Hitlergrußes.

 
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 Foto: red

Wann ist's Kunst, wann ist's kriminell? Diese Fragen beschäftigt Deutschland aufs neue. Weil gerade Rapper Bushido (34) mit schwulenfeindlichen Parolen, Tötungs- und Gewaltfantasien in seinem neuen Lied „Stress ohne Grund“ für Empörung sorgt. Und weil Skandalnudel Jonathan Meese (43) wegen eines Hitlergrußes vor Gericht steht, nachdem er im Juni 2012 in Kassel in einem Gespräch zum Thema „Größenwahn in der Kunst" die „Diktatur der Kunst" gefordert und den Arm zum Hitlergruß gehoben hatte. Wieder stellt sich heraus: Die Grenzen zwischen Kunst und strafbarem Handeln sind manchmal unscharf.

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Die Debatte dürfte in Bayreuth auf besonderes Interesse stoßen, wegen jenes doppelten Paukenschlages vor einem Jahr. Kurz vor der Premiere des „Holländer" trat  Evgeny Nikitin von der Titelrolle zurück. Wegen seiner Hakenkreuz-Tattoos. Vier Tage darauf wurde in Bayreuth die Verpflichtung von Jonathan Meese als Regisseur für den „Parsifal" 2016 verkündet - trotz seiner notorischen Neigung zum künstlerisch verbrämten Hitler-Gruß.

„Kunstfreiheit hört da auf, wo Rechte anderer schwerer wiegen“, sagt Rolf Schwartmann, Leiter der Forschungsstelle Medienrecht der Fachhochschule Köln. Bei Beleidigungen wie in Bushidos Song, sagt er,  könnte das Persönlichkeitsrecht verletzt sein. In dem Lied werden Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), der FDP-Bundestagsabgeordnete Serkan Tören, Comedian Oliver Pocher und Grünen-Politikerin Claudia Roth namentlich genannt und derb beleidigt.

Der Hitlergruß von Meese wiederum greife den Staat an. Doch tut er das wirklich? Muss das der Staat nicht vertragen können?

Schwer zu sagen. „Jeder Einzelfall muss abgewogen werden, es kommt auf den Zusammenhang an“, betont Schwartmann. Denn Provokation gehöre zur Natur der Kunst, Künstler müssten provozieren dürfen und loteten diese Grenze immer wieder aus. „Man muss strikt trennen zwischen der Bühnenperson Jonathan Meese und dem mickrigen Privatmenschen Jonathan Meese“, sagt denn auch Meese in einem Interview dem „Spiegel“. Er selbst sieht sich als „Sokrates dieser Zeit“, wie er 43-Jährige dem Hamburger Magazin sagte; „ich stelle alles in Frage, mich selbst, das Ich, die Demokratie. Es ist die Aufgabe von Kunst, alles in Frage zu stellen – alles!“

Doch dann ist es wohl Aufgabe der Gerichte und Behörden, wiederum Kunst in Frage zu stellen: Darf die das, und wenn ja, warum?

Bushido darf erst mal nicht mehr. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien setzte Bushidos Song als gefährdend für Minderjährige vorläufig auf den Index. Das Gremium gab damit dem Jugendschutz Vorrang vor der Kunstfreiheit. 

Und was ist mit Meese? Bei Nazi-Symbolen komme es auf den Kontext an, betont Wissenschaftler Schwartmann. Ein Hakenkreuz oder Hitlergruß sei nicht in jedem Fall verboten – wie in der Fernseh-Serie „Unsere Mütter, unsere Väter“ oder bei der Stromberg-Parodie der TV-Comedy-Serie „Switch Reloaded“. „Das regt zum Nachdenken an.“

Die Frage nach den Grenzen der Kunst tritt immer wieder auf. 2006 sorgte ein heftig umstrittenes Kunstwerk des Spaniers Santiago Sierra in der Synagoge von Pulheim-Stommeln bei Köln für Aufregung. Er hatte Autoabgase in das ehemalige jüdische Bethaus geleitet. Mit der „Gaskammer“ wollte er – so sagte er – der Banalisierung der Erinnerung an den Holocaust entgegenwirken. Dies hatte unter anderem der Zentralrat der Juden als Verhöhnung der Opfer kritisiert. Das Projekt wurde vorzeitig gestoppt.

2011 zerstörten fundamentalistische Christen in Frankreich mit einer Axt die Fotografie „Piss Christ“ des New Yorker Künstlers Andres Serrano, sie zeigte ein in Urin versenktes Kruzifix. „Die Verfassung schützt nicht vor Geschmacklosigkeit“, sagt Schwartmann.

Geschmacklosigkeiten oder Gerichtsmaßiges: Der Deutsch-Waliser Jonathan Meese ist so etwas wie der Serientäter der deutschen Kunstszene. Seit Jahren provoziert seit Jahren immer wieder mit dem Hitlergruß.

„Was ich auf der Bühne und im Namen der Kunst mache, ist durch die Kunstfreiheit im Grundgesetz gedeckt“, sagte der Künstler. Von den Regeln des guten Geschmacks wohl weniger: Vor wenigen Wochen in Mannheim hob er bei einer Theateraufführung permanent den Arm, er beschmierte eine Alien-Puppe mit einem Hakenkreuz und deutete Oral-Sex mit dem Außerirdischen an. „Wer das ernst nimmt, muss völlig wahnsinnig sein“, sagte er hinterher selbst.

Aber was soll man denn ernst nehmen bei Meese? Seinen Glauben an den Sieg der Kunst? An seinen Hohepriester der Kultur? „Richard Wagner ist nicht nur eine persönliche Verpflichtung, sondern ein Gesetz der Diktatur der Kunst“, schrieb er vor einem Jahr auf seiner Homepage.  „Ich werde in Bayreuth meine Aufgabe sachlich und klar erfüllen wie alle Aufträge, die mit mir nichts direkt zu tun haben“, sagt er heute.

Egal, was beim Prozess in Kassel herauskommt: Für sachliche Arbeit 2016 in Bayreuth wird dem selbst ernannten Sokrates niemand einen Schierlingsbecher kredenzen. Nicht einmal vor Gericht werden sie ihn ziehen.

Mit Material von dpa

Foto: dpa

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